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Ein Schüler rechnet Matheaufgaben mit den Fingern nach.

© Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa

Update Exklusiv

Streit um Aufholprogramm nach Corona: Karliczek setzt Priorität auf Nachhilfe für Kinder und Jugendliche

Wie umfassend muss Kindern und Jugendlichen geholfen werden, um Pandemiefolgen zu überwinden? Positionen der Bildungsministerin und der SPD-Chefin kollidieren.

Das Bundesbildungsministerium drängt auf eine schnelle Einigung im Streit um die Corona-Nachhilfe für Kinder und Jugendliche, die in der Zeit der Schulschließungen und des Distanzunterrichts in der Schule zurückgefallen sind. "Aus Sicht des BMBF wäre ein Kabinettbeschluss in dieser Woche wünschenswert gewesen, die Verhandlungen waren sehr weit fortgeschritten", heißt es aus dem Ministerium.

Wie berichtet stand für Dienstag ein mit zwei Milliarden Euro gefördertes Corona-Aufholpaket, das in der großen Koalition geschnürt worden ist, auf der Tagesordnung des Bundeskabinetts. Es wurde aber am Vorabend ohne Angabe von Gründen zurückgezogen. Auch das federführende BMBF verrät auf Anfrage des Tagesspiegels nicht, woran es noch hakt.

Schüler:innen sollen schnell wissen, dass Hilfe kommt

"Ein schneller Beschluss ist wichtig, damit die Kinder und Jugendlichen schnellstmöglich wissen, dass sie Unterstützung zum Aufholen von pandemiebedingten Lernrückständen erhalten", erklärt jedoch eine Ministeriumssprecherin.

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Darüber bestehe auch "Einigkeit in der Bundesregierung". Zum anderen müsse in den Ländern die Umsetzung des Programms organisiert werden. Auch beim Bund seien entsprechende Schritte notwendig. Auf Fragen nach der Haltung von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) zum breiter angelegten Corona-Aufholpaket geht die Sprecherin nicht ein.

Anja Karliczek spricht bei einer Pressekonferenz in ihrem Ministerium.
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) setzt die Prioritäten auf die Corona-Nachhilfe.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Esken fordert schnelle Entscheidung für umfassendes Programm

Gleichzeitig dringt auch SPD-Chefin Saskia Esken auf eine schnelle Lösung, sie ist die treibende Kraft hinter dem über die Nachhilfe weit hinausgehenden Corona-Aufholpaket. Am Donnerstag forderte Esken die Union und damit auch Karliczek auf, sich zu bewegen: "Ich erwarte von CDU und CSU, dass sie ihre Blockade beim Aufholpaket jetzt umgehend beendet, damit wir schnelle und umfassende Unterstützung leisten können."

Es dürfe "nicht nur um Nachhilfestunden" gehen. "Mehr und mehr Kindern fehlen Motivation und Zuversicht, manche entwickeln sogar Depressionen", erklärte Esken gegenüber dem Tagesspiegel. "Diese erschreckende Entwicklung müssen wir aufhalten, um das Wohl unserer Kinder zu schützen."

Deshalb wolle die SPD über den Bund "viel Geld für Ferienprogramme, Sozialarbeit und Jugendeinrichtungen zur Verfügung stellen". Esken hatte wie berichtet bei Kanzlerin Merkel einen Aktionsplan für die "Generation Empowerment" vorgestellt. Der umfasst auch Programme in Jugendfreizeitstätten und Mehrgenerationenhäusern - und sieht vor, Sprach-Kitas mit einem hohen Anteil mehrsprachiger Kinder massiv auszubauen.

Hat Esken die Corona-Hilfe für Kinder überfrachtet?

Nach einem Treffen mit Merkel, aber auch mit Karliczek und mit Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) am 15. April hatte Esken einen Erfolg vermeldet: Die Kinder und Jugendlichen, "die besonders unter der Corona-Pandemie, unter Kontaktbeschränkungen und geschlossenen Einrichtungen leiden" sollten mit einem Maßnahmenpaket in dem von der SPD geforderten Volumen von insgesamt zwei Milliarden Euro unterstützt werden.

Zuletzt sattelte Esken auch noch eine Einmalzahlung von 100 Euro für Kinder aus Hartz IV-beziehenden Familien auf. Damit sollen sie Freizeitaktivitäten finanzieren können.

War die Erfolgsmeldung Mitte April voreilig? Nach der Verschiebung des geplanten Kabinettsbeschlusses war zu hören, dass es auf Unionsseite Vorbehalte gegen die Verknüpfung der Corona-Lernhilfen mit sozialpädagogischen Maßnahmen und dem Kita-Programm gebe. Dabei stört sich die Union offenbar vor allem an dem 100-Euro-Bonus.

Hamburgs Schulsenator: Entscheidung im Mai

Auch der Städtetag macht Druck, das ganze Aufholpaket zu verabschieden: Neben Lernrückständen litten Kinder und Jugendlich auch unter "gravierenden" Einschränkungen im Alltag, unter fehlenden Treffen mit Freunden, ausfallendem Training im Sportverein und unsicheren Zukunftsperspektiven.

Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD), der das Nachhilfe-Programm für die Länder mit Karliczek ausgehandelt hatte, bestätigt auf Anfrage "Klärungsbedarf bei einzelnen ergänzenden Fragen um die soziale Unterstützung für die Familien". Er gehe trotzdem davon aus, "dass die offenen Fragen zügig geklärt werden können und noch im Mai eine tragfähige Entscheidung getroffen werden kann".

"Das Kernelement der künftigen Förderung, die Lernförderung im Umfang von rund einer Milliarde Euro", werde nicht kritisch diskutiert, betont Rabe. "Im Gegenteil, hier gibt es auf allen Ebenen große Rückendeckung."

Franziska Giffey spricht mit jungen Müttern, die in einem Familienzentrum frühstücken.
Für eine Familienkomponente: Bundesministerin Franziska Giffey (Mitte) besuchte 2019 das Mehrgenerationshaus und Familienzentrum in Teltow.

© Sebastian Gabsch/PNN

Dass es gleichwohl noch Klärungsbedarf in der großen Koalition und auch zwischen Bund und Ländern gibt - Karliczek hatte unlängst auch eine Kofinanzierung der Nachhilfe-Milliarde durch die Länder gefordert -, klingt nicht nach einem schnellen Start des Nachhilfe-Programms.

Der war aber ohnehin von vornherein erst für die Zeit nach den Sommerferien vorgesehen - auch in Hamburg, wo Rabe Ende März ein eigenes Landesprogramm vorgestellt hatte.

"Starten soll das Nachhilfeprogramm unmittelbar mit Beginn des kommenden Schuljahres", heißt es jetzt aus dem BMBF. Zusätzliche Lernangebote sollen aber auch bereits in den Sommerferien gemacht werden. Die Angebote sollen "in bestehende Strukturen eingebettet sein" - gemeint sind neben den Schulen etwa auch Nachhilfeinstitute und Volkshochschulen.

Vor dem Start stehen Tests, wo Schüler:innen Lücken haben

Die zusätzlichen Lernstunden geben sollen pensionierte Lehrerinnen und Lehrer, Lehramtsstudierende sowie Kräfte aus der Zivilgesellschaft, teilt das BMBF weiter auf die Frage nach Details des Programms mit.

Doch bevor es losgehen kann, fordert die Bundesbildungsministerin einen Überblick über das tatsächliche Ausmaß der Wissens- und Kompetenzlücken bei Schülerinnen und Schülern. Zu solchen Lernstandserhebungen sei das BMBF jetzt mit den Ländern im Gespräch, heißt es.

"Bund und Länder stimmen überein, dass die Lehrkräfte vor Ort ihre Schülerinnen und Schüler am besten einschätzen und mögliche Lernrückstände in den Blick nehmen können." Sie sollten dabei mit geeigneten Testmaterialien und Diagnoseinstrumenten unterstützt werden, die die Länder zentral zur Verfügung stellen.

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hat unterdessen das "Aufholpaket nach Corona" als Ganzes verteidigt. Es gehe darum, Kindern, Jugendlichen und ihren Familien ein "Nachholen und Aufatmen" zu ermöglichen, sagte Giffey dpa zufolge der "Rheinischen Post" (Donnerstag).

Sprachförderung, Schulsozialarbeit und der vereinfachte Zugang zu Nachhilfeangeboten gehörten genauso dazu wie außerschulische Kinder- und Jugendarbeit und die Unterstützung der Familien. "Wir achten darauf, gerade auch die Kinder, Jugendlichen und Familien zu erreichen und zu unterstützen, die es besonders schwer haben.“

Ties Rabe hofft auf eine schnelle Entscheidung, "weil die Vorbereitung der entsprechenden Lernförderkurse in den Ländern sehr viel Planung und sehr viele praktische Aufgaben umfasst, die wir jetzt zügig angehen müssen, um möglichst schon in oder spätestens direkt nach den Sommerferien das Programm in den Ländern starten zu können."

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