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Wissen: Reparatur am Rückenmark

In den USA hat der erste klinische Test einer Stammzelltherapie begonnen

Der Name scheint nicht gerade für Weltruhm geschaffen: GRNOPC1. So heißen die Zellen, die nun in Atlanta in den USA einem Patienten mit einer Rückenmarksverletzung gespritzt wurden. Es ist der erste klinische Test einer Therapie, die auf embryonalen Stammzellen basiert. Damit scheint die Ära der regenerativen Medizin, mit ihrem Versprechen von Blinden, die wieder sehen, und Lahmen, die wieder gehen können, in greifbare Nähe zu rücken.

Doch zunächst möchte die kalifornische Pharmafirma Geron lediglich beweisen, dass ihre Therapie sicher ist. Im Gegensatz zu dem, was die meisten Zeitungen nun verbreiten, sind dem Patienten keine embryonalen Stammzellen gespritzt worden. Das wäre viel zu gefährlich. Denn die Zellen sind zwar einerseits Alleskönner, die zu jeder beliebigen Zelle des Körpers werden können, andererseits haben sie aber auch keine Hemmungen, sich immer weiter zu teilen. Darum ist das Risiko hoch, dass sich ein Tumor entwickelt.

Die Zellen überzähliger Embryonen aus einem Zentrum für künstliche Befruchtung waren nur das Ausgangsmaterial. Im Labor wurden sie mit einem Cocktail von Nähr- und Signalstoffen angeregt, sich zu Vorläufern eines Nervenzelltyps, der Oligodendrozyten, zu entwickeln. Diese wurden dann durch eine dünne Nadel an den Verletzungsort im Rückenmark gespritzt.

Oligodendrozyten umhüllen mit ihren fettigen Fortsätzen die „Kabel“, über die Zellen miteinander kommunizieren. Die Fettschicht isoliert den Nerv und verbessert so die Fortleitung des elektrischen Reizes. Multiple Sklerose etwa basiert vor allem auf einer Schädigung dieser Zellen.

Auch bei Verletzungen des Rückenmarks werden Oligodendrozyten geschädigt. Und Versuche weisen darauf hin, dass auch das Umgekehrte gilt: Das gezielte Einbringen der Zellen kann einem verletzten Rückgrat dabei helfen, Nerven wieder auszusprossen und zu verbinden. So hat Geron an Mäusen zeigen können, dass das Einbringen der Vorläuferzellen GRNOPC1 die Bewegungsfähigkeit der Tiere innerhalb weniger Wochen verbessert.

Die amerikanische Aufsichtsbehörde, die Food and Drug Administration (FDA), hatte die Tests an Menschen bereits im Januar 2009 zugelassen. Doch als bei einigen behandelten Tieren Zysten beobachtet wurden, zog die Behörde ihre Erlaubnis zurück und forderte weitere Tests. Erst am 30. Juli dieses Jahres gab die FDA dann erneut grünes Licht. Ziel von Geron ist es nun, bis zu zehn Personen mit den Zellen zu behandeln. Infrage kommen aber nur Menschen, deren Rückenmarksverletzung nicht länger als 14 Tage zurückliegt.

Gegner kritisieren die Forschung, weil dafür menschliche Embryonen zerstört werden. Die Fachwelt aber wartet mit Spannung auf die ersten Ergebnisse. Obwohl es nur darum geht, die Sicherheit des Verfahrens zu zeigen, hoffen die meisten Forscher bereits den Beginn der Ära der regenerativen Medizin zu erleben. Schon im nächsten Jahr könnten weitere Studien folgen: So plant eine Arbeitsgruppe in London mit klinischen Tests einer Stammzelltherapie für Makuladegeneration zu beginnen, einem der häufigsten Gründe für Blindheit.Kai Kupferschmidt

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