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Achtung Ältere. Das Verkehrsschild aus Großbritannien mahnt zur Vorsicht und zur Rücksicht.

© picture-alliance/dpa

Senioren: Gestörte Altersruhe

Aktiv um jeden Preis? Die Ökonomisierung macht auch vor Senioren nicht halt.

Herzinfarktrisiko gesenkt, Ausdauer gefördert, Beweglichkeit und Standsicherheit verbessert, Sturzgefahr verringert. Es klang gut, was Sabine Eichberg (Deutsche Sporthochschule Köln) über die Effekte körperlichen Trainings bei Älteren bis sehr Alten und sogar Demenzkranken berichtete. Der Berliner Kongress der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie und ihrer Schweizer Schwesterinstitution hieß ja auch „Hoffnung im Alter“.

Nach regelmäßigem Krafttraining konnten die alten Sportsfreunde wieder besser Treppen steigen; selbst bei einem 96-Jährigen nahm die Maximalkraft noch zu. Und dreimonatiges Ausdauertraining verbesserte nicht nur die körperliche Fitness, sondern auch die Konzentration.

Dann das große Aber: Selbstkritisch stellte die Referentin die Übertragbarkeit der eigenen (noch nicht veröffentlichten) Interventionsstudie und damit auch ähnlicher Trainingsstudien radikal infrage. Zwar hätten sie die Trainierbarkeit auch alter Menschen nachgewiesen; positive Wirkungen könne das Training auf die physische wie auch die kognitive Leistungsfähigkeit haben – aber nicht bei allen Betagten. Denn, sagte Sabine Eichberg, erstens hat jeder andere individuelle Voraussetzungen und zweitens wurden die positiven Effekte unter den idealtypischen Laborbedingungen eines Forschungsprojektes erzielt. Die aber sind himmelweit verschieden von den realtypischen Alltagsbedingungen.

Aber auch in der Studie selbst kann es zu Verzerrungen kommen. Ein häufiger, manchmal schwer vermeidbarer Studienfehler verbirgt sich in der Auswahl der Teilnehmer. Es leuchtet ein, dass es eine „selection of the fittest“ ist, die solch ein Training mitmachen und bis zum Schluss durchhalten.

„Aktiv im Alter – um jeden Preis?“ So hieß die Vortragsreihe, in der Möglichkeiten und Grenzen aktiven Alterns aus der Sicht verschiedener Disziplinen untersucht wurden. Der Psychologe Jochen Ziegelmann (FU Berlin) rät, im Alter körperlich, geistig und sozial aktiv zu bleiben, um weiter selbstbestimmt leben zu können. Aber er will niemanden zur Aktivität gedrängt sehen, denn die Entscheidung gegen ein aktives Alter gehöre ebenfalls zur Selbstbestimmtheit. Auch Sabine Eichberg möchte keine Schuldzuweisung an jene, die sich im Alter nur ausruhen wollen. Aber sie fragte auch: „Können wir uns ein inaktives Alter leisten?“ „Das“ Trainingsprogramm für Bejahrte gebe es ohnehin nicht, aber jede Menge Richtlinien, die alle schwer in die Realität zu übertragen seien. Die Umsetzung des wissenschaftlich Gesicherten: Das ist das Hauptproblem für Gerhard Naegele (TH Dortmund). Auch im Alter werde das Gesundheitsverhalten durch gesellschaftliche Umstände bestimmt.

Legt man das Schwergewicht immer auf die Verhaltensänderung, ohne die Bedingungen dafür zu verbessern, dann erreicht man allenfalls die Mittelschicht, verstärkt also die gesundheitliche und soziale Ungleichheit, meinte Naegele. In Deutschland werde die Gesundheitsförderung vernachlässigt und sei total unterfinanziert. Er schlug eine Vernetzung aller gesundheitlichen und sozialen Maßnahmen auf kommunaler Ebene vor, aber ohne viel Hoffnung, denn in den Kommunen sei die Neigung zur Koordination der vielen Akteure wenig ausgeprägt.

Die „schöne neue Alterswelt“ gebe es gar nicht, meinen Silke van Dyk und Stephan Lessenich (Universität Jena). Das öffentliche Altersbild habe sich in den letzten drei Jahrzehnten zwar zum Positiven gewandelt; aber dieses „weich gezeichnete“ Bild betrachten die Soziologen mit Skepsis. Sie kritisieren eine Ökonomisierung: Zunehmend gehe es darum, die Potenziale des Alters gesellschaftlich „produktiven“ Verwendungen zuzuführen.

Nach einer repräsentativen Befragung von 1500 über 55 Jahre alten Erwerbstätigen würde knapp die Hälfte auch als Rentner noch gern arbeiten und sich weiterbilden. Und die andere Hälfte? Hans Werner Wahl (Universität Heidelberg) fragte, wie weit man die Aktivitätspotenziale alter Menschen als ihre eigene Sache betrachten müsse – „und wo beginnt die neoliberale Instrumentalisierung?“

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