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Religion und Naturwissenschaften: "Der Glaube ist vielleicht der tollste Trick der Evolution"

Ein Neurobiologe und ein Theologe streiten darüber, ob Naturwissenschaft und Religion miteinander vereinbar sind.

Kein Zweifel, es war ein echtes Streitgespräch, was da aus Anlass des Darwin-Jahrs im Rahmen der Vorlesungsreihe „Evolution und Schöpfung“ in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaft ablief. „Glaube an einen Schöpfergott und naturwissenschaftliche Erkenntnis sind nicht vereinbar“, machte der FU-Neurobiologe Randolf Menzel gleich zu Beginn klar. „Wissenschaft und Glauben ergänzen sich und sind aufeinander angewiesen“, konterte Markus Vogt vom Lehrstuhl für Christliche Sozialethik der Uni München. Der katholische Theologe ist nicht nur – wie zu erwarten – davon überzeugt, dass die Naturwissenschaften die Theologie brauchen, um etwa Fragen der ethischen Bewertung von Forschung beantworten zu können.

Er findet auch, dass die Naturwissenschaften für sein Fachgebiet ein Segen sind: „Die Evolutionstheorie hat die Theologie davor bewahrt, ihre Aussagen an statische Modelle zu hängen.“ Hier sprach kein Kreationist, der Darwins Theorie ablehnt, und auch kein Anhänger des „Intelligent Design“. Hier sprach ein naturwissenschaftlich gebildeter Theologe, der Wert darauf legt, auf der Höhe seiner eigenen Wissenschaft zu sein, wenn er die biblische Schöpfungsgeschichte als bilderreiche Erzählung versteht, die in ihrem historischen Entstehungskontext verstanden werden will. „Wir dürfen die Bibel nicht wörtlich, aber wir müssen sie als verbindlich nehmen.“

Warum man überhaupt von Gott sprechen müsse, wenn er als Erklärung entbehrlich sei, wollte Moderator Richard Schröder, selbst als Theologe an der Humboldt-Uni tätig, von Vogt wissen. „Die Evolutionstheorie beantwortet nicht die Frage nach dem intentionalen Ursprung und nach dem Sinn des Lebens“, antwortete Vogt. „Ohne Gott hängt die Welt im Leeren.“

Und schon schien aus dem Streitgespräch ein kooperatives Teamwork hervorzugehen. „Einen großen Teil dessen, was Herr Vogt vorgetragen hat, kann ich mittragen“, beteuerte jedenfalls Menzel. Der Neurobiologe meinte damit die Argumente, die sein Gesprächspartner zur nützlichen Funktion des religiösen Glaubens angeführt hatte. Schon zuvor hatte er ausgeführt, dass die Hirnleistungen des präfrontalen Cortex den Menschen zu einem Lebewesen machen, das „geradezu leidenschaftlich nach Ursachen sucht – und dabei manchmal auch hereinfällt“.

Im Verein mit der menschlichen Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen und ihre Gedanken und Gefühle zu teilen, habe das zur Herausbildung „transzendentaler Vorstellungen als sozialer Vereinbarungen“ geführt. Weil man sich kaum vorstellen kann, dass nicht stimmt, was doch alle annehmen, habe für religiöse Vorstellungen lange Zeit „kaum ein Überprüfungsanspruch“ bestanden. „Doch mit zunehmendem Wissen werden solche Vorstellungen auch zunehmend verdrängt.“ Wenn sich Gott und Wissenschaft allzu sehr widersprechen, können sie sich auf die Dauer nicht nebeneinander halten, davon ist der Neurobiologe überzeugt.

Vom „Gotteswahn“ zu sprechen, wie der britische Evolutionsbiologe und Bestseller-Autor Richard Dawkins das in seiner deutlich aggressiveren Religionskritik tut, hält Menzel für falsch. „Dawkins ist ein ehrenwerter Wissenschaftler, er unterschätzt jedoch die evolutionär hilfreichen Aspekte der Religion.“ Weder über Darwin noch über Dawkins gab es folglich an diesem Abend echten Streit.

Und doch trennten die freundlichen „Kontrahenten“ bei genauerer Betrachtung Welten – sobald es nicht mehr nur um das bio-sozio-psychologische Phänomen des Glaubens, sondern um dessen Inhalte ging. Für Vogt ist Gott nicht allein der „Horizont der Transzendenz, den wir brauchen, um uns selbst sinnvoll zu denken“. Er ist auch Person. Menzel ist sich dagegen sicher: „Wenn es die Menschen nicht gibt, gibt es auch keinen Gott. Gott ist ein Erkenntnismedium des menschlichen Gehirns.“ Kraft und Bedeutung des Glaubens würden durch diese Einsicht keineswegs geschmälert. „Der Glaube an Gott als die Ursache von allem ist ausgesprochen hilfreich und nützlich, vielleicht ist er sogar der tollste Trick, der sich im Verlauf der Evolution eingestellt hat – auch wenn er auf einem tiefen Irrtum beruht.“ Adelheid Müller-Lissner

Adelheid Müller-Lissner

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