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Spezialdiät. Die Mars-500-Teilnehmer bekamen jeden Tag gleich viel Salz.

© Esa

Stoffwechsel: Alles auf Salz

Seit Jahrzehnten wird darüber gestritten, wie salzig unser Essen sein darf, damit der Blutdruck nicht unnötig steigt. Nun zeigte ein Isolationsexperiment, dass viele der Studien auf unsicheren Daten basieren.

Als sich je sechs Freiwillige in einem Moskauer Vorort erst für 105 und dann für 520 Tage in einem Isolationscontainer einsperren ließen, simulierten sie die Belastungen während einer Expedition zum Mars. Doch eine Studie im internationalen „Mars-500“-Projekt hatte nichts mit den unendlichen Weiten des Weltraums zu tun. Vielmehr interessierte Forscher um Jens Titze von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg scheinbar bekanntes Terrain: der Salzhaushalt des Körpers.

Den Wissenschaftlern bot das Experiment eine einmalige Gelegenheit. Dank der Unterstützung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt konnten sie erst 105 und dann 205 Tage lang die Salzzufuhr von zwölf jungen Männern mit extra zusammengestellten Menüs genau kontrollieren, deren Gesundheit überprüfen und gleichzeitig über einen langen Zeitraum die Zusammensetzung des Urins untersuchen. Die Ergebnisse stellen sie nun im Fachjournal „Cell Metabolism“ vor und rütteln damit an sicher geglaubtem Lehrbuchwissen.

Salz ist lebensnotwendig. Ohne Natriumchlorid würde der Transport von Wasser und Nährstoffen im Körper zusammenbrechen, die Nerven hätten Mühe, ihre Signale zu übertragen und auch die Muskeln könnten nicht funktionieren. Allerdings kommt es auf das rechte Maß an. Damit sich nicht zu viel im Körper ansammelt, wird bei gesunden Menschen das überschüssige Salz schnell wieder über die Niere ausgeschieden – und wir bekommen Durst. Meist innerhalb von 24 Stunden, spätestens nach einigen Tagen sollte der Salzgehalt des Körpers wieder im Gleichgewicht sein.

Dieses Gleichgewicht jedoch ist kein konstanter Wert, haben die Forscher um Titze festgestellt. Auch als die Möchtegern-Astronauten über 205 Tage die gleiche Menge Salz über die Nahrung bekamen, schwankte die Natriumausscheidung über den Urin von Tag zu Tag. Eine statistische Analyse offenbarte schließlich einen Wochenrhythmus. Wie viel Natrium insgesamt im Körper zur Verfügung stand, änderte sich im Monatsverlauf – und zwar unabhängig von Gewicht, Blutdruck oder dem Wasseranteil im Körper. Diese Rhythmen werden offenbar mithilfe des Hormons Aldosteron und seines Gegenspielers Kortisol gesteuert.

„Wer angesichts solcher Schwankungen einmal über 24 Stunden Urin sammelt und daraus indirekt ermitteln will, wie viel Salz ein Mensch zu sich genommen hat, kann genauso gut würfeln“, sagt Friedrich Luft, Direktor des Experimental and Clinical Research Centers der Charité, der an der Studie beteiligt war. „So kann man nur raten, ob jemand zum Beispiel sechs oder zwölf Gramm Salz zu sich genommen hat.“ Die Studie habe gezeigt, wie wenig man über den Elektrolythaushalt weiß. Und unter Alltagsbedingungen oder auch bei Frauen könnte er noch einmal anders funktionieren.

Trotzdem wird seit Jahrzehnten salzarme Ernährung gepredigt. Zu viel Salz erhöhe den Blutdruck und damit das Risiko für Herzkrankheiten und Schlaganfälle, lautet ein Argument. Über die richtige Menge Salz wird heftig gestritten. „Zu industriefreundlich und bestellt“ schimpfen die einen die Studien der Gegenspieler. Diese wiederum bezweifelten die wissenschaftliche Integrität der anderen. Sie brauchten eindeutige Slogans zur Gesundheitsförderung und kehrten daher alle Zweideutigkeit bei der Interpretation der Daten unter den Tisch. Schließlich wirken beinahe 50 verschiedene Faktoren im Körper zusammen, um den Blutdruck zu senken oder zu erhöhen.

Jens Titze, der derzeit an der Vanderbilt-Universität in Nashville forscht, findet salzarme Kost hilfreich. Doch die Ergebnisse seines Teams dürften den Streit neu anheizen. Viele Salz-Studien stehen offenbar auf wackligen Füßen. Selbst „Intersalt“, eine Studie mit 10 079 Teilnehmern aus 52 Zentren auf der ganzen Welt, stellt die Beziehung zwischen niedrigerem Blutdruck und wenig Salz über eine 24-Stunden-Urinprobe her.

„Unsere Studie zeigt, wie wichtig es ist, die Natriumausscheidung über längere Zeit zu messen, um die Salzzufuhr richtig schätzen zu können“, sagt Titze. Im ersten Teil von Mars-500 senkte sein Team den Salzgehalt der Nahrung während drei Monaten von zwölf auf neun und dann sechs Gramm pro Tag. Prompt sank der Blutdruck der Teilnehmer etwas. In Teil zwei wurde der Salzgehalt nach mehr mehr als fünf Monaten von sechs auf zwölf Gramm erhöht – und der Blutdruck stieg. Klärt das den Streit? Nein, sagt Luft. Schließlich gab es im Container keine Kontrollgruppe.

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