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Wissen: Selbstbewusste Geisteswissenschaftler

Die Krise gilt als überwunden, aber die Lehre bleibt problematisch

Im Jahr der Geisteswissenschaften geht es Philologen, Philosophen und Historikern in Deutschland richtig gut. Die Zahl von 5500 Professuren ist seit 1999 konstant. Die Geisteswissenschaften sind an den deutschen Universitäten in weltweit einmaliger Weise flächendeckend vertreten. Und acht von zehn deutschen Spitzenhochschulen sind nach dem Förderranking der Deutschen Forschungsgemeinschaft geisteswissenschaftlich ausgerichtet. Das seien „Zahlen gegen die Larmoyanz“, sagte Peter Strohschneider, der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, am Wochenende bei einem Kongress zur „Internationalität der Geisteswissenschaften in einer globalisierten Welt“ an der Freien Universität Berlin (FU).

Ist die viel beschworene Krise der Geisteswissenschaften jetzt wirklich überwunden? „Die Debattenlage hat sich in den letzten zwei Jahren unglaublich verbessert“, sagte der Germanist Strohschneider. Anders als in anderen europäischen Ländern könnten die Geisteswissenschaften in Deutschland ohnehin die gleiche Geltung und Förderung wie die übrigen Wissenschaften beanspruchen. Diese deutsche Auffassung habe sich nun auch in Europa durchgesetzt: Die Geistes- und Sozialwissenschaften wurden in das 7. wissenschaftliche Rahmenprogramm der EU aufgenommen und können erstmals gleichberechtigt Forschungsförderung beantragen. Unter Wissenschaftsministerin Annette Schavan (CDU) wurde zudem die Forschungsförderung des Bundeswissenschaftsministerium systematisch auf das gesamte wissenschaftliche Spektrum umgestellt. Zukunftsweisend seien auch die Forschungskollegs, die jetzt eingerichtet werden, um Geisteswissenschaftlern Zeit für die Grundlagenforschung zu geben. Sie zeigten, dass es möglich sei, über die übliche disziplinenneutrale Förderung hinauszugehen. Für einen Wissenschaftler, der über die Vorsokratiker forschen wolle, könne es eine Zumutung sein, mit einem Kernphysiker zu konkurrieren, sagte Strohschneider.

Wenn Geisteswissenschaften national und international die gleiche Geltung wie Natur- und Technikwissenschaften beanspruchen, sollten sie auch vergleichbare Bewertungsmaßstäbe akzeptieren. Die Fächer müssten sich darum bemühen, ihre Kernthemen und Methoden zu beschreiben, sonst verlören sie ihr Gesicht – und den Anschluss an internationale Standards, sagte der Freiburger Historiker Ulrich Herbert. Tatsächlich aber zeigten sich viele Geisteswissenschaftler unwillig, zu einem System nachprüfbarer Forschungsleistungen beizutragen. Sie hielten die Dignität ihres Gegenstandes für gegeben und wehrten sich gegen „schnöde Leistungskriterien“ aus den USA. Dort ist es ein Qualitätsmaßstab, in anerkannten Zeitschriften zu veröffentlichen – solche aber gibt es in Deutschland kaum.

Dramatischer sei jedoch die Situation in der Lehre, sagte Herbert. Die Leistungen der Dozenten in Vorlesungen und Seminaren werden nicht evaluiert. Darüber, dass ein großer Teil der Studierenden die Leistungsanforderungen unterschreite, hätten die Professoren „ein Schweigekartell“. Das Prinzip des Referate-Hauptseminars, in dem Forschung nicht stattfinde, habe zu einer absurden Absenkung des Niveaus geführt. „Wenn es eine Krise der Geisteswissenschaften gibt, dann liegt sie in der Lehre“, rief Herbert aus.

Mit der Situation der anglo-amerikanischen Humanities wollte bei dem von FU und DAAD veranstalteten Kongress kaum jemand tauschen. Aber in der Lehre könnten sie ein Vorbild sein. Bachelor-Studenten in Oxford schreiben jede Woche ein Essay, Hauptseminarstudenten in Cambridge lesen in einer Woche so viel wie deutsche in einem Semester. Gleichzeitig ist das Betreuungsverhältnis zehnmal schlechter: Betreute ein Professor in den 90er Jahren noch 57 Studierende, sind es heute über 100. Entweder werde in Bachelor und Master massiv investiert, oder das gestufte Studiensystem drohe eine „ungeheure Studienplatzvernichtungsmaschine“ zu werden, sagte Erika Fischer-Lichte, Theaterwissenschaftlerin an der FU. Amory Burchard

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