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Unter Palmen stehen mehrere Menschen die Plakate mit Aufschriften wie "Refugees Welcome" halten.

© Baz Ratner/Reuters

Schulbücher in Deutschland: Ein neues Bild vom jüdischen Leben – und von Israel

Wie Schulbücher dem deutsch-jüdischen Leben und dem Staat Israel besser gerecht werden können. Ein Gastbeitrag.

In den Jahren des Nationalsozialismus war das deutsche Bildungswesen zentralisiert und im Sinne der herrschenden Rassenideologie gleichgeschaltet: Dies wurde auch in der antisemitischen Ausrichtung der Schulbücher sichtbar, in denen Juden und ihre Religion kriminalisiert und als „Agenten der Moderne“ verunglimpft wurden. Vor diesem Hintergrund hätte man nach 1945 erwarten können, dass Bildungsplaner eine Art „geistige Wiedergutmachung“ versuchen. Tatsächlich fiel jedoch in der jungen Bundesrepublik fast alles, was einer kritischen Auseinandersetzung mit Wurzeln und Verläufen des Nationalsozialismus hätte dienen können, unter den Tisch.

Eine Neuorientierung setzte erst 1959 ein – nach Hakenkreuzschmierereien und anderen antijüdischen Ausschreitungen. 1960 beschloss die Kultusministerkonferenz, die „jüngste Vergangenheit“ im Geschichts- und Gemeinschaftskundeunterricht zu behandeln. Unter dem Eindruck des Jerusalemer Eichmann-Prozesses fanden bald auch Forderungen Gehör, die Darstellung der NS-Zeit sowie der Geschichte der Juden in Lehrerbildung und Schulunterricht zu verankern. Seit den 1980er Jahren gehören „jüdische“ Themen zum festen Kanon deutscher Schulcurricula und Bildungsmedien.

Juden nicht als gestaltende Subjekte, sondern als Opfer gezeigt

Gleichwohl sollten Schattenseiten dieses überfälligen Paradigmenwechsels nicht ausbleiben: 2003 machte das Leo-Baeck-Institut darauf aufmerksam, dass Lehrpläne und Schulbücher die Verfolgungsgeschichte der Juden und den Holocaust einseitig in den Vordergrund rückten. Dadurch würden Juden nicht als gestaltende Subjekte ihrer Kultur, sondern ausschließlich als Objekte und Opfer markiert.

Wie aber können Einseitigkeiten, die bestehende Vorurteilsstrukturen verstärken, überwunden werden? Der israelische Historiker Moshe Zimmermann schlug 2006 vor, die deutsch-jüdische Geschichte als ein gemeinsames Narrativ in den Blick zu rücken. Unter dieser Maßgabe bedürfe es keines verordneten Master-Narrativs, der einer ausgrenzenden Gegenüberstellung von „wir“ (Deutsche) und „ihr“ (Juden) Vorschub leiste, sondern der Entschlossenheit, gemeinsame deutsch-jüdische Narrative aufzuspüren und als Beispiele pluralistischer Identitätsfacetten zu entfalten.

Es geht auch anders - mit deutsch-jüdischen Narrativen

Neuere Geschichtsbücher zeigen, dass sich gemeinsame deutsch-jüdische Narrative mindestens punktuell darstellen lassen. Im 2016 erschienenen „Forum Geschichte 7“ etwa werden „Juden in der mittelalterlichen Stadt“ nicht nur mit Ausgrenzung und Verfolgung assoziiert, sondern auch als handelnde Subjekte in vielerorts fruchtbaren Lebenskontexten dargestellt: „Obwohl sie rechtlich als ‚Fremde‘ galten, waren sie weitgehend in die christliche Stadtgesellschaft eingebunden. Sie sprachen die Landessprache, nahmen aktiv am wirtschaftlichen Leben teil und übernahmen gemeinschaftliche Aufgaben wie die Stadtverteidigung.“

Das 2015 erschienene „Forum Geschichte 3“ bringt mit Blick auf die Reichspogromnacht von 1938 das gemeinsame deutsch-jüdische Narrativ nicht nur im Darstellungstext, sondern auch im Quellenteil zum Ausdruck. Beispielhaft werden die Erinnerungen einer Selma Löser einbezogen, deren Ehemann kein Jude war – Indizien, die anschaulich machen, wie sich deutsche und jüdische Lebenswelten historisch überlappen.

Defizite auch beim Israel-Bild

Wird in unseren Schulbüchern ein faires, multiperspektivisches und empathisches Bild Israels vermittelt? Nach den Befunden der deutsch-israelischen Schulbuchkommission, die 2015 vom Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung veröffentlicht worden sind, rücken die Lehrpläne vieler Bundesländer nicht die Darstellung Israels, sondern den Nahostkonflikt in den Fokus. An dieser Vorgabe orientieren sich die Schulbücher, sodass Schüler/innen den jüdischen Staat fast ausschließlich als ein kriegführendes Krisenland kennenlernen. Problematisch nennt die Schulbuchstudie auch tendenziöse Bilder, die Emotionen schüren und antisemitische Hemmschwellen herabsetzen können.

Von medial vermittelten Stimmungslagen geprägt

Dennoch wird das moderne Israel in Schulbüchern objektiver gezeichnet, als es die veröffentliche Wahrnehmung suggeriert. Wenn im „Kursbuch Geschichte“ seit 2009 in allen Ausgaben Israel als ein „demokratisch organisierter Staat“ charakterisiert wird, „der wegen seines hohen Standes von Wissenschaft und Technik eine wirtschaftlich blühende Industriegesellschaft geschaffen hat“, erzeugt eine solche sachlich ebenso zutreffende wie positiv konnotierte Aussage keinerlei Aufsehen. Dies steht im krassen Missverhältnis zur Skandalisierung des einen oder anderen, häufig aus dem Sachzusammenhang gerissenen, israelkritischen Zitats in Schulbüchern. Anstatt obsessive Konfliktparadigmen zu bedienen, sind im Übrigen auch zahlreiche Ethik- und Religionsbücher darauf bedacht, Verständnis und Verständigung zu fördern.

Wir alle sind nicht nur von Objektivität und von der Suche nach „der Wahrheit“, sondern auch von medial vermittelten Stimmungslagen geprägt. Dieser Diskurskontext macht auch vor Lehrplanmachern und Autoren nicht Halt. Missgriffe und Einseitigkeiten in der Darstellung Israels im Schulunterricht und in Bildungsmedien „passieren“ in der Regel nicht in böser Absicht. Manchmal merken Bildungsplaner und Pädagogen selbst nicht, was sie an Halbwissen und Projektionen mit sich herumtragen und als kontaminiertes kulturelles Erbe an die nächste Generation weitergeben. Sich dieser Zusammenhänge in aller gebotenen Demut bewusst zu werden, ist der erste Schritt zur Besserung.

Israel auch als hoch entwickelte Kultur- und Start-up-Nation zeigen

Gewiss kann es nicht darum gehen, die schwierige Gemengelage des Nahen Ostens schönzureden oder den israelisch-palästinensischen Konflikt aus den Büchern herauszuhalten. Gleichwohl sollten im Interesse differenzierter Darstellungsperspektiven in Schulbüchern künftig auch Akzente gesetzt werden, die in quotensüchtigen Tagesmedien zu kurz kommen: Israel als demokratisch verfasster Staat, der seinen jüdischen und arabischen Bürgern trotz äußerer Bedrohungen Freiheits- und Partizipationsmöglichkeiten bietet, die es im Nahen Osten sonst nirgendwo gibt; Israel als hoch entwickelte Kultur-, Hightech- und Start-up-Nation sowie als multikulturelles Land mit einzigartigen Beziehungen zu Deutschland. Für modulare Ansätze in diese Richtung bieten Rahmen- beziehungsweise Kernlehrpläne schon heute Anschlussmöglichkeiten, die es auszubauen gilt – ganz im Sinne der wegweisenden Kultusminister-Erklärung vom Dezember 2016.

Der Autor ist verantwortlicher Redakteur für die Fächer Ethik, Philosophie und Religion beim Cornelsen Verlag in Berlin. Im verlagseigenen „Netzwerk für Diversität in Bildungsmedien“ ist er zuständig für die Themen Israel/Palästina, Nahost, deutsch-israelische Beziehungen und interreligiöse Fragen. Der Beitrag basiert auf einem Essays, den Martin Kloke im Themenheft 2017 des Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit veröffentlicht hat (hier).

Martin Kloke

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