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Gewissensfragen. Die Universität Düsseldorf entscheidet am Dienstag, ob sie im Fall Schavan ein formelles Verfahren eröffnet.

© dapd

Schavans Dissertation: Im Griff der Gutachter

Im Umgang mit dem Plagiatsverdacht gegen Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) hat ein Gutachter der Universität Düsseldorf ein rechtmäßiges Vorgehen bescheinigt. Auch andere Experten diskutieren, was bei Plagiatsverfahren richtig und wichtig ist.

Im Plagiatsverfahren um die Doktorarbeit von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) geht die Uni Düsseldorf in die Offensive. Mit einem Rechtsgutachten wehrt sich die Hochschule, an der Schavan 1980 promoviert wurde, gegen Kritik an ihrem Vorgehen. „Verfahrensfehler sind nicht festzustellen“, heißt es in der Analyse, die der Bonner Wissenschaftsrechtler Klaus Ferdinand Gärditz verfasst hat. „Die Universität prüft objektiv, nüchtern und ohne Ansehung der Person“, sagte Gärditz dem Tagesspiegel.

Die Uni veröffentlichte das Gutachten wie berichtet am Mittwochabend auf ihrer Homepage. Es kommt kurze Zeit, bevor es ernst wird für Schavan. Am kommenden Dienstag befasst sich der Rat der Philosophischen Fakultät mit dem Fall. Neun Monate, nachdem im Internet die Plagiatsvorwürfe bekannt wurden, müssen die Mitglieder über die Frage befinden, ob sie das Hauptverfahren zur Aberkennung des Titels einleiten. In einem ersten Schritt hatte die Ministerin eine Niederlage erlitten. Der Promotionsausschuss, der die Arbeit vorprüfte, hatte empfohlen, den Doktorgrad zu entziehen.

Was kann Schavan am Dienstag passieren? Ob der Fakultätsrat eine Entscheidung über die Verfahrenseröffnung fällt oder sich vertagt, ob er Schavan sogar gleich den Titel aberkennt oder sie entlastet, ist unklar. Mit dem Gutachten dürfte sich die Uni gegen juristische Anfechtungen absichern wollen. Denn sie stand stark unter Beschuss. Das Vorgehen sei der Bedeutung des Falls nicht angemessen, kritisierten Politiker und Spitzen der Wissenschaftsorganisationen. Für die Uni eine heikle Situation: Die Akzeptanz ihres Urteils hängt davon ab, ob das Verfahren wasserdicht ist. Die Frage könnte sich vor Gericht stellen, falls Schavan gegen einen möglichen Entzug klagt.

Stein des Anstoßes ist eine vertrauliche Expertise des Vorsitzenden des Promotionsausschusses Stefan Rohrbacher, die im Herbst öffentlich wurde. Auf 75 Seiten soll Rohrbacher die Arbeit analysiert und eine „leitende Täuschungsabsicht“ Schavans festgestellt haben. Diese „Sachstandsermittlung“ sollte die Grundlage für die Vorprüfung sein. Die Kritik entzündete sich vor allem an zwei Punkten: Die Uni müsse mindestens ein weiteres, möglichst externes Gutachten einholen. Dass mit dem Judaisten Rohrbacher ein Fachfremder die Arbeit analysierte – Schavan wurde in der Erziehungswissenschaft promoviert – wurde ebenfalls kritisiert.

Bei der Rohrbacher-Expertise ist es dennoch geblieben, wie aus dem Gärditz-Gutachten hervorgeht. Dort heißt es, ein Fachvertreter sei keineswegs zwingend. Schließlich ging es nur darum festzustellen, ob Schavan fremde Textpassagen übernommen hat, ohne diese zu kennzeichnen. „Dazu wird grundsätzlich jeder Wissenschaftler, zumindest wenn er mit der Analyse von Texten vertraut ist, hinreichend kompetent sein, auch wenn er einer anderen Disziplin angehört“, urteilt Gärditz. Er hat bereits mehrere Plagiatsfälle juristisch begleitet, zuletzt an der Uni Bonn gegen die Unternehmerin Margarita Mathiopoulos und gegen den FDP-Politiker Jorgo Chatzimarkakis.

Verteidiger Schavans wandten ein, in der Erziehungswissenschaft galten vor dreißig Jahren andere Maßstäbe als heute. Dies habe Rohrbacher außer Acht gelassen. Das überzeugt Gärditz nicht; auch damals „war die Erziehungswissenschaft eine universitäre Disziplin“ mit „methodischen Mindestanforderungen im Umgang mit fremden Texten“, heißt es. Zur Debatte stehe „die Missachtung jedweder Standards durch Plagiat“, nicht fachliche Qualitätsstandards.

Auch daher sei ein zweiter Gutachter unnötig. Zudem würden die wohlüberlegten Voten der Fakultätsratsmitglieder als zusätzliche Gutachter fungieren. Süffisant merkt Gärditz an, dass unbefangene externe Experten ohnehin kaum zur Verfügung stünden. „Eine Reihe“ von in Betracht kommenden Wissenschaftlern habe sich „aus eigenem Antrieb durch Übersendung unangefragter Gutachten und Veröffentlichung von Presseartikeln aktiv für die Betroffene eingesetzt“, heißt es. Ob die von Rohrbacher beanstandeten Stellen ausreichen, um Schavan den Titel zu entziehen, beantwortet Gärditz in seiner Analyse ausdrücklich nicht. Dass Rohrbachers internes Gutachten bekannt und in den Medien diskutiert wurde, führe nicht zu einem Verfahrensfehler oder zu „institutioneller Befangenheit“. Aus der Sicht der Uni wiederum verstößt die Veröffentlichung der Gärditz-Expertise offenbar nicht gegen den von Schavan verhängten Maulkorb zum Verfahren.

Wie sehen andere Hochschulrechtsexperten den Fall Schavan?

Wie sehen andere Hochschulrechtsexperten den Fall Schavan? Konkret will sich dazu zwar keiner äußern. Doch was sie zu der Frage sagen, wie Plagiatsverfahren in der Regel aussehen, lässt Rückschlüsse auf Düsseldorf zu. So hält es auch der Jurist Volker Epping von der Uni Hannover nicht für zwingend, für den reinen Wortvergleich einen Fachvertreter die Arbeit prüfen zu lassen. „Jeder, der der deutschen Sprache mächtig ist, muss das hinkriegen“, sagt Epping. Oft reichten die Erkenntnisse eines solchen Vergleichs aus, um eine Täuschungsabsicht festzustellen. Erst wenn Gedankenklau ins Spiel komme, sei eine fachliche Expertise des Prüfenden von Vorteil.

Ohnehin sei in Promotionsordnungen nur selten festgeschrieben, wie genau das Vorgehen auszusehen haben, sagt Epping: „Die Kommissionen haben daher meistens völlige Freiheit, auf welche Weise sie den Plagiatsvorwurf untersuchen.“ Stefan Hornbostel, Leiter des Instituts für Forschungsinformation und Qualitätssicherung, hält die Offenheit bei der Gutachterbestellung für richtig: „Vor Gericht gibt es ja auch keine Regel, wie viele Sachverständige anzuhören sind.“

Bei anderen prominenten Plagiatsfällen jedenfalls reichte den Unis oft eine Expertise aus. So ließ die Uni Bonn bei den Verfahren gegen Mathiopoulos und Chatzimarkakis auch nur je ein Gutachten erstellen. Vor Gericht hatte das Vorgehen in erster Instanz Bestand: Das Verwaltungsgericht Köln hat den Entzug der Titel jeweils bestätigt. Wie berichtet, geht Mathiopoulos jetzt in Berufung.

Immerhin gutachteten bei Mathiopoulos vier Professoren. Das hatte praktische Gründe, sagt Gärditz: „Wir haben uns die Arbeit geteilt.“ Dass es in einer solchen Expertise zu einer Wertung kommt, hält Gärditz für selbstverständlich: „Natürlich haben Berichterstatter die Stellen einzuordnen und einen Vorschlag zu machen.“ Dem Geist einer „Sachstandsermittlung“ widerspreche das nicht.

Der Düsseldorfer Fakultätsrat wird auf jeden Fall viele Gesichtspunkte bedenken müssen. In der Vorprüfung durch einen Ausschuss werde typischerweise nur festgestellt, ob überhaupt hinreichende Anhaltspunkte für eine Täuschung vorliegen, sagt Volker Epping. Der entscheidende Fakultätsrat müsse zunächst prüfen, ob er ebenfalls von Täuschungen ausgeht. Tut er das, müsse er darüber hinaus für die Frage des Titelentzugs Ermessenserwägungen anstellen. Zu denken sei an den seit der Promotion vergangenen Zeitraum. Gerade die Überprüfung des Ermessens spiele erfahrungsgemäß später vor Gericht eine große Rolle. Wegen der komplexen Gemengelage halten Experten es für unwahrscheinlich, dass Schavan der Titel schon am Dienstag entzogen wird.

Wie stark sich die Gerichte mit solchen Fragen auseinandersetzen, zeigt die Urteilsbegründung zum Fall Mathiopoulos. Dort widmen sich die Richter in einer langen Passage Verjährungsfragen. Mathiopoulos wurde 1986 promoviert, also nur wenig später als Schavan. Auf den Fall der Ministerin übertragen, könnte eine Entscheidung knifflig werden.

Prinzipiell dürfte der Titel zwar auch nach so langer Zeit entzogen werden, urteilten die Richter. Schließlich hätten Unis ein „über Jahrzehnte andauerndes Interesse“, Plagiate aus dem Wissenschaftsbetrieb herauszunehmen. Die Richter halten eine Verjährungsfrist für Titelentzug, wie sie in grundständigen Studienabschlüssen wie Jura gilt, grundsätzlich nicht für notwendig. Fristen seien nur bei „massiven Auswirkungen einer Entziehung auf die Berufsfreiheit der Betroffenen“ zu rechtfertigen, wenn diese nach dem Entzug ohne Abschluss dastehen. Bei Promovierten treffe das nur „in wenigen Fällen“ zu. „Diese Fälle können ohne Weiteres im Rahmen der allgemeinen Ermessensprüfung angemessen gelöst werden.“

Doch gerade darauf könnte Schavan hoffen. Sie legte eine Direktpromotion ab. Würde ihr der Doktortitel entzogen, hätte sie keinen Studienabschluss mehr. Welche Rolle das bei der Entscheidung in Düsseldorf spielt, bleibt abzuwarten.

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