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Schüler12

© Kitty Kleist-Heinrich

Schulreform: Iglu-Chef: „Nach Noten entscheiden reicht nicht“

Bildungsforscher und Iglu-Chef Wilfried Bos über den gerechten Zugang zum Gymnasium und die Sekundarschule

Herr Bos, Berlins Bildungssenator will im Rahmen der Schulreform den Zugang zum Gymnasium beschränken. Im Gespräch ist ein strenger Notenschnitt von 2,0 in den Hauptfächern. Was halten Sie davon?



Einfach nach Noten zu entscheiden ist unzureichend. Noten sind nur dann aussagekräftig, wenn man sie an fest definierte Leistungsstandards koppelt. Schüler können bei gleichen Notenstufen völlig unterschiedliche Kompetenzen haben.

Warum?

Lehrer sind zwar ziemlich gut darin, in ihrer Schülergruppe nach Leistungen zu differenzieren. Sie erkennen natürlich und selbstverständlich die Spitze, das Mittelfeld und den Schluss einer Gruppe. Allerdings verhält sich der Lehrer in einer Brennpunktschule dabei genauso wie der Lehrer in Dahlem: Beide werden den Besten eine Eins oder Zwei geben. Trotzdem können dahinter unterschiedliche Leistungen stehen. Wir wissen zudem aus vielen Untersuchungen, dass in die Noten unbewusst auch einfließt, aus welchem Elternhaus die Schüler kommen und wie sie sich dem Lehrer gegenüber verhalten.

Wie kann man den Übergang gerecht regeln?

Man muss sich völlig klar sein, dass solche Entscheidungen immer mit Fehlern behaftet sein werden. Lehrer sollten mit den Eltern über einen längeren Zeitraum die Leistungsentwicklungen der Kinder und die Erwartungen an die Schullaufbahn diskutieren. Man wird dann zu recht vernünftigen Lösungen kommen.

Was halten Sie von anderen Kriterien wie Eingangsprüfungen oder Gesprächen?

Je mehr Kriterien in die Entscheidung einfließen, desto besser. Es geht allerdings nicht, die einmal auf dem Gymnasium aufgenommenen Schüler nach ein oder zwei Jahren wieder abzuschulen, wie es jetzt häufig passiert. Das kann man Schülern nicht zumuten.

Sollte das Probehalbjahr fürs Gymnasium verlängert werden, wie es in Berlin von einigen gefordert wird?

Ich finde schon ein Halbjahr zu lang. Man müsste eigentlich schon nach einigen Wochen sehen, ob ein Schüler die Schule wechseln sollte. Nach einem halben Jahr haben sich bereits Freundschaften gebildet, die Schüler werden aus einem festen sozialen Zusammenhang rausgerissen.

Ein Ergebnis der Iglu-Studie ist, dass Kinder aus der Oberschicht bei gleichen kognitiven Fähigkeiten und bei gleichen Leistungen eher eine Gymnasialempfehlung von Lehrern bekommen als Arbeiterkinder. Wie kommt es dazu?

Zum einen geschieht das unterbewusst. Kinder aus der Oberschicht sprechen eher die Sprache, die bei Lehrern zu Hause gesprochen wird. Sie haben oft ein angenehmeres Arbeitsverhalten. Die Grundschullehrer handeln allerdings oft nach bestem Wissen und Gewissen. Die schicken Kinder teilweise nicht zum Gymnasium, wenn sie den Elternhäusern nicht zutrauen, dass sie ihre Kinder genug fördern.

Könnte eine Sozialquote fürs Gymnasium die Ungerechtigkeit mildern, wie die Linkspartei es in Berlin fordert?

Nein. Alles hängt von den Möglichkeiten eines Gymnasiums ab, seine Schüler zu fördern. Mit Ganztagsbetreuung kann es sich ein Gymnasium auch erlauben, Kinder zu nehmen, die von ihren Familien nicht so stark unterstützt werden. Ein Gymnasium mit Halbtagsunterricht wird da Probleme bekommen.

Wissen die Eltern besser, welche Schule für ihr Kind die richtige ist?

Nicht unbedingt. Lehrer sind kompetente Fachleute. Wir wissen aus Untersuchungen, dass die soziale Schieflage beim Übergang zum Gymnasium noch stärker wird, wenn die Eltern alleine entscheiden.

Haben Sie Kinder? Wie haben Sie es geregelt?

Nein, ich habe keine Kinder. Aber wenn ich welche hätte, würde ich sie als Professor selbstverständlich aufs Gymnasium schicken.

In Berlin ist vorgesehen, neben dem Gymnasium nur noch eine Sekundarschule anzubieten, die auch zum Abitur führen kann. Was halten Sie davon?

Entscheidend ist, dass es neben dem Gymnasium andere Wege gibt, zum Abitur zu kommen. Deutschland braucht mehr Hochschulabsolventen, da darf man den Weg zum Abitur nicht unnötig erschweren. Wenn Schüler wie in Berlin geplant in der Sekundarschule die Hochschulreife erwerben können, ist das sehr vernünftig.

Gesamtschüler haben bei Pisa schlechter abgeschnitten als Realschüler. Ist zu befürchten, dass leistungsstarke Schüler an der Sekundarschule nach unten gezogen werden?

Das ist kein Naturgesetz. Wir wissen aus anderen Ländern, dass leistungsstarke Schüler sich in einem Gesamtschulsystem sehr gut entwickeln können. Alles hängt davon ab, ob die Schüler individuell genügend gefördert werden.

Berlins Bildungssenator Zöllner will den Übergang zum Gymnasium vor allem deshalb einschränken, um genügend gute Schüler für die Sekundarschule zu rekrutieren. Wie hoch muss die Quote sein, um eine gute Mischung in der Sekundarschule zu erreichen?

Das kann ich nicht sagen. Es gibt bisher zu wenig empirisches Material, um diese Frage zu beantworten.

In Bayern schicken zehn Prozent der Eltern ihre Kinder auf eine Privatschule, wenn sie keine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen. Besteht auch in einem zweigliedrigen System die Gefahr, dass wohlhabende Eltern ihre Kinder lieber auf eine Privatschule schicken, wenn sie nicht gut genug fürs Gymnasium sind?

Ja klar wird das passieren. Aber womöglich ist es auch gar nicht so schlimm. Ein bisschen Konkurrenz belebt bekanntermaßen das Geschäft.

Wilfried Bos ist Professor für Bildungsforschung und Direktor des Instituts für Schulentwicklungsforschung der Uni Dortmund. Er ist Leiter der Grundschul-Lese-Untersuchung Iglu.

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Wilfried Bos ist Professor für Bildungsforschung an der TU Dortmund und leitet die Iglu-Studie in Deutschland.

© dpa

Interview von Tilmann Warnecke

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