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Übers Meer gekommen. Die Levantiner Landschnecke (Levantina spiriplana) erreichte im 14. Jahrhundert die Insel Rhodos – eingeschleppt von Kreuzrittern, die auf dem Rückzug aus dem Nahen Osten waren.

© UHH/Glaubrecht

Rhodos: Die Schnecke der Kreuzritter

Auf der griechischen Insel Rhodos lebt eine besondere Form der Schnecken. Erbgutanalysen zeigen: Sie wurden von Kreuzrittern eingeschleppt - möglicherweise als Delikatesse.

In langen Schlangen drängen sich die Touristen durch den Großmeisterpalast auf der griechischen Insel Rhodos, bestaunen wunderbar erhaltene Mosaike mit Vögeln, Delfinen und Amphoren auf den Böden und alte Kirchenbänke aus matt glänzendem Holz. Zwei Jahrhunderte lang war dieser Gebäudekomplex das Machtzentrum der Kreuzritter des Johanniter-Ordens. Kaum einer der Touristen ahnt, dass die Kreuzritter neben diesen Gebäuden aus Kalkstein auch in der Tierwelt der Insel deutliche Spuren hinterlassen haben: Nur im Großmeisterpalast sowie in einer anderen Kreuzritter-Burg lebt auf Rhodos eine bestimmte Form der Levantiner Landschnecken, während überall sonst auf der Insel eine ganz andere, leicht unterscheidbare Form dieser Schnecken-Gattung zu finden ist.

Die Schnecken sind nur an zwei Orten auf Rhodos zu finden

Matthias Glaubrecht, der kürzlich vom Berliner Museum für Naturkunde als Direktor an das Centrum für Naturkunde der Universität Hamburg wechselte, wunderte sich bereits während seiner Diplomarbeit vor 25 Jahren über diesen Zusammenhang zwischen einer Form der Levantiner Schnecken und dem Aufenthaltsort der Kreuzritter. „Das Gehäuse der Tiere im Großmeisterpalast hat unten ein offenes Nabelloch“, erläutert Glaubrecht. Genauso ist auch die Schale der Schnecken in der anderen Kreuzritterburg auf Rhodos gebaut. Bei allen anderen Levantiner-Schnecken auf der Insel ist das Nabelloch im Gehäuse dagegen überdeckt.

Die Verteilung verblüfft vor allem deswegen, weil verwandte Tiere dieser Gattung nur auf einigen nahe liegenden Ägäis-Inseln und einem kleinen Abschnitt der türkischen Küste gleich gegenüber von Rhodos vorkommen. In großer Zahl hingegen leben sie an der mehr als 700 Kilometer entfernten Mittelmeerküste von Israel, dem Libanon und Syrien – und das in beiden Formen: mit offenem Nabelloch im Süden der Region und mit der überdeckten Form im Norden. Bereits 1990 vermutete Glaubrecht, dass die Kreuzritter die Schnecken mit dem offenen Nabelloch mitgebracht hatten, als sie sich 1291 aus dieser als Levante bekannten Gegend zurückziehen mussten. Er stützte diese Annahme allerdings nur auf die Form der Schalen und die Verteilung dieser Formen.

Die Tiere erreichten die Inseln in zwei Wellen

Das war zwar ein wichtiges Indiz, besser ist aber ein Stammbaum. Der ließ sich in den 1990er Jahren kaum aufstellen, weil Fossilien dieser Schnecken weitgehend unbekannt sind. Inzwischen können Molekularbiologen solche Abstammungslinien auch aus dem Erbgut heute lebender Schnecken rekonstruieren. Gemeinsam mit Valerio Ketmaier von der La-Sapienza-Universität in Rom hat Glaubrecht aus den in den 1990er Jahren gesammelten und bis heute in Berlin und Hamburg konservierten Tieren das Erbgut DNS isoliert und analysiert. Die im Fachmagazin „Zoosystematics and Evolution“ (hier geht es zur PDF-Fassung der Studie) veröffentlichen Ergebnisse stützen sich auf Erbgutabschnitte, die nur in den „Mitochondrien“ genannten Minikraftwerken lebender Zellen vorkommen. Sie zeigen, dass die Schnecken in zwei Wellen Rhodos und die nahe liegenden Inseln erreichten: Einmal vor etwa 2,8 bis 3,5 Millionen Jahren und ein zweites Mal in der jüngeren Vergangenheit.

Zu groß, um als blinde Passagiere auf Vögeln zu reisen

„Offensichtlich kamen die Schnecken auf ihrer eigenen Schleimspur bereits vor Jahrmillionen auf die Dodekanes-Inseln in der Ägäis“, sagt Glaubrecht. Die im Norden der Levante vorkommenden Tiere mit dem überdeckten Nabelloch lebten damals wohl entlang der Südküste der heutigen Türkei und erreichten so auch Rhodos, das damals mit dem Festland verbunden war.

Dieser Weg war für die zweite Schneckenwelle ausgeschlossen, der Meeresspiegel stand zu hoch. „Eine Reise übers Meer kommt ebenfalls nicht infrage, weil die Schnecken kein Salzwasser vertragen“, sagt Glaubrecht. Für einen Transport als blinde Passagiere im Gefieder von Vögeln sind die Weichtiere, deren Gehäuse das Format eines Zwei-Euro-Stücks hat, zu groß. Bleiben nur noch die Kreuzritter, die 1291 aus dem Süden der Levante vertrieben wurden. Als Erstes machten sie auf Zypern Station – und plötzlich tauchen auch dort Levantiner Landschnecken auf, obwohl die Insel seit Jahrmillionen nicht mehr mit dem Festland verbunden war. 1309 hatten die Kreuzritter auch Rhodos erobert, bauten dort den Großmeisterpalast, in dem die Schneckenform mit dem offenen Nabelloch noch heute lebt.

Schnecken als Fastenspeise

„Die Schnecken kamen also einmal auf natürlichem Weg und ein zweites Mal mit Unterstützung der Menschen nach Rhodos“, ist Glaubrecht überzeugt. Die Tiere leben in Kalkstein, den die Kreuzritter als Baumaterial mitsamt den darin kriechenden, blinden Passagieren mitgebracht haben könnten. Vielleicht haben die Kreuzritter auch bewusst Schnecken importiert. In der Fastenzeit durften sie schließlich kein Fleisch von Säugetieren essen, Weichtiere waren erlaubt. Und Levantiner Schnecken galten damals als Delikatesse – von denen die eine oder andere vielleicht entkommen ist und im Großmeisterpalast ein neues Zuhause fand.

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