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Stammzellenforschung: Britische Chimären

Großbritannien erlaubt jetzt die Erzeugung von Embryonen aus Mensch und Tier. In dem umstrittenen Verfahren sollen menschliche Zellen in tierische Eizellen etwa von Rindern eingesetzt werden. Das soll zu neuen Therapien führen.

Lyle Armstrong kann bald mit der Arbeit beginnen. Der Stammzellforscher der britischen Universität Newcastle hat schon seit langem vor, menschliche Zellkerne in die Eizellen von Rindern einzupflanzen. Solche Versuche, bei denen streng genommen Mischwesen entstehen, die Erbgut von Mensch und Tier enthalten, hat die Behörde für menschliche Befruchtung und Embryologie (HFEA) in London am Mittwoch grundsätzlich genehmigt. Im November wird sich eine weitere Kommission noch mit den Details des Verfahrens beschäftigen, an dem auch Forscher des King's College in London beteiligt sind. Dann dürfte der Herstellung solcher „Chimären“ in Großbritannien nichts mehr im Wege stehen. In Deutschland ist dies, wie in vielen anderen Ländern, verboten. In den USA, in China oder Korea wird dagegen eifrig mit embryonalen Mischformen geforscht.

Den Antrag hatte Armstrong bereits im vergangenen November gestellt – mit der Begründung, man könne mit der Methode neue Therapien zur Behandlung von Krankheiten wie Parkinson und Alzheimer entwickeln. Kritiker meldeten schon damals ethische Bedenken an. Die britische Regierung plante ein gesetzliches Verbot der Forschung mit menschlich-tierischen (hybriden) Embryonen. Doch Wissenschaftler und Patientenverbände protestierten gegen das Vorhaben der Regierung. Diese beschloss daraufhin, eine Umfrage durchzuführen. Rund 60 Prozent der Befragten haben sich positiv zur Forschung mit hybriden Embryonen geäußert. Ablehnend äußerte sich die Mehrheit allerdings zu Methoden, bei denen tierische Eizellen mit menschlichen Spermien vereinigt werden – oder umgekehrt.

„Es erscheint auf den ersten Blick ein wenig abstoßend, aber man muss verstehen, dass wir nur sehr wenig genetische Information der Kuh verwenden“, sagte Armstrong dem britischen Sender BBC. Es solle kein „seltsamer Kuh-Mensch-Hybrid“ geschaffen, sondern die bessere Nutzung menschlicher Stammzellen ermöglicht werden.

Da der Großteil der tierischen DNS in der Eizelle vor dem Einsetzen menschlichen Erbguts entfernt wird, entsteht ein weitgehend menschlicher Embryo, aus dem Stammzellen zur Forschung gewonnen werden können.

Die Forscher setzen deshalb so große Hoffnungen in die Stammzellen von Embryonen, weil diese in der Lage sind, verschiedene Gewebearten nachzubilden. Bei Krankheiten wie Parkinson oder Alzheimer werden Gehirnzellen zerstört – die Folge ist der unaufhaltsame Verlust geistiger und körperlicher Fähigkeiten. Könnten aus Stammzellen neue Gehirnzellen gezüchtet werden, wäre eine Heilung unter Umständen möglich.

Mit dem Verfahren, für dessen Genehmigung das Team um Armstrong jetzt den Weg bereitet hat, könnte das therapeutische Klonen erleichtert werden. Bei dieser Methode wird in eine entkernte Eizelle der Kern einer Körperzelle eines Patienten eingepflanzt. Aus dem so erzeugten Embryo werden dann Stammzellen gewonnen.

So lässt sich für jeden Kranken maßgeschneidertes Gewebe züchten, das ohne Abstoßungsreaktion implantiert werden kann – zumindest in der Theorie. Bisher werden bei dem Verfahren unzählige menschliche Eizellen verbraucht, bis ein Laborversuch erfolgreich ist. Doch solche Eizellen sind Mangelware. Zwar bleiben bei der künstlichen Befruchtung einige Eizellen für die Forschung „übrig“, doch das reicht nicht aus, um große Versuchsreihen durchführen zu können.

Mit der gleichen Technik, die 1996 angewandt wurde, um das Schaf Dolly zu klonen, wollen die britischen Forscher jetzt gezielt Embryonen schaffen, denen sie im Alter von sechs Tagen die begehrten Stammzellen entnehmen können. Ob der Einsatz solcher Mischformen vertretbarer wäre als die Nutzung rein menschlicher Embryonen, ist aber umstritten – obwohl die Forscher davon ausgehen, dass die künstlich erzeugten Embryonen genetisch zu 99,9 Prozent menschlich wären – der Kuhanteil wäre auf die DNS außerhalb des Zellkerns beschränkt.

Ob sich aber aus den Mischzellen von Mensch und Kuh überhaupt Embryonen entwickeln, die mindestens sechs Tage überleben, steht noch nicht fest. „Bisherige Versuche mit Mischzellen waren wenig effektiv“, sagte Jürgen Hescheler, Stammzellforscher an der Universität Köln, dem Tagesspiegel, als Armstrongs Antrag bekannt wurde.

Immerhin war chinesischen Forschern 2003 der Versuch mit Eizellen von Kaninchen gelungen. Daraus hatten sich Embryonen entwickelt, denen Stammzellen entnommen werden konnten, wie die Wissenschaftler im Fachblatt „Cell Research“ (Band 13, Seite 251) berichteten. „Man hat nie wieder etwas davon gehört“, kommentierte Hescheler damals. Er sei skeptisch, ob das Experiment wirklich funktioniert habe. Auch zum möglichen therapeutischen Einsatz von Mensch-Rind-Embryonen äußerte er Bedenken. „Es wären Abstoßungsreaktionen zu befürchten“, sagte er.

Optimistisch ist dagegen Ian Wilmut. Wie die britische Tageszeitung „The Guardian“ am Mittwoch berichtete, wartet der Schöpfer von Dolly auf das Okay von HEFA, um embryonale Mischwesen erzeugen zu können. Zusammen mit Chris Shaw vom Londoner Institut für Psychiatrie möchte er damit Krankheiten studieren, bei denen Neuronen absterben, die die Motorik steuern.

Paul Janositz, Dagny Lüdemann

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