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Signatur auf einem Schädelfragment, unter anderem mit dem Schriftzug Czekanowski und den Jahreszahlen 1907 bis 1909.

© Museum für Vor- und Frühgeschichte

Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Was wird aus ostafrikanischer Schädel-Sammlung?

Ein Berliner Museum will wissen, wie 1000 Schädel in seine historische "Luschan-Sammlung" kamen. Auch, um sie eventuell nach Ruanda zurückzugeben.

Schädel aus allen Zeiten der Menschheitsgeschichte waren es, die den Berliner Mediziner und Anthropologen Felix von Luschan faszinierten. 6300 sammelte er ab 1885 als Direktionalassistent am Museum für Völkerkunde und ab 1909 als Professor der Berliner Universität. „Es sind archäologische dabei, beispielsweise aus Ägypten, Mittel- und Südamerika sowie aus europäischen frühmittelalterlichen Gräberfeldern“, sagt Bernhard Heeb, Kustos am Museum für Vor- und Frühgeschichte.

Ein größerer Teil aber stamme aus deutschen Kolonien in Afrika und dem Pazifikraum. Zur „S-Sammlung“ von Luschans (S steht für Schädel) äußert sich Heeb in einem Interview, das die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) zum baldigen Beginn eines Forschungsprojekts zur Herkunft der menschlichen Überreste veröffentlicht hat.

Preußenstiftung will Herkunft aller menschlichen Überreste klären

Untersucht werden in einem zweijährigen Pilotprojekt ab Oktober rund 1000 der 5500 erhaltenen Schädel – mehrheitlich jene, die Signaturen zufolge aus der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika, dem heutigen Gebiet von Ruanda, stammen. Feststellen will man, ob die Schädel aus einem „Unrechtskontext“ kommen, also etwa von Opfern von Exekutionen durch Kolonialherren – was aber nach heutigem Kenntnisstand unwahrscheinlich sei – oder aus historischen Gräberfeldern.

Die SPK hat sich auferlegt, die Herkunft aller menschlichen Überreste in ihren Sammlungen aufzuklären, dazu hat sie 2015 „Grundpositionen“ formuliert. Vor jeder weiteren Forschung müsse geklärt sein, „dass die menschlichen Überreste nicht durch einen Unrechtskontext in die Sammlung des Museums kamen“. Für jedes Exponat müsse dann über den Verbleib im Museum, über eine Rückgabe an die Herkunftsgesellschaft oder eine Bestattung entschieden werden. 2011 und 2015 hatte die Charité Überreste von Opfern des deutschen Völkermords an den Herero und Nama an Namibia übergeben.

Zusammenarbeit mit Anwohnern und Forschern in Ruanda

Die Herkunftsorte der Schädel aus Ostafrika lassen sich aufgrund von Beschriftungen und verfügbaren Dokumenten recht gut rekonstruieren. Sie stammen aus einer Expedition, an der der polnische Forscher Jan Czekanowski 1907–1908 teilgenommen hat. Projektmitarbeiter werden die Fundorte in Ruanda, darunter häufig historische Gräberfelder, aufsuchen, sagt Projektleiter Bernhard Heeb. So weit wie möglich solle die mündliche Tradierung dokumentiert werden, etwa um herauszufinden, bis wann dort bestattet wurde. Gesucht werde auch nach Archiven in den Herkunftsländern – in Kooperation mit dortigen Wissenschaftlern.

Zum Team des Museums für Vor- und Frühgeschichte gehören auch ein Ethnologe, eine Anthropologin und eine Museologin. Finanziert werden diese zusätzlichen Stellen – und die Reisekosten – mit einer Förderung Gerda-Henkel-Stiftung, die sich vor allem für die Erhaltung kulturellen Erbes in Krisenregionen einsetzt.

Bislang wurde wenig an der Schädel-Sammlung geforscht

Dass die Sammlung von Luschans überhaupt bis heute weitgehend vollständig besteht, ist keineswegs selbstverständlich. Nach dem Tod des Sammlers 1924 kam sie an die Pathologie der Berliner Universität, dann ans Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik nach Dahlem. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Sammlung aus der Universität ausgelagert und 1948 im Marstall des Berliner Stadtschlosses wiederentdeckt. Sie kam ins Medizinhistorische Museum der Charité, die sie 2011 an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz abgab. Die Schädel seien in einem schlechten Zustand gewesen, sagt Kustos Heeb. In den vergangenen Jahren habe man sie von Schmutzschichten und Schimmel befreit und neu konserviert. Im jetzigen Zustand seien sie nach langer Zeit wieder "würdig untergebracht".

Es sei nicht anzunehmen, dass die Schädel in „rassenkundliche“ Forschungen in der Weimarer Republik oder im Nationalsozialismus einbezogen wurden, sagte eine Sprecherin der Stiftung Preußischer Kulturbesitz auf Anfrage. Nach heutigem Wissensstand sei überhaupt wenig damit gearbeitet worden. Felix von Luschan selber habe sie angelegt, um die Menschheitsgeschichte zu erforschen – einen Plan, den er offenbar nicht realisierte.

Neue Forschungsfragen - und der ethische Vorbehalt

Heute könnte die Sammlung durchaus von Interesse für aktuelle Forschung am Museum für Vor- und Frühgeschichte sein, sagt Bernhard Heeb. So wäre es möglich, mit Methoden wie der Paläogenetik „alte“ Krankheiten und Resistenzen dagegen zu entdecken oder etwa Migrationsbewegungen in den Herkunftsländern zu beschreiben. Doch zuvor gilt es aufzuklären, ob eine solche wissenschaftliche Nutzung ethisch vertretbar ist. Das gilt selbst für Bilder von den Schädeln, sagt die SPK-Sprecherin. Als Fotomaterial wird deshalb an die Medien nur der hier gezeigte kleine Abschnitt einer Schädeldecke mit der Signatur des früheren Völkerkundemuseums freigegeben.

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