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Schlüsselübergabe im Lesesaal der Staatsbibliothek: „Monumental, aber nicht gigantoman“

Deutschlands "größte Universalbibliothek" soll nach acht Jahren Bauzeit im März wieder eröffnen - zumindest teilweise. Am Montag wurde der Schlüssel zum neuen Allgemeinen Lesesaal der Staatsbibliothek Unter den Linden übergeben - einem 400-Millionen-Euro-Projekt, das dem Zeitalter der Digitalisierung trotzt.

Um Bücher zu lesen, war Hermann Parzinger zuletzt im Sommer in der Staatsbibliothek, im Kulturforum an der Potsdamer Straße. Denn der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz arbeitet an einem neuen Buch. An diesem winterlichen Montag steht er nun erneut im Foyer der Staatsbibliothek – Unter den Linden dieses Mal, inmitten von einigen hundert Gästen. Gefeiert wird die Schlüsselübergabe für den wiedererstandenen Allgemeinen Lesesaal. Und der orange-rot leuchtende Bodenbelag des gläsernen Neubaus im Herzen von Deutschlands „größter Universalbibliothek“ lässt die lange Bauzeit seit 2004 fast vergessen.

Auf 406 Millionen Euro schätzen die Projektverantwortlichen die Kosten für die Generalsanierung des wilhelminischen Baudenkmals Unter den Linden, das nach Plänen von Ernst von Ihne im Jahr 1913 eröffnet wurde. Im Jahr 2016 wird die Sanierung des im Krieg beschädigten und zu DDR-Zeiten notdürftig reparierten „Haus 1“ der Staatsbibliothek abgeschlossen. Der von HG Merz entworfene neue zentrale Lesesaal soll im März kommenden Jahres für seine ungeduldig wartenden Nutzer öffnen. Denn die Staatsbibliothek, die mehr Fläche hat als der Reichstag, wird bei laufendem Betrieb saniert – und etappenweise übergeben.

Merz’ Lesesaal ist im wilhelminischen Ensemble das deutlichste Zeichen der Erneuerung. Die dreischichtige milchig-weiße Fassade besteht aus heißverformtem Glas. Im Inneren sind transluzente weiße Gewebebahnen vor die Glasflächen gespannt. Sie filtern das Tageslicht, den Büchern zuliebe. Und das harmoniert auch mit den warmen Farben und den Holztönen des Mobiliars. Merz’ Sinn für Dramaturgie zeigt sich beim Aufstieg vom Foyer die Treppe hinauf. Es ist ein Erlebnis, wie man vom düsteren Inneren des Gebäudes hoch ans Licht gelangt, ans Tageslicht – und zum Licht der Erkenntnis, dank der Sammlung der Staatsbibliothek.

Der Allgemeine wird von weiteren Lesesälen flankiert. Fertiggestellt ist auch der „Rara-Raum“, in dem die Architekten historische Bausubstanz wie Säulen und ein Gemälde mit moderner Ausstattung und einer Wandapplikation verbunden haben, einem schwarz-weißen Raster mit vereinzelt beleuchteten Elementen. Sein Konzept sei von Goethes Farbenlehre inspiriert, sagt HG Merz.

Noch fehlen die Bücher, bis März sollen 11 000 Bände aufgestellt sein – und die 250 Arbeitsplätze im Allgemeinen Lesesaal eingerichtet sein. 140 davon werden Forschern vorbehalten sein, die ein Projekt vorweisen können. Es sollen 19 Arbeitskabinen, die man mieten kann, bereitstehen, dazu zehn Rechercheplätze mit PC und ein Blindenarbeitsplatz. Die mit Tischen, Stühlen und Regalen ausgestatteten Säle, die Tresormagazine in den Kellergeschossen und auch das neue Digitalisierungszentrum können am Sonnabend, dem 15. Dezember, bei einem Tag der offenen Tür besichtigt werden.

"Monumental, aber nicht gigantoman"

Die Staatsbibliothek ist auch Teil des städtebaulichen Ensembles, das in Mitte, wie Stiftungs-Präsident Parzinger sagte, einen „Kuppeltanz“ vollführt: vom Dom bis zum Reichstag. Die Staatsbibliothek selbst hatte in ihrem historischen Kuppellesesaal bis zum Zweiten Weltkrieg ihr eigenes monumentales Pendant. Doch der seinerzeit 34 Meter hohe Saalbau fiel unter den Bomben. Und zu DDR-Zeiten füllten vier nüchterne Büchertürme die Leerstelle. Magazine ohne Publikumsverkehr im Herzen einer Bibliothek? Dieses Provisorium sollte die Nachwendejahre nicht lange überdauern. Nun steht also der Glaskubus mit seinem 18 Meter hohen Allgemeinen Lesesaal. Parzinger nennt ihn am Tag der Schlüsselübergabe „monumental aber nicht gigantoman“.

Aber sind die Millionen in einen Lesesaal wirklich gut investiert im Zeitalter von Google und Kindle? Sind nicht alle Druckwerke wie die zerknüllten Zeitungs- und Magazinseiten, die der Künstler Olaf Metzel unter die Decke des Lesesaals gehängt hat (Titel: „Noch Fragen?“) zum Aussterben verdammt? „Es ist und bleibt etwas anderes, ein Buch in Händen zu halten“, sagt Ingeborg Berggreen-Merkel, die den Bundeskulturbeauftragten Bernd Naumann vertrat. Sie erntet Beifall, als sie kämpferisch in die Runde ruft: „Es lebe das Buch!“

Zuvor hat bereits Baustaatssekretär Rainer Bomba aus dem Bundesministerium fast schon melancholisch an seine Studentenzeit erinnert – und wie man in Bibliotheken auch mal die Muße fand, „Zeit vorbeigehen zu lassen“ in der Gewissheit, hier „das geballte Wissen konzentriert und greifbar zu haben“.

Die Baukosten für die Staatsbibliothek haben die Experten einmal auf 365 Millionen Euro geschätzt. Das war noch vor der Erhöhung der Mehrwertsteuer, und damals waren auch andere Termine für die Fertigstellung angepeilt: Das Jahr 2011, in dem die Staatsbibliothek zu Berlin ihr 350. Jubiläum feierte. Ein Wechsel der Bauleitung, Baufirmen, die gleichzeitig auf dem Flughafen Schönefeld unabkömmlich waren – zurzeit geht Projektleiter Jens Andreae für das Gesamtensemble von einer „Inbetriebnahme“ im Jahr 2016 aus.

Staatssekretär Bomba verantwortet neben dem aus dem Kosten- und Zeitplan gelaufenen Airport auch den Neubau des Humboldtforums „schräg über die Straße“. Dort laufe alles planmäßig: „Im Mai nächsten Jahres legen wir mit Bundeskanzlerin Angela Merkel den Grundstein“.

Zum Tag der offenen Tür in den fertiggestellten Bereichen lädt die Staatsbibliothek am Sonnabend, dem 15. Dezember, von 11 bis 18 Uhr ein (Eingang über Dorotheenstraße 27, Berlin-Mitte).

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