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© Okapia

Schlaue Vögel: Taktische Betrüger

Wenn es ums Fressen geht, zeigen manche Vögel erstaunliche Intelligenz. Bei Laborversuchen legen sie durchaus auch Forscher herein.

Das ging erst mal schief. Der Kolkrabe hat genau beobachtet, in welcher der verschiedenfarbigen Futterdosen der Wissenschaftler den Leckerbissen deponiert hat. Als der Rabe endlich in den Raum mit den Futterdosen darf, schaut er sofort in die Dose mit dem Happen. Zum Fressen kommt er trotzdem nicht, weil der ebenfalls mit in den Raum spazierte Rabenbruder in der sozialen Hierarchie der Gruppe höher steht – und ihm den Leckerbissen wegschnappt. Aus Schaden wird der Kolkrabe klug, beim nächsten Versuch Tage später tappt er erst einmal zu einer leeren Futterdose. Auch diesmal will der Bruder ihm das Futter klauen, sucht jetzt aber vergeblich in der leeren Dose. Längst ist der rangniedere Rabenbruder zur Dose mit dem Leckerbissen gewackelt und hat endlich seine verdiente Belohnung im Schnabel. „Taktischen Betrug“ nennt Christian Schloegl dieses clevere Verhalten.

Der Verhaltensbiologe von der der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle (KLF) im österreichischen Grünau untersucht die Intelligenz von Vögeln. Rabenvögel und Papageien interessieren ihn besonders, weil in diesen Gruppen das Nidopallium relativ groß ausfällt. Das Nidopallium im Vogelgehirn entspricht der Großhirnrinde bei Säugetieren. Dort finden jeweils die höheren kognitiven Prozesse statt: in diesem Teil des Gehirns denkt das jeweilige Lebewesen.

Relativ viel Platz nimmt dieses Großhirn bei Walen, Hunden, Elefanten und den Affen bis hin zum Menschen ein. Diese Gruppen aber teilen viele Eigenschaften: Sie leben in Gemeinschaften zusammen, deren Mitglieder sehr stark miteinander interagieren. Wölfe und Hyänen zum Beispiel jagen gemeinsam und jedes Tier übernimmt eine bestimmte Aufgabe. Die kann es nur erfüllen, wenn es weiß, wie die anderen Rudelmitglieder auf unerwartete Tricks der potenziellen Beute reagieren. Das funktioniert nur bei einer gewissen Intelligenz. Affen, Wale, Elefanten und Hundeartige haben daneben jeweils eine relativ lange Jugend, die einzelnen Individuen erreichen normalerweise ein ziemlich hohes Alter.

„Genau die gleichen Eigenschaften haben bei den Vögeln die Rabenvögel und die Papageien“, sagt Schloegl. Kolkraben leben zum Beispiel in großen Gruppen, die zwischen einem Dutzend und einigen tausend Tieren umfassen können. Die Gruppen treten zwar gemeinsam auf, beim Fressen aber ist jedes Tier sich selbst das nächste. Da Kolkraben einen Teil des Futters verstecken, wenn der Vorrat für mehr als eine Mahlzeit reicht, zeigt sich ihre Intelligenz vor allem beim Verstecken.

So ein Versteck sollte gut gewählt sein, damit einem nicht ein ebenso cleverer Artgenosse die Vorräte stiehlt. Also verstecken Kolkraben Futter normalerweise nur dann, wenn sie niemand dabei beobachten kann. Das klappt in einer Gruppe allerdings nur selten, doch die Konkurrenz lässt sich meist austricksen. Ohne Hinzuschauen schätzen Kolkraben zum Beispiel ziemlich genau ein, wann sie für einen Artgenossen im „toten Winkel“ stehen. Befinden sie sich etwa hinter einer Barriere und verschwinden so aus dem Blick der Konkurrenz, verstecken sie ihren Vorrat schnell.

Auch das klappt aber nicht immer. In einem KLF-Experiment versteckte ein Kolkrabenweibchen daher das Futter auch dann, wenn die Konkurrenz zuschauen konnte. Danach räumte das Tier sein Versteck offensichtlich wieder aus, und verbarg das Futter an einem anderen Platz. Auf einen so plumpen Trick fällt natürlich kein Beobachter herein und die Wissenschaftler wollten das Fressen wieder aus dem neuen Versteck holen. Doch dort fanden sie nichts, weil das clevere Weibchen den Wechsel des Verstecks nur vorgetäuscht und somit sogar die Forscher reingelegt hatte.

Auch Saatkrähen holen aus ihrem Nidopallium erstaunliche Intelligenzleistungen. Als Forscher um den Briten Christopher Bird von der Universität Cambridge den Weg zu einer schmackhaften Larve mit diversen Hürden erschwerte, bewältigten die Tiere die Aufgaben mit Bravour. Einmal mussten sie Steine auf ein aufgebautes Gerüst werfen. Wählten sie die richtige Größe der Steine, fiel das Gerüst ein und die Larve landete im Schnabel. Rasch lernten die Saatkrähen, diese Aufgabe zu lösen. Einem Weibchen gelang der Trick sogar auf Anhieb, nachdem es vorher ein Männchen bei dessen Versuchen beobachtet hatte.

Anschließend versteckten die Wissenschaftler Mottenlarven in kleinen Eimerchen mit Henkel in einer senkrecht stehenden Röhre. Bald hatten die Saatkrähen den Trick herausgefunden: Sie bogen eines der angebotenen Drahtstücke zu einem Haken, mit dem sie die Eimer samt Larven aus dem Röhrchen herausfischen konnten, berichteten die Vogelforscher um Bird kürzlich im Fachjournal „PNAS“.

Die Intelligenzleistung lässt sich noch steigern, entdeckte Bird, als er Würmer in einem schmalen, stehenden Plastikröhrchen schwimmen ließ. Dummerweise war das Röhrchen zu eng, um den Wurm mit dem Schnabel herauszufischen. Zunächst inspizierten die Krähen den Sachverhalt ausgiebig, dann griffen sie zu den größeren Steinchen im Käfig und warfen sie ins Wasser, berichtet der Forscher im Fachblatt „Current Biology“, Band 19, Seite 1. Dadurch stieg der Wasserspiegel zwar, aber der Schnabel kam noch immer nicht an den Wurm. Weitere Steinchen folgten, bis der Leckerbissen endlich in Reichweite war.

„Mit solchen Experimenten testen wir allerdings nur jeweils eine bestimmte Fähigkeit“, erläutert Schloegl die Bedeutung solcher Beobachtungen. Zusammen mit Kollegen von der Universität Wien hat er zum Beispiel einen klassischen Intelligenztest für Tiere untersucht. Wenn etwa Futter unter einem von zwei Bechern versteckt ist, wissen Kolkraben sofort, dass der Leckerbissen unter dem anderen Gefäß sein sollte, wenn der Forscher ihm den ersten Becher als „leer“ gezeigt hat.

Der in den neuseeländischen Südalpen lebende Papagei Kea hingegen absolvierte diesen Test auf eine logische Schlussfolgerung erheblich schlechter. „Das heißt aber nicht, dass Kolkraben generell intelligenter sind“, sagt Schloegl. Die Raben sind bei Versteckspielen vor allem deshalb so clever, weil sie diese Art von Intelligenz bei ihren diebischen Nachbarn eben besonders brauchen. Keas dagegen überleben in der rauen Bergwelt Neuseelands nur, wenn sie alle Orte untersuchen, an denen zum Beispiel fressbare Wurzeln sein könnten. Also untersuchen sie ihre Umgebung genau und drehen jedes Steinchen zweimal um. Vor dieser Erkundungswut sind auf den Straßenpässen der Südinsel auch die Autos nicht sicher. Die Vögel inspizieren zum Beispiel die Scheibenwischer oder die Dichtungen von Türen und Fenstern, ob unter dem Gummi vielleicht etwas Schmackhaftes verborgen sein könnte. Dabei geht zwar einiges kaputt, aber die Papageien sind sich hinterher ganz sicher, keine Nahrung übersehen zu haben. Weil sie alles Schmackhafte aber sofort fressen und verstecken in ihrer Welt kaum vorkommt, schneiden sie beim Versteckspiel eben schlechter ab. „Anscheinend hat sich die Intelligenz von Keas und Kolkraben unabhängig voneinander und für unterschiedliche Zwecke entwickelt“, sagt Schloegl.

Das gibt es auch beim Menschen: Einer ist besser in Fremdsprachen, ein anderer setzt seine Großhirnrinde vor allem in der Kunst ein – und ein dritter untersucht eben die Intelligenz von Vögeln.

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