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Erfinder. Nick Gerritsen gewinnt aus Abwasser Rohöl.

©  RHK

Rohölgewinnung: Von der Kläranlage in den Tank

Sauberes Abwasser und Energie: In Neuseeland wird aus den Algen in einem Klärteich Rohöl gewonnen. Das Algen-Rohöl unterscheidet sich praktisch kaum von dem im Persischen Golf oder im Golf von Mexiko geförderten Erdöl.

Nick Gerritsen von der Firma „Aquaflow“ trifft seine Geschäftspartner aus aller Welt gern in der Kläranlage von Blenheim in Neuseeland. Dort kann er ihnen nämlich nicht nur die Lösung für ein Problem zeigen, das viele Kommunen in aller Welt beschäftigt, sondern auch einen klimaneutralen Ersatz für das anscheinend unersetzliche Erdöl: In einem leuchtend blauen Container verwandelt die Firma dort die Nährstoffe aus den Abwässern der Region in eine Algenpaste, aus der später Rohöl, Kerosin für Flugzeuge oder Industriechemikalien hergestellt werden können.

Bisher landeten die Abwässer der 14 000-Einwohner-Stadt Blenheim und der vielen Weinbaubetriebe der Region Marlborough in insgesamt 60 Hektar großen Klärteichen in der Nähe des Pazifiks. Natürlich vorkommende Algen vermehren sich dort mit Hilfe der Nährstoffe in den Abwässern und des Sonnenlichtes stark. „Jedes Jahr flossen fünf Milliarden Liter dieser Algenbrühe ins Meer“, sagt Gerritsen. Die Naturschützer waren aufgebracht, weil dadurch das Ökosystem Meer beeinflusst wird. Natürlich kann man die Brühe auch trocknen und den Klärschlamm in Kraftwerken verfeuern. Doch das ist teuer.

Gleichzeitig wird die Rechnung für Erdöl und seine Produkte nicht nur für abgelegene Länder wie Neuseeland immer höher. Diese Situation ist paradox, überlegte Nick Gerritsen: „Vor vielen Jahrmillionen entstand Erdöl aus den gleichen Algen, die heute den Kommunen Probleme machen.“ Mit dieser Überlegung war 2005 die Geschäftsidee von Aquaflow geboren. „Weshalb sollten wir nicht den Spieß umdrehen und die Bildung von Rohöl mit moderner Technik nachahmen?“ So könnten die Gemeinden sogar Geld mit dem Abwasser und den Algen verdienen und Länder wie Neuseeland die Abhängigkeit von teuren Erdölimporten ein wenig mildern.

Chemiker und Verfahrenstechniker wie Paul Dorrington und Leith Pemberton setzten diese Idee in die Praxis um. Das Ergebnis steht in Form eines blau lackierten, zwölf Meter langen Containers neben den Klärteichen von Blenheim. Pro Stunde werden rund 50 000 Liter Wasser zu dem Container gepumpt. Mit Hilfe spezieller Biochemikalien, die von den Wissenschaftlern entwickelt wurden, werden dabei die meisten Algen zum Ausflocken gebracht und herausgefiltert. Details wie die Zusammensetzung der Chemikalien, die Mechanik im Container oder die Fließgeschwindigkeit bleiben allerdings Betriebsgeheimnis, weil darin allerhand Ingenieursarbeit steckt.

Am Ende fließt aus dem Container jedenfalls so sauberes Wasser, dass es zum Bewässern der Weinberge in Marlborough verwendet werden kann. Wasser ist in relativ trockenen Regionen wie Marlborough schließlich eine wertvolle Ressource. „Wir arbeiten bereits an einer Verbesserung der Technik, um Trinkwasserqualität zu erreichen“, erklärt Dorrington die weitere Entwicklung.

Schon heute holen die Ingenieure aus ihrem Container eine Algenpaste, die anschließend weiter verarbeitet wird. Die genauen Daten des folgenden, „Pyrolyse“ genannten Prozesses sind natürlich wieder ein Betriebsgeheimnis. Die Grundlagen aber sind bekannt – und ähneln der Entstehung von Erdöl in der Natur. Das bildet sich in Jahrmillionen tief unter dem Meeresgrund bei hohem Druck und Hitze. Um das Ganze zu beschleunigen, erzeugen die Ingenieure bei Temperaturen zwischen 250 und 450 Grad Celsius und dem 50- bis 100-fachen Druck der Erdatmosphäre auf Meereshöhe in ihrem Konverter „überkritisches Wasser“. Bei dieser Form des H2O verschwinden die physikalischen Unterschiede zwischen flüssigem Wasser und Wasserdampf. Unter diesen Bedingungen entsteht binnen Stunden aus der Algenpaste Rohöl.

Die so an einem Tag aus den Klärteichen von Blenheim gewonnenen 300 oder 400 Liter Öl reichen zwar bei weitem nicht, um die Kleinstadt und ihre Umgebung mit Sprit zu versorgen. Aber sie drehen immerhin den Spieß um und bringen Geld. Schließlich unterscheidet sich das Algen-Rohöl praktisch kaum von dem im Persischen Golf oder im Golf von Mexiko geförderten Erdöl. Im letzten Schritt können daraus nämlich in einer Raffinerie die gleichen Produkte wie aus herkömmlichem Erdöl hergestellt werden. Kerosin für Flugzeuge zum Beispiel, aber auch Rohstoffe für die chemische Industrie oder die Herstellung von Medikamenten und Kosmetika. Obendrein entstehen im Konverter auch leichtflüchtige Substanzen wie Methan, die als Erdgas verkauft werden können.

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