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Stammzellen: Jungbrunnen aus Mäuse-Hoden

Zurück auf Start: Bestimmte Hodenzellen können sich selbst verjüngen und in Alleskönner verwandeln. Die überraschende Entdeckung bietet große Chancen für die Medizin

2009 könnte in die Geschichte der Stammzellforschung eingehen. Denn die Fortschritte der Forscher scheinen kein Ende zu finden. In atemberaubender Geschwindigkeit jagte in jüngster Zeit eine Erfolgsmeldung die andere. Das Rezept, das unseren Körperzellen ewige Jugend verspricht, vereinfacht sich mit jeder neuen Arbeit, die veröffentlicht wird. Jetzt ist es wieder soweit. Forscher vom Münsteraner Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin haben Zellen im Hoden von Mäusen entdeckt, die sich praktisch von allein in Alleskönner verwandeln können. Ähnliche Zellen vermuten sie auch in menschlichen Keimbahnzellen.

Seit im Sommer 2006 japanische Forscher die entscheidenden vier Anlagen fanden, um die Lebensuhr ausgewachsener Zellen wieder zurückzudrehen, überschlagen sich die Ereignisse. Verjüngte Zellen sind die größte Hoffnung der Stammzellforscher, denn in ihnen liegt die Pluripotenz, jene Eigenschaft, die eine Zelle zu einem praktisch unsterblichen Verwandlungskünstler macht.

Pluripotente Stammzellen können sich in jede Zelle und jede der mehr als 200 Gewebearten verwandeln. Darin steckt unglaubliches Potenzial. Nicht nur könnten die künstlich verjüngten Alleskönner Gewebe und Organe für schwer erkrankte Herzinfarktpatienten, Querschnittgelähmte und Alzheimerkranke liefern. Sie sind zudem ethisch unbedenklich: Um sie zu gewinnen, muss kein Embryo sterben.

Doch auf dem Weg zur ethisch einwandfreien Stammzelle lagen große Stolpersteine. Anfangs mussten Forscher noch mit Viren die vier Gene in eine Zelle einschleusen, um diese glauben zu machen, sie seien wieder Embryos. Eine riskante Methode, denn vielfach brachte diese genetische Manipulation einen unliebsamen Mitläufer zum Vorschein – Krebs. Das Rezept wurde rasant weiter entwickelt, bald gelang es mittels eines eingebauten Gens Zellen zu verjüngen. Es folgten Methoden ganz ohne das Vehikel Virus und schließlich war nur noch ein Eiweißgemisch nötig, um die Alleskönner zu generieren.

Dies scheint nun ein Ende zu haben: Hans Schöler und sein Kollege Kinarm Ko haben in bestimmten Hodenzellen von Mäusen den Schlüssel zur ewigen Jugend einer Zelle gefunden. Tatsächlich sind in jüngster Zeit bereits mehrere Forscherteams auf die potenten Zellen im Hoden aufmerksam geworden. Unter anderem gelang es bereits Tübinger Wissenschaftlern, aus dem Hodengewebe von Männern sehr wandlungsfähige Zellen zu isolieren. Doch bislang konnte nie ganz geklärt werden, ob jene Zellen tatsächlich uneingeschränkte Eigenschaften besitzen.

Dies scheint Schöler und Ko nun gelungen zu sein, wie sie im Magazin Cell Stem Cell schreiben. Aus dem Hodengewebe isolierten sie sogenannte Keimbahn-Stammzellen. Diese sind extrem rar, gerade zwei bis drei Stück finden sich unter 10.000 Hodenzellen. Keimbahn-Stammzellen sind sehr agil: Unter üblichen Bedingungen behalten sie über Jahre die Eigenschaft, stets neue Spermien zu bilden.

Das Münsteraner Forscherteam nahm die Zellen nun genauer unter die Lupe und entdeckte Erstaunliches: Sobald etwa 8000 Zellen in einem Zuchtgefäß zusammengebracht wurden, fingen diese nach nur zwei Wochen an, sich von allein zurück in ein embryonales Stadium zu verwandeln. Und das ohne Zusatz von Proteinen oder fremden Genen.

Dass die Lebensuhr tatsächlich auf Null zurückgedreht wurde, wollen die Forscher mit zahlreichen Tests belegt haben. Aus den verwandelten Zellen züchteten sie Herz-, Nerven- und weitere Gewebszellen. Es gelang mit den neuen Alleskönnern sogar, Mäuse mit gemischtem Erbgut zu erzeugen. Damit zeigt sich, dass die ehemaligen Hodenzellen ihre Erbinformationen auf die nächste Generation übertragen können.

Was genau hinter dem selbst ausgelösten Jungbrunnen steckt, wissen die Forscher selbst auch noch nicht bis ins kleinste Detail. Doch sollte sich herausstellen, dass auch in menschlichem Hodengewebe ähnliche Alleskönner verborgen liegen, könnte das weitreichende Folgen haben. Zwar bedeuten die Ergebnisse noch Grundlagenforschung, und auch ihr medizinischer Wert ist noch unbekannt. Vielversprechend sind sie aber alle mal.

Quelle: ZEIT ONLINE

Sven Stockrahm

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