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Mutter, Mutter, Kind. Über 90 Prozent der Regenbogenkinder leben bei Frauenpaaren. Buchautorin Katja Irle sieht gleichgeschlechtliche Elternpaare „auf dem Weg in die bürgerliche Heterowelt“ – unterstützt auch durch die allmähliche rechtliche Gleichstellung.

© AFP

Schwule und Lesben als Eltern: Eine ganz normale Familie

Mutter, Mutter, Kind: Nicht alle tun sich leicht mit dem Konzept der Regenbogenfamilie. Jetzt stellt ein neues Buch die provokante Frage: Sind Schwule und Lesben die besseren Eltern?

Achtung, Denksportaufgabe: Wenn ein schwules Paar mit dem Samen eines der Partner und einer gespendeten Eizelle ein Kind zeugt und es von einer lesbischen Freundin austragen lässt – in welchem Verwandtschaftsverhältnis steht dieses Kind dann zu den zwei bereits vorhandenen Kindern der lesbischen Freundin, die sie mithilfe einer Samenspende des anderen Partners des schwulen Paars bekommen hat?

Immer mehr gleichgeschlechtliche Paare wünschen sich Kinder

Dieser reale Fall aus den USA ist zwar selten – ganz so verschachtelt sind die Verhältnisse in sogenannten „Regenbogenfamilien“ in der Regel nicht. Aber er zeigt, welche Herausforderung diese neuen Familien an das vertraute Denken stellen. Immer mehr gleichgeschlechtliche Paare wünschen sich Kinder und bilden Familien – Teile der Bevölkerung tun sich jedoch nach wie vor schwer mit dem Gedanken, dass ein Kind mit zwei Papas oder zwei Mamas aufwächst. Die Journalistin Katja Irle hat dem Thema jetzt ein eigenes Buch gewidmet, mit dem provokanten Untertitel: „Sind Schwule und Lesben die besseren Eltern?“

Um es vorwegzunehmen: Auf diese Frage kann es schon deswegen keine Antwort geben, weil das Phänomen zu jung ist, weil die Kinder, die jetzt mit homosexuellen Eltern aufwachsen, noch zu wenige und zu klein sind. Wie der dänische Erziehungsexperte Jesper Juul in seinem Vorwort zum Buch schreibt: Erst wenn wissenschaftliche Studien vorliegen, die den Weg der Kinder etwa bis zu ihrem 30. Lebensjahr begleiten, wird man sagen können, wie sich die sexuelle Orientierung ihrer Eltern auf sie ausgewirkt hat. Bis dahin kann man Stimmen von Betroffenen und Experten sammeln, erste Studienergebnisse wiedergeben, die rechtliche und gesellschaftliche Situation schildern. Genau das tut Katja Irle in ihrem Buch, und sie tut es auf sehr sachliche und differenzierte Weise.

Über 90 Prozent der Regenbogenkinder leben bei Frauenpaaren

Zunächst die Fakten: Regenbogenfamilien sind Familien, in denen Eltern lesbisch, schwul, bisexuell oder transgeschlechtlich sind. Damit sind sie etwa „so selten wie das gleichnamige Naturphänomen“, so Irle. Schätzungsweise 18 000 Kinder wachsen in Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltern auf – von 14,4 Millionen Kindern in Deutschland überhaupt. Über 90 Prozent der Regenbogenkinder leben bei Frauenpaaren. Von ihnen wiederum stammen die meisten aus früheren heterosexuellen Beziehungen einer der Partnerinnen. Seitdem 2005 die „Stiefkind-Adoption“ auch für gleichgeschlechtliche Paare erlaubt wurde, machen immer mehr schwule und lesbische Paare davon Gebrauch, so dass beide Partner auch ganz offiziell die Eltern des jeweiligen Kindes sind.

Das Alltagsleben der Regenbogenfamilien unterscheidet sich offenbar nicht wesentlich von dem herkömmlicher Familien. Birgit und Melanie Spors aus Frankfurt etwa leben vor, wie ein lesbisches Paar mit zwei durch künstliche Befruchtung gezeugten Töchtern ein fast ganz normales Familienleben führen kann. Bei der Anmeldung im Kindergarten haben sie das Wort „Vater“ durchgestrichen und durch „Mutter“ ersetzt, beim Elternabend sich als Frauenpaar vorgestellt; Diskriminierung gebe es in ihrer Umgebung nicht, die Tochter sagt ihren Spielkameraden, wenn sie fragen, sie habe eben zwei Mütter.

Viele sind überaus engagierte Eltern

Also alles Friede, Freude, Eierkuchen? Seit dem Gesetz, das 2001 den Weg zur eingetragenen Lebenspartnerschaft für Lesben und Schwule ebnete, ist eine Verbürgerlichung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen festzustellen, und das gilt für die Paare mit Kindern in besonderem Maße. „Die Regenbogenfamilie ist auf dem Weg in die bürgerliche Heterowelt“, konstatiert Katja Irle und sieht drei Phänomene am Werk: Die rechtliche Gleichstellung führt zu gesellschaftlicher Akzeptanz führt zu Familiengründung. Nur ein Baustein fehlt noch zur völligen Gleichstellung: Gleichgeschlechtliche Paare können bisher nicht gemeinsam ein nicht leibliches Kind adoptieren. Aus Katja Irles Sicht wird dieser Punkt in der öffentlichen Diskussion jedoch überbewertet: „Die aufgeregte Debatte um ein gemeinsames Adoptionsrecht für Homosexuelle steht in keinem Verhältnis zur geringen Zahl jener Kinder, die es tatsächlich betreffen würde.“

Im Durchschnitt sind die gleichgeschlechtlichen Paare materiell besser gestellt und höher gebildet, und da sie sich ihren Kinderwunsch sehr bewusst erfüllen, geben viele von ihnen engagierte und gewissenhafte Eltern ab. Internationale wie nationale Studien haben bisher, bis auf wenige Ausnahmen, keine Entwicklungsdefizite bei Regenbogenkindern festgestellt, schreibt Irle. Sie entwickeln sich ebenso gut oder schlecht wie Gleichaltrige mit Hetero-Eltern.

Allerdings laufen Regenbogenkinder Gefahr, in der Schule gehänselt zu werden: 46 Prozent gaben in einer vom Bundesjustizministerium in Auftrag gegebenen Studie von 2009 an, Diskriminierung erfahren zu haben. Einen Jungen zitiert Irle so: „Ich bin der Sohn einer lesbischen Mama. Ich finde das doof. Ich hätte viel lieber eine normale Mama. Meine Freunde dürfen nicht wissen, dass meine Mama lesbisch ist.“ Das allerdings spricht nicht gegen gleichgeschlechtliche Elternschaft an sich, sondern gegen eine heterosexuelle Umgebung, die sich an neue Modelle erst gewöhnen muss.

Hat ein Kind ein Recht auf Vater und Mutter?

Grundlegender ist die Frage: Hat ein Kind ein Recht auf Vater und Mutter? Braucht es für seine Entwicklung, auch aus Sicht der Psychologie, beide Modelle? Das bekommen auch viele Kinder aus gescheiterten heterosexuellen Beziehungen im Alltag nicht geboten. Aber Kinder von Alleinerziehenden wissen immerhin, dass sie prinzipiell einen Vater, eine Mutter haben. Kinder, die in gleichgeschlechtliche Beziehungen hineingeboren werden, müssen sich dagegen mit ihrer ungewöhnlichen Herkunft auseinandersetzen. Ihre lesbischen Mütter haben auf Samenbanken und Klinik-Insemination zurückgegriffen – was in Deutschland übrigens viele Kliniken ablehnen – oder auf die unbürokratische Hilfe eines schwulen oder auch Hetero-Freundes. Schwule Paare weichen, da Leihmutterschaft in Deutschland verboten ist, zum Teil in die USA aus.

Wie die Kinder damit auf Dauer klarkommen, bleibt abzuwarten. „Was heißt es für einen Heranwachsenden, wenn er erfährt, dass er für den Preis eines Mittelklassewagens im Ausland gezeugt und geboren wurde?“, fragt Irle. Oder: Wie kommt ein Kind aus einer lesbischen Beziehung damit klar, dass über seinen leiblichen Vater nur der Text einer Anzeige bekannt ist?

Solche Fragen stellen sich auch heterosexuelle Paaren, die auf die Reproduktionsmedizin zurückgreifen. Sie erfüllt Kinderwünsche, bürdet aber hetero- wie homosexuellen Familien auch eine besondere Verantwortung auf, schreibt Irle: sorgsam mit den Rechten der Kinder umzugehen. „Dazu gehört die Möglichkeit, Kontakt zu seinen leiblichen Eltern aufzunehmen. Personen wie Samenspender, die Teil der Entstehungsgeschichte des Kindes sind, sollten nicht aus einem elterlichen Egoismus heraus kategorisch ausgeblendet werden. Diese Entscheidung gebührt den Kindern, nicht den Eltern.“

Grundsätzlich wird ein ermutigendes Bild gezeichnet

Grundsätzlich ist das Bild, das Katja Irle von den neuen Familien zeichnet, ein positives und ermutigendes. Wo Kinder geliebt werden und die Partner miteinander und mit ihren Kindern wertschätzend umgehen, haben junge Menschen alle Chancen, sich gut zu entwickeln. Das gelingt umso besser, je selbstverständlicher die Umgebung auf die unterschiedlichen Familientypen reagiert. Die Sorge mancher Heterosexueller jedenfalls, „dass die neue, bunte Regenbogenvielfalt die klassische Ehe und Familie verdrängt, ist unbegründet“.

Auf jeden Fall sollten gleichgeschlechtliche Eltern ihren Kindern gegenüber möglichst offen über ihre Herkunft sprechen, raten auch die von Irle befragten Experten. In Deutschland hat jedes Kind das Recht, seine Herkunft zu erfahren – auch die Töchter von Birgit und Melanie Spors, die bewusst keinen Kontakt zum Samenspender möchten, werden den Namen ihres leiblichen Vaters von der Klinik erfahren können, sobald sie 18 sind. Vorerst jedoch würde es die Mädchen überfordern, ihren Spielkameraden genauer zu erklären, wie es um ihren Vater steht. In der Kita empfiehlt sich bei hartnäckigen Fragen daher eine kleine Notlüge: „Mein Papa wohnt nicht hier, sondern in Dänemark.“

- Katja Irle: Das Regenbogenexperiment. Sind Schwule und Lesben die besseren Eltern? Beltz Verlag, Weinheim und Basel 2014. 220 Seiten, 17,95 Euro.

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