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Schule: Operation Nachhilfe

Hamburg schickt 15 000 Lehrer zu Schulungen. Sie sollen fit gemacht werden für die große Schulreform. Doch es gibt Kritik

Hamburg hat das bundesweit größte Programm zur Lehrerfortbildung gestartet. In den nächsten vier Jahren sollen alle 15 000 Lehrer für das neue Schulsystem weitergebildet werden. Die Schulverwaltung und das Landesinstitut für Lehrerbildung haben eine groß angelegte „Fortbildungsoffensive“ aufgelegt, doch Lehrerverbände melden massive Kritik an Inhalten und Zeitplan an.

Auf Hamburgs Lehrer kommt tatsächlich einiges zu: Ab August 2010 soll es nach einem Beschluss der schwarz-grünen Koalition nur noch drei Schulformen geben – die Primarschule, die Stadtteilschule und das Gymnasium. Die bislang vierjährige Grundschule wird um zwei Jahre verlängert. Die Kinder sollen länger gemeinsam lernen und nicht mehr nach der 4. Klasse in weiterführende Schulformen aufgeteilt werden. Das geschieht nun ab der 7. Klasse. Alle Kinder, die nicht aufs Gymnasium kommen, besuchen die Stadtteilschule, in der Haupt-, Real- und Gesamtschulen fusioniert werden und die auch zum Abitur führen soll.

Die „Fortbildungsoffensive“ konzentriere sich in diesem Jahr auf die Lehrer, die am stärksten betroffen seien, sagte Peter Daschner, Leiter des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung dem Tagesspiegel. Gymnasiallehrer, die künftig in den 5. und 6. Klassen der Primarschulen Fachunterricht geben sollen, und Lehrkräfte für die Stadtteilschulen würden mit einer weitaus heterogeneren Schülerschaft als bisher konfrontiert. Damit sie den unterschiedlichen Begabungen und Lernwegen der Schüler gerecht werden können, würden den Lehrern vor allem Methoden des individualisierten Unterrichts vermittelt: Dazu gehöre es etwa, genau zu analysieren, was jeder einzelne Schüler kann und weiß, den Kindern komplexe Aufgaben zu stellen, die Lösungen auf verschiedenen Niveaus ermöglichen, Lernvereinbarungen mit den Schülern zu schließen und ihnen gezielte Rückmeldungen zu geben.

Die Priorität für besonders betroffene Lehrer mache die Mammutaufgabe, tausende Lehrer fortzubilden, etwas überschaubarer, sagt Daschner. Zudem setze sein Institut auf die Schulung ganzer Teams in Didaktischen Werkstätten, in denen beispielsweise die Mathematiklehrer zweier benachbarter Schulen während eines Schulhalbjahres zusammenkommen, um neue Lernstrategien gemeinsam einzuüben. Zwischen drei Werkstattnachmittagen würden sie den Unterricht in ihren Klassen erproben und dann wieder im Team diskutieren. Um die Fortbildungen zu stemmen, erhält das Landesinstitut bis 2011 drei Millionen Euro zusätzlich. Ein Teil des Geldes fließt in die Qualifizierung von 100 neuen Ausbildern.

Hamburgs Lehrer sehen die Fortbildungsoffensive indes kritisch. Dass tatsächlich alle 15 000 Lehrer in vier Jahren geschult werden, glaube er nicht, sagt Dieter Semprich, Sprecher des Deutschen Lehrerverbands Hamburg. Das sei so schnell nicht zu schaffen. Für den konservativen Lehrerverband ist die Fortbildungsoffensive ohnehin „ein Witz“. Den Lehrern werde der Schwarze Peter für eine übereilte und überzogene Schulstrukturreform zugeschoben. Das Landesinstitut suggeriere, dass man in einer Klasse mit 28 Schülern vom Hauptschul- bis zum Gymnasialniveau mit individualisiertem Unterricht jedem einzelnen gerecht werden könne. Das sei aber schlicht unmöglich – auch mit der besten Fortbildung, sagt Semprich.

Wenn sich die Schulpolitik auf das finnische Modell der Gemeinschaftsschule als Vorbild für die Stadtteilschule berufe, müsse sie auch Klassengrößen von 15 bis 20 Schülern ermöglichen. Und im großen Stil Sozialpädagogen einstellen, um schwierige Schüler zu integrieren. Bei Gymnasiallehrern wecke es große Ängste, bald in Primarschulen unterrichten zu müssen, sagt Semprich. „Sie werden verheizt, wenn man sie in große, heterogene Klassen als Fachlehrer abordnet.“

Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) bezweifelt, dass die Zeit reicht, um alle betroffenen Lehrer bis zum Start der neuen Schulformen fortzubilden. Denn im laufenden Schuljahr hätten die allermeisten Lehrer ihre 30 Pflichtstunden in der Weiterbildung schon verplant. Und kaum ein Lehrer sei bereit, zusätzlich zur regulären Arbeitszeit noch an den neuen Didaktischen Werkstätten teilzunehmen, sagt Sigrid Strauß, stellvertretende Vorsitzende der GEW Hamburg. Sie fordert, dass Lehrer dafür fünf Stunden pro Woche freigestellt und von 1000 zusätzlich eingestellten Junglehrern vertreten werden. So könnten auch die Klassen verkleinert werden.

Der Leiter des Landesinstituts ist sich dagegen sicher, dass die Pädagogen mitziehen. „Lehrer sind kluge Leute mit wenig Zeit. Sie machen gerne mit, wenn konkrete Lösungen angeboten werden für Probleme, die sie haben oder erwarten“, sagt Daschner. Und eben diese biete die Fortbildungsoffensive.

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