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Satelliten: Blick in den kosmischen Hexenkessel

Der Satellit „Glast“ soll die energiereichsten Phänomene im All beobachten. Bis heute rätseln Astronomen, wie sie entstehen

Von Rainer Kayser, dpa

Explodierende Sterne, gefräßige Schwarze Löcher, rasend schnell rotierende Neutronensterne mit gewaltigen Magnetfeldern, Materiestrahlen, die mit fast Lichtgeschwindigkeit aus Galaxiezentren schießen – das Weltall ist ein Hexenkessel voller hochenergetischer Vorgänge. Doch hohe Energien bedeuten auch extrem kurze Wellenlängen: Die interessantesten kosmischen Phänomene leuchten am hellsten im Bereich der Röntgen- und Gammastrahlung.

Und für diese Strahlungen ist die irdische Atmosphäre – zum Glück für alle Lebewesen auf der Erde – undurchsichtig. Um einen Blick auf diese Vorgänge zu werfen, müssen Astronomen deshalb ins Weltall ausweichen. Am 16. Mai will die amerikanische Weltraumbehörde Nasa das bislang modernste Gammateleskop ins All schießen: Glast, das „Gamma Ray Large Area Space Telescope“, das nach dem erfolgreichen Start noch einen wohlklingenden Namen erhalten soll. „Large Area“ bedeutet dabei: großes Gesichtsfeld. Denn Glast hat mit seinen Instrumenten praktisch den ganzen Himmel gleichzeitig im Blick.

Gammastrahlung verhält sich wie Strom

Ein neues Fenster ins Universum öffnet der 690 Millionen Dollar teure Satellit, erklärt Giselher Lichti vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching bei München: „Die bisherigen Gammateleskope hatten dieses Fenster nur einen Spalt breit geöffnet.“ Doch das neue Observatorium ist 30 Mal empfindlicher als sein Vorgänger Compton, der von 1991 bis 2000 Daten zur Erde funkte.

Zwar ist Gammastrahlung genau wie sichtbares Licht eine elektromagnetische Welle. Doch bedingt durch die milliardenfach größere Energie wirkt die Strahlung völlig anders, wenn sie auf Materie trifft: Sie verhält sich nicht mehr wie eine Welle, sondern wie ein Strom aus Teilchen. Wie ihre Kollegen in der Teilchenforschung messen deshalb auch die Astronomen die Energie dieser Gammaquanten in Elektronenvolt. Die Instrumente von Glast decken den enormen Bereich von 10 000 bis 300 Milliarden Elektronenvolt ab. Zum Vergleich: Sichtbares Licht besitzt eine Energie von nur rund zwei Elektronenvolt.

Teleskope für Gammastrahlung müssen deshalb ganz anders gebaut sein, als optische Fernrohre. Die Gammaquanten würden nämlich Linsen und Spiegel aus Glas durchschlagen. Die Astronomen müssen also komplexe Detektoren verwenden, wie sie in der Teilchenphysik üblich sind.

Strahlungsausbrüche bleiben ein Rätsel der Astronomie

An Entwicklung und Bau dieser Detektoren waren nicht nur US-Wissenschaftler, sondern auch Forscher aus Frankreich, Italien, Japan, Schweden und Deutschland beteiligt. So waren Lichti und seine Kollegen für den Bau eines der beiden Hauptinstrumente von Glast, dem „Burst Monitor“, verantwortlich. Damit wollen sie den extrem kurzzeitigen Gammastrahlungsschauern („bursts“) nachspüren, die fast täglich aus den Tiefen des Alls zur Erde gelangen. Diese Strahlungsausbrüche gehören seit 40 Jahren zu den großen Rätseln der Astronomie. Ende der sechziger Jahre betrieb die US-Luftwaffe das Projekt „Vela“, bei dem von Satelliten aus nach verräterischer Röntgen- und Gammastrahlung sowjetischer Atomversuche gefahndet wurde. Tatsächlich stießen die Detektoren der Vela-Satelliten auf nur Sekunden oder Bruchteile von Sekunden dauernde Gammaschauer, die jedoch nicht vom Erdboden – also auch nicht von sowjetischen Kernwaffen – stammten, sondern aus dem Weltall. Das Vela-Projekt war höchst geheim, denn die Sowjets sollten nichts von den Überwachungsmöglichkeiten der Amerikaner wissen. Und so erfuhr die Fachwelt erst 1973 von den rätselhaften Strahlungsblitzen, die sich keinem bekannten Himmelsobjekt zuordnen ließen. Zunächst war sogar unklar, ob ihr Ursprung in unserem Sonnensystem, in der Milchstraße oder in fernen Galaxien zu suchen sei.

Erst die Messungen des Compton-Satelliten zeigten, dass die Gammaausbrüche von kosmischen Katastrophen in fernen Galaxien künden – und die energiereichsten Prozesse im Kosmos sind. „Ein Gammaausbruch setzt innerhalb von Sekunden soviel Energie frei wie die Sonne in ihrem ganzen Leben“, vergleicht Neil Gehrels vom Goddard Space Flight Center der Nasa. Inzwischen haben die Astronomen zwei Modelle entwickelt. Die Explosion extrem massereicher Sterne führt danach zu Ausbrüchen, die länger als zwei Sekunden andauern. Kürzere Gammaausbrüche dagegen entstehen durch den Zusammenstoß von zwei Neutronensternen oder Schwarzen Löchern. Nicht alle Beobachtungen fügen sich jedoch widerspruchslos in diese Vorstellungen ein. „Es gibt noch ein ganze Reihe offener Frage, die wir mit Glast zu beantworten hoffen“, sagt Lichti.

Draußen wartet die Überraschung

Zusätzlich zu den Gammaausbrüchen wollen die Astronomen mit Glast aber auch eine Vielzahl anderer Phänomene ins Visier nehmen. So hoffen die Himmelsforscher auf neue Erkenntnisse über die supermassiven Schwarzen Löcher, die in den Zentren von Galaxien ständig Materie aufsaugen. Ihr starkes Magnetfeld bündelt einen Teil dieser Materie zu einem hochenergetischen Strahl, der mit nahezu Lichtgeschwindigkeit Hunderttausende von Lichtjahren weit ins All schießen kann. „Aber noch wissen wir nicht, wie diese Materiestrahlen genau entstehen“, sagt Peter Michelson von der Stanford Universität, der das Weitwinkelteleskop von Glast betreut. Damit wollen die Astrophysiker in die Entstehungszone dieser Materiestrahlen hineinblicken.

Neben der Untersuchung all dieser bekannten Strahlungsquellen wird Glast sicherlich auch auf bislang unbekannte Phänomene stoßen. So konnten die Astronomen insgesamt 172 der von Compton entdeckten Gammaquellen bisher nicht identifizieren – noch weiß also niemand, welche Geheimnisse sich hinter diesen Objekten verbergen. „Da draußen warten noch Überraschungen auf uns“, sagt Nasa-Forscher David Thompson vom Glast-Team, „und ehrlich gesagt hoffen wir auch darauf, überrascht zu werden.“

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