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Gesundes Fressen. Manche Tiere verzehren bestimmte Kräuter, um ihre Verdauung in Schwung zu bringen oder sich gegen Krankheiten zu wehren. Diese Selbstmedikation ist offenbar weiter verbreitet als bisher gedacht, sagen Biologen.

© picture-alliance / dpa

Selbsmedikation: Tiere wissen sich zu helfen

Die Natur als Apotheke: Viele Tierarten nutzen Pflanzen, um sich zu heilen oder vor Parasiten zu schützen.

Kaum ein Grasbüschel scheint sicher, wenn sich der Hund beim Spaziergang mitunter eher wie ein Schaf verhält. Hundebesitzern mag das bekannt vorkommen, und mancher kennt wohl auch den Grund: Vermutlich grasen Hunde, um die Verdauung zu regulieren. Dass Tiere sich die Apotheke der Natur zunutze machen, ist kein Einzelfall. Beispiele für eine Selbstmedikation – auch Zoopharmakognosie genannt – sind zahlreich. Schimpansen wissen sich mit Pflanzen und Erde bei Durchfall, Parasitenbefall oder sogar Malaria zu helfen. Kapuzineraffen zerkauen Blätter mit bestimmten ätherischen Ölen und reiben den Brei zur Insektenabwehr ins Fell. Um Parasiten fernzuhalten, legen manche Vögel ihre Nester mit Kräutern aus, Spatzen und Finken sogar mit Zigarettenkippen. Auch bei domestizierten Tieren wie Schwein und Schaf gibt es Hinweise darauf, dass sie gezielt Kräuter zur Parasitenbekämpfung fressen.

„Selbstmedikation ist im Tierreich weiter verbreitet als bislang angenommen.“ Zu diesem Schluss kommen drei Biologen aus den USA und Frankreich in einem Artikel im Fachblatt „Science“. Viele Tiere, schreiben sie, nutzen Medikamente eher aufgrund angeborener als erlernter Verhaltensweisen. Im Mittelpunkt steht die Bekämpfung von Parasiten. Es sind nicht allein Wirbeltiere, die ein Verhalten zeigen, das als Selbstmedikation interpretiert werden kann. So fressen manche Raupen (Grammia incorrupta) giftige Blätter, wodurch sie die Übertragung von Viren untereinander vermindern.

„Wenn wir Tiere bei der Suche nach Futter in der Natur beobachten, müssen wir nun fragen, ob sie in den Supermarkt oder in die Apotheke gehen“, sagt Mark Hunter von der Universität von Michigan in Ann Arbor. Man könne eine Menge darüber lernen, wie sich Parasiten und Krankheiten behandeln lassen, indem man Tieren zuschaut. Manche schützen sogar ihren Nachwuchs mit pharmakologischen Tricks. „Die vielleicht größte Überraschung für uns war, dass Tiere wie Taufliegen und Schmetterlinge Futter für ihren Nachwuchs auswählen können, das die Auswirkungen von Krankheiten in der Folgegeneration minimiert“, sagt der Biologe. Taufliegen zum Beispiel legen ihre Eier in stärker vergorene und damit alkoholhaltige Früchte, wenn bestimmte Wespen in der Nähe sind, die ihre Brut gewöhnlich in die Flieglarven legen. Der Alkohol verringert das Risiko, dass der Fliegennachwuchs mit Parasiten infiziert wird. Schweizer Gebirgswaldameisen (Formica paralugubris) wiederum arbeiten Harze bestimmter Bäume in ihre Nester ein und verhindern damit, dass sich Mikroben ausbreiten.

Bei Honigbienen könnte ein ähnliches Verhalten sogar wichtig für die Existenz ganzer Kolonien sein. Auch sie verwenden antimikrobielle Harze beim Nestbau. Erbgutanalysen legen nahe, dass ihnen einige am Immunsystem beteiligte Gene fehlen, die andere Insekten sehr wohl besitzen. Die Angewohnheit der Bienen, Harze als Medizin zu nutzen, könnte diesen Mangel an Abwehrmechanismen verursacht oder ihn ausgeglichen haben, schreiben die Forscher. Nimmt man den Bienen die Möglichkeit, diese Harze zu sammeln, könnten Krankheiten und erhöhter Parasitenbefall die Folge sein.

So wäre es nicht nur für Imker ratsam, Vertrauen in die Selbstmedikation zu setzen und Tieren entsprechende Möglichkeiten zu bieten. Landwirte könnten ebenfalls davon profitieren. Das zeigt ein Versuch von 2004, den Ton Baars und Kollegen vom Louis-Bolk-Institut im niederländischen Driebergen unternahmen. Sie boten Hausschweinen, die von Spulwürmern befallen waren, drei ausgewählte Kräuter an: Sonnenhut (Echinacea), Zitronenmelisse und Thymian. Tatsächlich bedienten sich unbehandelte Tiere deutlich häufiger bei Zitronenmelisse und Echinacea als Artgenossen, die ein Entwurmungsmittel erhalten hatten. Offenbar suchen die befallenen Tiere gezielt nach Kräutern, die gegen Parasiten wirken.

Ähnliche Beobachtungen zur Selbstmedikation gebe es auch bei Schafen, sagt Baars, der jetzt am Forschungsinstitut für biologischen Landbau tätig ist. Demnächst will er eine Studie starten, bei der Kühen mit einer Euterentzündung elf verschiedene Kräuter angeboten werden. Er rechnet damit, eine heilende Wirkung zu beobachten. Selbstmedikation in der Landwirtschaft ist seiner Meinung nach durchaus praktikabel, sowohl in der ökologischen als auch in der konventionellen: etwa durch das Anlegen von Kräuterstreifen oder indem Kräuter dem Futter hinzugefügt werden. „Wenn die Wirkung belegt werden kann, wird sich in den nächsten Jahren ein Weg finden, das in der Landwirtschaft einzusetzen“, sagt Baars.

Cornelia Dick-Pfaff

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