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Freie Schulen leiden wegen der Corona-Pandemie unter Einnahmeverlusten: Viele Eltern zahlen weniger als vorher.

© REUTERS/Kai Pfaffenbach

Schulschließungen wegen des Coronavirus: "Es ist keine Raketenwissenschaft, wenn Lehrkräfte Aufgaben per Mail verteilen"

Kann nach Schulschließungen digitaler Unterricht weiterhelfen? Eine Pädagogikprofessorin erklärt einfache Lösungen - und kritisiert deutsche IT-Rückständigkeit.

In Deutschland kommt es jetzt zu flächendeckenden Schulschließungen wegen der Coronavirus-Epidemie. Wie schätzen Sie die Lage ein: Sind die Schulen darauf vorbereitet, jetzt binnen weniger Tage auf digitalen Unterricht umzustellen?
Die Herausforderungen für die Schulen in diesem Kontext sind vielschichtiger. Klar ist da zunächst der Unterricht selbst. Schulen, die bereits mit Lernmanagementsystemen arbeiten und in denen Schülerinnen und Schüler und die Lehrkräfte mobile Endgeräte haben, könnten mit relativ wenig Aufwand umstellen.

In Anfangsphase werden das eher einfache Lernprozesse und Aufgaben sein. Strukturierte Lerneinheiten, womöglich noch in 45-Miunten- Einheiten zu organisieren wird dann mehr Aufwand bedeuten. Es sind aber neben dem Unterricht auch die anstehenden Abschlussprüfungen in den Blick zu nehmen.

Könnten diese digital organisiert werden? Das Abitur kommt bald.
Vielleicht denke ich zu einfach, aber für die zentralen Prüfungen könnten die Schülerinnen und Schüler ja in die Schulen kommen. Bei meinen Abiturklausuren Ende der 1990er gab es Einzeltische mit großen Abständen in der Aula. Das wäre vielleicht auch Corona-tauglich.

Im Moment wird aber auch argumentiert, Schulschließungen seien schwierig, da die Betreuung der Kinder dann fehle und die Arbeit und die Arbeitsplätze der Eltern betroffen seien. Daher wäre jetzt vordringlich schnell die Betreuungssituation oder zumindest eine Notfall-Betreuung zu organisieren.

Gibt es Bundesländer, die bei der digitalen Bildung Ihrer Einschätzung nach besser dastehen als andere?
Bundesländer, die die Potenziale digital gestützten Lernens in den Präsenzunterricht bereits integriert haben und neben Endgeräten auch Infrastrukturen bereitstellen, sind jetzt im  Vorteil. Es gibt Länder, in denen zumindest schon theoretisch alle Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler Zugänge zu Lernmanagementsystemen und Plattformen haben.

Birgit Eickelmann ist Professorin für Schulpädagogik an der Universität Paderborn. Sie leitet in Deutschland die ICILS-Studie, die die IT-Kompetenzen von Achtklässlern misst.
Birgit Eickelmann ist Professorin für Schulpädagogik an der Universität Paderborn. Sie leitet in Deutschland die ICILS-Studie, die die IT-Kompetenzen von Achtklässlern misst.

© privat

Bayern zum Beispiel hat mit MEBIS eine solche Plattform, Rheinland-Pfalz, Hessen und Bremen ebenfalls, die aber unterschiedlich genutzt werden. Da geht es etwa um die Nutzung von Tools zum gemeinschaftlichen Arbeiten. Man arbeitet dann gemeinsam an Dokumenten oder einer Präsentation und schickt sich diese nicht nur hin und her. Computerbildschirme werden geteilt, es gibt Chat- und Messengerfunktionen. Wir wissen aber aus der ICILS-2018-Studie, dass das in Deutschland insgesamt in Bezug auf IT-Ausstattung unsere Achillesferse ist.

Was würden Sie Schulen als Notfallmaßnahmen empfehlen, was lässt sich an digitalen Formaten schnell und ohne großen Aufwand umsetzen?
Ich war ja selbst vor meiner Zeit an der Universität Lehrerin und könnte mir gut vorstellen, dass das Bearbeiten von Aufgaben, die jetzt ohnehin schon begonnen wurden, und die Vertiefung von Inhalten und Themen schnell umsetzbar wäre. Da reicht es vielleicht, dass eine Lehrkraft per Mail Arbeitsaufträge verteilt, dann sind die Schüler die ersten Tage beschäftigt.

Das ist keine Raketenwissenschaft, man kann niedrigschwellig anfangen. Auch das Erarbeiten von Präsentationen, das Schreiben von Texten, Übungsaufgaben und der Transfer von Gelerntem auf neue Inhalte wären gut möglich. Diese Zeit kann dann genutzt werden, konzeptionell weiterzudenken.

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Welche Materialien sind womöglich schon vorhanden?
Die Schulen, die Lernmanagementsysteme haben, mit denen Unterricht digital strukturiert und begleitet wird und in denen auch individuelle Aufgaben und Arbeitsplätze leicht zu koordinieren sind, können diese natürlich nutzen. Für den Austausch und die Kommunikation bieten sich Videokonferenzfunktionen an. Die Kinder und Jugendlichen nutzen das ohnehin schon und wissen, wie das geht.

In den Schulen, die in Sachen Digitalisierung nicht so weit sind, reicht es für eine Übergangszeit aber vielleicht schon, Aufgaben zu verschicken und Ergebnisse zurücksenden. Die Kinder und Jugendliche haben ja dann ihre Schulbücher und sind auch untereinander vernetzt.

Wäre es möglich, dass Lehrkräfte ihre Stunde einfach per Video aufnehmen und den Unterricht nach Hause zu den Kindern streamen?
Für eine Übergangszeit wäre das bestimmt ganz interessant, zumindest einige Lernphasen videobasiert durchzuführen. Aber wir wissen aus Studien, dass das auch erheblich Anforderungen an die Lernenden und an das Organisieren von Lernprozessen stellt.

Wir Erwachsenen wissen, wie anstrengend Videokonferenzen sind und was in Videokonferenzen besser läuft und was auf der Strecke bleibt. Bei Unterricht ist es ähnlich. Da dürfen wir nicht vergessen, dass wir die Verantwortung für die Kinder und Jugendlichen haben und darauf achten müssen, dass eben niemand auf der Strecke bleibt.

Hilft die nationale Schulcloud weiter?
Digitale Infrastruktur, wie Tools für gemeinschaftliches Arbeiten und echte Lernmangementsysteme (LMS) sind sicherlich hilfreich. Es geht da nicht nur um ein konkretes Produkt.

Man kann sich vorstellen, dass Sekundarstufen bzw. Oberschüler gut mit Heimarbeit und digitalen Aufgaben umgehen können. Wie sieht es aber in der Grundschule aus – ist das überhaupt leistbar?
Wir wissen aus Studien zum Distance Learning ganz gut, dass es Unterschiede zwischen Schülerinnen und Schüler verschiedener Altersgruppen gibt. Man muss dann einfach sehr klug an Methoden arbeiten und die Bedürfnisse von jüngeren Schülerinnen und Schülern auffangen.

Vielleicht muss man zumindest für einen begrenzten Zeitraum mutig sein. Da kann Schule auch mal ein paar Tage ausfallen. Sollten die Lehrkräfte jetzt etwas Zeit brauchen, um sich neu aufzustellen, wird die Welt nicht untergehen, wenn es für kurze Zeit kein organisiertes Lernen gibt.

Muss der Datenschutz jetzt mal hintenan stehen?
Nein, der Datenschutz darf nie hinten anstehen. Aber dieses Thema führt uns nochmal vor Augen, dass wir einige ungelöste Probleme in Sachen Digitalisierung und Schule immer nur vor uns hergeschoben haben.

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Was können die Länder jetzt noch tun, um eine schnelle Umsetzung zu unterstützen?
Wie gesagt: Sie sollten die Rahmenbedingungen wie die Betreuung sicherstellen - und dann die Lehrkräfte schnell fit machen. Die müssen sich ja auch untereinander vernetzten, weil sie ebenfalls an den heimischen Arbeitsplätzen sitzen und dann schauen müssen, wie sie sich austauschen und gegenseitig unterstützen.  Der Arbeitsplatz Schule ändert sich dann ja auch für die Lehrkräfte, auch hier kann das Digitale unterstützen.

Rächt es sich jetzt, dass es beim Digitalpakt für die Schulen zu so langen Verzögerungen gekommen ist?
Es rächt sich eher gerade, dass wir insgesamt zu langsam bei der Digitalisierung im Schulsystem sind. Andere Staaten wie die skandinavischen Länder oder auch Schulen im Ausland, etwa die deutsche Schule in Shanghai, können jetzt schon Früchte ernten, weil sie seit langem Erfahrung mit digitalen Lehrformaten haben.

Bei all dem Tragischen, was jetzt passiert, sehe ich aber auch Chancen. Ich habe die Hoffnung, dass wir jetzt in Deutschland wirklich beginnen, darüber nachzudenken, wie wir als Gesellschaft bei digitalen Bildungsprozessen aufgestellt sind. Ich setze da auf katalysatorische Effekte, die vielleicht langfristig auch Umdenken mit sich bringen.

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