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Treibgut. Solche Plastikrädchen finden sich an immer mehr Stränden.

© Surfrider Foundation Europe

Schwemme der Plastikrädchen: Kläranlagen verschmutzen Strände

Vielerorts werden massenhaft Kunststoffrädchen angespült. Sie sollen eigentlich als Träger für Bakterien beim Reinigen von Abwasser helfen. Durch unsachgemäßen Einsatz oder bei Starkregen können die Rädchen jedoch in die Umwelt gelangen.

Als François Verdet den dritten Müllsack am Strand von Saint-Jean-de-Luz an der französischen Atlantikküste gefüllt hat, glaubt er nicht mehr an einen Zufall. Er fährt ins benachbarte Biarritz, in die Zentrale der Surfrider Foundation Europe, die sich dem Schutz der Meere und der Küsten verschrieben hat. Dort werden die Fundstücke schon seit Tagen zusammengetragen: winzige Plastikrädchen, manche nur erbsengroß, andere von der Größe einer Ein-Euro-Münze. Wenige Tage später ist klar, was es mit den Rädchen auf sich hat. Sie werden in Klärwerken eingesetzt, als Trägermedium für Bakterienkulturen, mit deren Hilfe Abwasser gereinigt wird. Die Rädchen werden in die Klärbecken geschüttet, wo sie frei umherschwimmen. Ihre Speichen und Zacken bieten genügend Oberfläche, um viele Bakterien aufzunehmen, mit denen sich die organischen Bestandteile des Wassers zersetzen lassen.

Das war im Jahr 2007 und die Plastikräder bis dahin nur ein Phänomen am Golf von Biskaya. Verdet erinnert sich: „Wir fanden sie zu hunderttausenden an unseren Stränden. Als wir der Sache dann nachgingen, stellten wir fest, dass selbst im Norden Portugals und bis hin zur Bretagne diese Rädchen zu einer wahren Plage geworden waren.“

Inzwischen hat sich das Problem zu einem weltweiten Phänomen entwickelt. Praktisch entlang der gesamten französischen Atlantikküste inklusive des Ärmelkanals, aber auch an der Mittelmeerküste zwischen Gibraltar und der italienischen Riviera wurden Funde gemeldet, ebenso in Marokko, Algerien und Tunesien. An der US-amerikanischen und der kanadischen Ostküste wurden Biofilterrädchen gesichtet, ebenso auf der Seine bei Paris und zuletzt sogar am Ufer des Genfer Sees. Und in fast allen Fällen ließ sich die Spur bis zu Klärwerken zurückverfolgen, die eben jene Technik nutzen.

Mittlerweile sind bis zu 20 verschiedene Varianten dieser Trägermedien bekannt, die teilweise von den Klärwerkbetreiberfirmen selbst hergestellt werden, sagt Verdet. Leider sei die Anwendung nicht immer korrekt. „Wenn nicht genau die vom Klärwerkshersteller empfohlenen Modelle eingesetzt werden, besteht die Gefahr, dass die Plastikräder den Abfluss der Klärbecken verstopfen und über den Beckenrand austreten.“ Um Kosten zu sparen verwendeten manche Betreiber günstigere Alternativen statt der vom Hersteller empfohlenen. Auch unerwartet viel Wasser, etwa nach einem Unwetter, kann dazu führen, dass die Plastikräder über die Beckenränder austreten und in die Umwelt gelangen.

Ausgerechnet Klärwerke tragen also mit dem unsachgemäßen Einsatz dieser Kunststoffräder zum Problem der stetig wachsenden Menge an Plastikmüll in den Meeren bei. „Plastik kann sich je nach Beschaffenheit mehrere Jahrhunderte halten, ohne vollständig abgebaut zu werden“, sagt Kim Detloff, der beim Naturschutzbund Deutschland für Kunststoffmüll im Wasser zuständig ist. „Manche Plastikteile zersetzen sich unter dem Einfluss der Sonnenstrahlung und der Reibung im Meerwasser schnell zu dünnen, viskoseartigen Fäden, die an Fischeier oder Plankton erinnern, welche wiederum anderen Tieren als Nahrung dienen.“ Und sie geben giftige Inhaltsstoffe ab, etwa Phthalate oder Bisphenol A (BPA). Auf diesem Wege gelangen die Stoffe in die Nahrungskette, an deren Ende auch der Mensch steht.

Dabei gäbe es Alternativen zum Einsatz von Plastikrädern als Trägermedium in Kläranlagen, sagt François Verdet. Eine davon sei vulkanisches Gestein. „Seine poröse Struktur bietet eine ausreichend große Oberfläche, damit sich viele Bakterien darauf ansiedeln können.“ Und ein Austritt des Gesteins wäre unbedenklich. Allerdings, gibt er zu bedenken, sei der Einsatz sehr aufwendig, denn die Steine müssten regelmäßig und von Hand gereinigt werden.

Yanyan Su vom Lehrstuhl für Ökologie an der Universität Lüneburg, hält in Zukunft den Einsatz eines ganz anderen Klärmaterials für denkbar. „Wir haben in Versuchen mit Algen sehr ermutigende Ergebnisse erzielt“, sagt sie. Algen binden Nitrat und Phosphat. Vor allem Letzteres ließ sich bisher nur umständlich und in Großklärwerken aus dem Wasser filtern.

„Und die Anreicherung des Wassers mit Sauerstoff, die in herkömmlichen Klärwerken bis zu 56 Prozent des gesamten Energieverbrauchs ausmacht, gelingt durch die Photosynthese der Algen erheblich effizienter“, sagt Su. Darüber hinaus könnten die Algen auch nach ihrer Arbeit im Klärwerk nützlich sein, indem sie zur Energiegewinnung genutzt werden – beispielsweise in Biogasanlagen oder als Biotreibstoff.

Ganz so leicht sei es mit Algen allerdings nicht, gibt die Forscherin zu bedenken. Auch ein Austritt der Algen könnte Umweltprobleme bereiten und beispielsweise eine unkontrollierte Algenblüte in den Flüssen oder Meeren herbeiführen. Weiterhin muss die Technik zur Filterung der Bakterien aus dem geklärten Wasser, in dem sie frei schwimmen, verbessert werden. Abgesehen von dem grundsätzlichen Problem, dass es für ein ausreichendes Algenwachstum zumindest in unseren Breiten zu kalt und nicht lange genug hell ist.

Somit werden die Plastikrädchen vorerst weiter das Mittel der Wahl für viele Klärwerke sein. Weitere Austritte sind wahrscheinlich.

Der Verursacher der Schwemme von Plastikrädern an der US-Ostküste, ein Klärwerk der Gemeinde Hocksett in New Hampshire, hat inzwischen freiwillig eine Entschädigungssumme von 130 000 Dollar gezahlt. „Davon sind wir in Europa noch weit entfernt“, sagt Verdet. Immerhin habe man zuletzt mit einer Petition beim zuständigen EU-Kommissar Janez Potocnik Erfolg gehabt. „Seitdem gelten diese Plastikrädchen in der EU offiziell als Umweltverschmutzung.“ Das sei keine Selbstverständlichkeit gewesen, immerhin seien sie ja ursprünglich zur Wasserreinigung konstruiert worden.

Frank Odenthal

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