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Im Golf von Mexiko gibt es viele Asphaltvulkane: natürliche Austritte von Erdöl. Davon ernähren sich spezielle Bakterien, die wiederum von Kaltwasserkorallen und Muscheln gefressen.

© Marum, Uni Bremen

Schreckensszenarien: Übertriebene Angst vor dem Öl

Der Ölunfall animierte zu bedrohlichen Warnungen. Einige sind schlicht falsch. Langfristig wird die Natur mit dem Öl fertig - sie ist es gewohnt.

Drei Monate lang strömten große Mengen Erdöl in den Golf von Mexiko. Wie viel genau, kann oder will keiner der Verantwortlichen sagen. Jüngste Zahlen gehen von etwa zehn Millionen Litern pro Tag aus. Derzeit ist das Leck weitgehend abgedichtet; ob das ein Ende der Ölpest bedeutet, ist unsicher. So bleiben auch jene Schreckensszenarien präsent, die in den vergangenen Wochen ins öffentliche Bewusstsein gespült wurden. Manche Einschätzung ist zutreffend, andere jedoch stark übertrieben.

Das Ölfeld kollabiert

„Niemand kennt den Zustand des Meeresbodens im Bereich des Bohrlochs“, sagte der Chef des Krisenstabs Thad Allen vor Wochen. Das konnte alles und nichts heißen. Für einige jedoch war dieser Satz eine verschlüsselte Botschaft: Das ganze Ölfeld könnte kollabieren und über zahlreiche Risse all seine Reserven ins Meer ergießen. Angetrieben wurde diese Interpretation von „geheimen“ Dokumenten einer russischen Tauchexpedition, die im Internet kursieren. Demnach treten an mehren Stellen, die bis zu elf Kilometer von der Bohrung entfernt sind, beträchtliche Mengen Öl und Gas aus.

Unter Fachleuten ist die Kollapstheorie – milde ausgedrückt – umstritten. „Ich halte das für sehr unwahrscheinlich“, sagt beispielsweise Hilmar Rempel, Rohstoffgeologe bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover. Zwischen der Öllagerstätte und dem Meeresgrund befänden sich gut vier Kilometer starke Gesteinsschichten, die über Jahrmillionen dicht hielten. „Sonst hätte sich an dieser Stelle kein Ölfeld bilden können“, sagt der BGR-Experte. Zwar sei es möglich, dass sich durch den Ölaustritt und die damit verbundene Volumenänderung die Spannungsverhältnisse im Untergrund änderten und Risse entstehen. Doch die reichten kaum über eine Länge von vier Kilometern.

Einbrechen wie ein morsches Dach können die Deckschichten schon gar nicht. Anders als in vereinfachten Grafiken dargestellt, ist das Ölfeld kein riesiger Tank, der irgendwann zum Hohlraum wird. Die begehrte Flüssigkeit befindet sich in winzigen Poren zwischen unzähligen Sandkörnchen. Sobald das Öl geht, rückt Wasser aus benachbarten Sedimenten nach und stabilisiert die Schichten.

Selbst wenn die Lagerstätte sich durch große Spalten entleeren würde, strömt das Öl nur so lange, bis die Druckdifferenz gegenüber der Wassersäule ausgeglichen ist. Ein beträchtlicher Teil bliebe unten. Wie groß dieser Anteil im Vergleich zu der auf 8 bis 16 Milliarden Liter geschätzten Gesamtmenge ist, lasse sich nur anhand von speziellen Messungen und genauer Kenntnis der Geologie am konkreten Ort beurteilen, sagt Wilhelm Dominik, Professor für Explorationsgeologie an der TU-Berlin. „Und diese Daten rückt BP nicht raus.“

Die Wand des Bohrlochs hält nicht dicht

Eine nach wie vor realistische Gefahr sind Risse in unmittelbarer Nähe zum Bohrloch. Durch die Explosion am 20. April könnten die Stahlrohre und der umgebende Zement zerrissen worden sein, fürchten Experten. Sobald die Verschlusskappe auf dem oberen Ende der Bohrung steckt, steigt der Öldruck im Inneren. Dann könnte es durch die poröse Bohrlochwand ins benachbarte Sediment dringen und sich dort neue Wege zum Meeresboden suchen. Die Folge wären mehrere diffuse Ölaustritte, die noch schwieriger in Griff zu kriegen wären. Die laufenden Tests deuten zwar darauf hin, dass die Bohrung dicht ist (siehe Kasten). Abschließende Resultate liegen aber noch nicht vor.

Das Öl kommt nach Europa

Das ist sehr wahrscheinlich, aber in so geringen Konzentrationen, dass es nur mit speziellen Messgeräten registriert werden kann. „Sehen wird man es jedenfalls nicht“, sagt Martin Visbeck vom IFM-Geomar in Kiel. Er hat gemeinsam mit US-Kollegen die Ausbreitung des Öls im Atlantik modelliert. Eine exakte Vorhersage, welche Menge wann wohin gelangt, können die Ozeanografen nicht machen. Denn die Strömungen in den Meeren können von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich ausfallen, wie das Wetter sind sie kaum vorhersagbar.

Ein paar Anhaltspunkte gibt es allerdings. „Wie es derzeit aussieht, wird etwa die Hälfte des nicht abgebauten Öls vom Golf in den Atlantik strömen“, fasst Visbeck eine Studie zusammen, die in Kürze erscheinen soll. Wie bereits im Golf von Mexiko werden auch im Atlantik die Verdünnung und der Abbau des Öls durch Mikroben weitergehen. Und zwar über eine lange Zeit. Den Berechnungen zufolge wird es mindestens anderthalb Jahre dauern, bis die verbleibenden Öltropfen Irland oder Portugal erreichen. „Eine Gefahr für die europäischen Küsten besteht nicht“, betont der IFM-Wissenschaftler.

Selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass die Lagerstätte alles Öl in den Golf ergießt und andernorts noch weitere Lecks auftreten, seien Alarmmeldungen im Stil „Das Weltökosystem geht zugrunde“ fehl am Platz, fügt er hinzu. Ölunfälle seien lokal zweifelsohne eine Katastrophe. Aber im größeren Rahmen werde die Natur damit fertig. „Es gibt viele kleine natürliche Ölaustritte, das Ökosystem kennt den Stoff“, sagt Visbeck. Bakterien, die davon leben, und das enorme Verdünnungspotenzial der Meere verhinderten ein globales Desaster. Auch in den betroffenen Regionen dauere es oft nur wenige Jahre, bis sich das Ökosystem wieder aufgebaut habe.

Dabei, das zeigen Untersuchungen von früheren Unfällen, kommt der Natur zu Hilfe, dass beispielsweise die Fischerei in den Gebieten zusammenbricht und damit ein wichtiger Stressfaktor für die marine Lebewelt fehlt.

Das Dispersionsmittel tötet die ölfressenden Bakterien

Um große Ölteppiche aufzulösen, wurden nach dem Unfall Dispersionsmittel ausgebracht. Sie führen dazu, dass sich nur kleine Öltröpfchen bilden. Welche Folgen die Chemikalien, die erstmals auch in der Tiefsee eingesetzt wurden, für die Lebewelt haben, ist strittig. Ein Team von Biologen um Chuck Fisher von der Penn State University will in diesen Tagen die Veränderungen des Ökosystems vor Ort studieren. Noch gibt es keine Ergebnisse.

Und so lange hoffen die Wissenschaftler, dass es den ölfressenden Bakterien gut gehen möge, damit sie die Flüssigkeit zügig abbauen. „Solche Spezialisten gibt es in jedem Gewässer“, sagt Antje Boetius vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen. „Sobald sie Futter haben, wachsen und vermehren sie sich sehr schnell.“ Allerdings brauchen die Bakterien oft länger als den Menschen lieb ist. „Im Erdöl gibt es hunderte Komponenten“, erläutert Boetius. „Manche werden schon nach Tagen abgebaut, bei anderen benötigen die Bakterien Jahre.“ So sei die Bucht, in der die „Exxon Valdez“ 1989 havarierte, oberflächlich wieder sauber. Einen Meter tief im Sediment stecke aber noch immer die schwarze Brühe, sagt die Forscherin.

Der Natur auf die Sprünge helfen, indem man gezüchtete Bakterien aussetzt, davon hält sie nichts. „Es gibt immer wieder Firmen, die damit Geld verdienen wollen, aber es bringt nichts.“ Darüber seien sich Experten seit Jahren einig. Ob im Golf, dem Atlantik oder einem Binnensee – die dort vorkommenden Bakterien sind am besten an die jeweiligen Bedingungen angepasst. Sie wachsen deutlich schneller und bauen umso mehr Öl ab.

An der aktuellen Unglücksstelle gibt es jedoch noch eine andere Gefahr: Im ohnehin sauerstoffarmen Golf von Mexiko könnten die sich explosionsartig vermehrenden Bakterien den Gasgehalt weiter reduzieren. Aktuellen Messungen zufolge ist der Sauerstoffanteil bereits gesunken, berichtet Boetius. „Wenn er noch weiter zurückgeht, könnte das dazu führen, dass andere Tiere verschwinden oder zumindest abwandern.“

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