zum Hauptinhalt
Salzig und giftig. Der Mono-See in Ostkalifornien enthält hohe Arsen-Konzentrationen. Aus ihm stammen die Bakterien.

© Henri Bortman

Sensationelle Entdeckung: Leben mit Appetit auf Arsen

US-Forscher haben Bakterien gezüchtet, die das Gift Arsen in ihren Stoffwechsel einbauen. Damit werden bisherige biologische Erkenntnisse auf den Kopf gestellt. Es handelt sich um Leben - aber um eine bisher völlig unbekannte Art.

In der schwarzen Komödie „Arsen und Spitzenhäubchen“ töten die alten Damen Abby und Martha Brewster „aus Mitleid“ einsame Männer mit Arsen. Würden sie das gleiche bei GFAJ-1 versuchen, könnten sie den umgekehrten Effekt erzielen. Denn Bakterien dieses Stamms aus der Familie der Halomonadaceae schadet das giftige Halbmetall nicht – sie gedeihen sogar prächtig unter der Arsen-Diät, berichten amerikanische Forscher online im Fachblatt „Science“.

Spektakulär ist das Ergebnis vor allem deshalb, weil das Arsen in den Mikroben offenbar an die Stelle von Phosphor tritt. Das Element gehört zusammen mit Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff und Schwefel zu den Grundbausteinen des Lebens, die man bisher für unersetzlich hielt.

Arsen, chemisch mit Phosphor verwandt, konnte jedoch von den Wissenschaftlern in Proteinen, Fetten und Erbinformation der Bakterien nachgewiesen werden. Es ist zwar als Spurenelement für viele Tierarten zum Leben notwendig, doch ersetzt das Element in diesen Fällen nicht Phosphor, sondern allenfalls ein anderes Spurenelement.

Im menschlichen Organismus ist Phosphor in Form von Phosphat, dem Salz der Phosphorsäure, allgegenwärtig. Dessen Arsen-Pendant ist wiederum Arsenat, das Salz der Arsensäure. Unser Körper kann beide Verbindungen schwer auseinander halten. So schleust er Arsen in den Stoffwechsel ein, wo der Stoff wegen seiner Reaktionsfähigkeit zu Vergiftungen führt und die biochemische Maschinerie der Zelle verklebt.

Trotzdem fragte sich Felisa Wolfe-Simon vom Astrobiologie-Institut der US-Weltraumbehörde Nasa, ob die Natur nicht auch Arsen als Baustein des Lebens „auserwählt“ habe, wie sie bereits 2009 in einem Aufsatz vermutete. Inspiriert wurde die Wissenschaftlerin von den Astrobiologie-Experten Ariel Anbar und Paul Davies von der Arizona-Staatsuniversität, die sich mit der Möglichkeit von außerirdischem Leben befassen. Besonders Davies spekulierte in der Vergangenheit über „bizarres Leben“ in einer Art „Schatten-Biosphäre“. Vielleicht ist Wolfe-Simon nun auf eine erste Spur davon gestoßen.

Vertilgt Arsen. Bakterien vom Typ GFAJ-1 unter dem Elektronenmikroskop.
Vertilgt Arsen. Bakterien vom Typ GFAJ-1 unter dem Elektronenmikroskop.

© Science

Die Wissenschaftlerin besorgte sich Bakterien aus dem Mono-See im östlichen Kalifornien. Er ist extrem salzig und besitzt eine hohe natürliche Arsen-Konzentration. Dann setzte sie die Mikroben im Labor auf phosphatarme Kost und reicherte die Petrischale mit Arsen an. Danach wurden die überlebenden Bakterien in eine neue Kulturschale übertragen und der Phosphor-Gehalt so Schritt für Schritt verringert. Schließlich war klar: jeder vermehrungswillige Mikroorganismus würde auf Arsen zurückgreifen müssen.

Wolfe-Simon rechnete nicht mehr mit Überlebenden. Umso überraschter war sie, als sie eines Abends die Zellkulturen überprüfte und unter dem Mikroskop äußerst muntere Bakterien beobachtete. Es folgten Tests, mit denen nachgewiesen wurde, dass sich das Arsen tatsächlich innerhalb der Bakterien befand und nicht etwa nur auf ihnen haftete. Außerdem wurde Arsenat radioaktiv markiert und auf diese Weise seine Spur in den Mikrobenmagen verfolgt. Tatsächlich war es überall in den Biomolekülen eingebaut worden, selbst in der Erbsubstanz DNS.

„Dieser Organismus besitzt eine doppelte Fähigkeit, er kann sowohl mit Phosphor als auch mit Arsen gedeihen“, sagt der Astrobiologe Paul Davies, der an der Studie beteiligt war. Zwar stamme das Bakterium GFAJ-1 nicht von einem völlig anderen Baum des Lebens mit einem anderen Ursprung. Aber es deute in Richtung eines noch bizarreren Lebewesens.

„Der heilige Gral wäre eine Mikrobe, die überhaupt kein Phosphor mehr enthält“, sagt Davis. GFAJ-1 dagegen wächst besser, wenn es mit Phosphor gedüngt wird. Wolfe-Simon will sich nun auf die Suche nach diesem „Gral“ machen und Bakterienproben an Orten nehmen, an denen viel Arsen und wenig Phosphor im Boden zu finden ist.

Die Wissenschaftlerin vermutet, dass Organismen wie GFAJ-1 sich in heißen, arsenreichen Schloten in der Erdkruste prächtig vermehrten. Diese höllischen Bedingungen waren typisch für die frühe Erde. Viele Forscher glauben, das an solchen Orten das Leben entstand. Erst später könnten die Mikroben sich an phosphatreiche Kost gewöhnt haben.

Andere sind vorerst skeptisch und fordern eindeutige Beweise, dass die Bakterien tatsächlich Arsen anstelle von Phosphor in Biomoleküle einbauen und nutzen können. Außergewöhnliche Behauptungen erfordern außergewöhnliche Belege. So sagte der Biochemiker Barry Rosen von der Florida International University in Miami gegenüber „Science“, die Wissenschaftler sollten demonstrieren, das ein Arsen-haltiges Eiweiß tatsächlich funktionieren könne.

Noch kritischer ist der Astrobiologe Steven Brenner aus Gainesville in Florida. Für ihn ist der Phosphor-Arsen-Austausch nicht einwandfrei festgestellt. „Es ist noch viel zu tun, bis diese Mikrobe ihren festen Ort auf der biologischen Landkarte hat“, meint der Mikrobiologe Robert Gunsalus von der Universität von Kalifornien in Los Angeles. Bis auf weiteres bleibt Arsen also noch ein Gift.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false