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Vom Riff ins Forschungsaquarium: Ophiocoma wendtii.

© Heather Stewart

Seltene Fähigkeit von Stachelhäutern: Sehen mit fünf Armen

Man sieht nur mit dem Körper gut - wenn man ein Ophiocoma-Schlangenstern ist. Berliner Forscher haben auch den Mechanismus hinter dem Phänomen entschlüsselt.

Sehen ohne Augen: Ein Schlangenstern sieht mit dem Körper und nutzt dafür offenbar auch seine an der Oberfläche liegenden Farbpigmente. Ein Forscherteam um Lauren Sumner-Rooney und Esther Ullrich-Lüter vom Berliner Museum für Naturkunde hat in Versuchsreihen geklärt, wie sich die Art Ophiocoma wendtii räumlich orientiert. Das nachtaktive Tier, das in der Karibik und im Golf von Mexiko lebt, trägt über den Körper verteilt Tausende Lichtrezeptoren, wie die Forscher im Fachblatt «Current Biology» berichten.

Der Schlangenstern, der fünf Arme und einen Durchmesser von etwas über 20 Zentimeter hat, nimmt im Tagesverlauf verschiedene Farben an: Tagsüber ist er dunkelrot bis schwarz, nachts trägt er ein beiges Streifenmuster. Bei Tag versteckt sich das Tier unter Felsen vor Fressfeinden wie Fischen, während es nachts auf Beutezug geht.

Angezogen von Dunkelheit

In Versuchen prüften die Forscher, wovon das Orientierungsvermögen des lichtscheuen Tieres abhängt. Die, wie etwa auch Seegurken zu den Stachelhäutern gehörenden Schlangensterne, deren Sehvermögen nur grob ausgeprägt ist, bewegten sich klar auf dunkle Reize zu - allerdings nur tagsüber. In ihrer natürlichen Umgebung wie Korallenriffen bewegen sie sich vermutlich so etwa auf Felsspalten zu, wenn sie von Fressfeinden aufgestöbert werden. Unklar ist, wie O. wendtii die Sinnesreize dezentral verarbeitet, denn das Tier hat kein zentrales Nervensystem, sondern einen Nervenring in der kleinen Zentralscheibe.

«Es hat uns überrascht, dass die tagsüber gezeigten Reaktionen verschwanden, wenn wir die Tiere nachts testeten, obwohl die lichtempfindlichen Zellen noch aktiv zu sein schienen», erklärt Lauren Sumner-Rooney von der Universität Oxford. In ausgetüftelten Versuchen fanden die Forscher dann die mutmaßliche Erklärung.

Demnach dehnen sich tagsüber die dunklen Pigmentzellen oder Chromatophoren an der Körperoberfläche aus. Damit sorgen sie dafür, dass Licht in einem spitzen Winkel auf die Photorezeptoren trifft. Ziehen sich die Chromatophoren dagegen nachts zusammen, fällt das Licht in einem breiteren Winkel ein, und die Tiere können die Richtung nicht ausmachen. Nachts sei das räumliche Sehen weniger wichtig, erläutert Ullrich-Lüter, da die meisten Feinde der Schlangensterne tagaktiv seien.

"Extraokulares Sehen"

Die Erkenntnis könnte auch erklären, warum ein enger Verwandter von O. wendtii, O. pumila, anscheinend nicht sehen kann: Dieser Schlangenstern trägt zwar ebenfalls Photorezeptoren, hat aber eine blasse Färbung - ähnlich wie O. wendtii nachts. In den Versuchen reagierte er auf dunkle Reize nicht. Ullrich-Lüter geht jedoch davon aus, dass die Photorezeptoren auch bei O. pumila eine Funktion haben - möglicherweise für das Erkennen von Verdunkelung. Das ergäbe durchaus Sinn: Der tagaktive Schlangenstern vergräbt sich bei Gefahr sofort im Sand.

O. wendtii sei erst das zweite Tier ohne Augen, bei dem Sehvermögen nachgewiesen worden sei, schreiben die Forscher in «Current Biology». Das erste Tier ist der purpurne Seeigel (Strongylocentrus purpuratus). Dort liegen die Photorezeptoren in kleinen Einbuchtungen des runden Kalkskeletts und an den Füßchen, wie Ullrich-Lüter 2011 im Fachblatt «PNAS» berichtet hatte. Die Verteilung der rund 200 000 Lichtsensoren über den runden Körper in Kombination mit einem dezentralen Nervensystem erlaube es den Tieren, Informationen aus über 1500 Lichtrezeptor-Gruppen zu verarbeiten.

Seeigel und Seesterne sind eng verwandt, beide zählen zu den Stachelhäutern (Echinodermata), die es bereits seit mehr als 500 Millionen Jahren gibt. Vermutlich habe sich das extraokulare Sehen schon zu jener Zeit bei gemeinsamen Vorfahren der Tiere entwickelt, glaubt Ullrich-Lüter. «Davon gehen wir stark aus.»

(Walter Willems, dpa)

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