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Theodor Eschenburg

© dpa

Streit um Theodor Eschenburg: Die NS-Vergangenheit spaltet die Politologen

Darf Theodor Eschenburg Namensgeber eines Preises sein – zumindest, bis mehr über die NS-Vergangenheit des Politologen bekannt ist? Wir haben die Politikwissenschaftler Christine Landfried (Hamburg) und Claus Offe (Berlin) um ein Pro und Contra gebeten.

Deutschlands Politologen streiten über ihren Gründervater Theodor Eschenburg: Darf der einst gefeierte „Lehrer der Demokratie“ Namensgeber eines Preises sein – obwohl Eschenburg im Dritten Reich Mitglied der SS wurde, an der Arisierung eines jüdischen Unternehmens mitwirkte und nach dem Krieg darüber schwieg? Die Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft wollte sich kein Urteil anmaßen – und schaffte den Preis am Sonnabend ab. Doch der Streit tobt weiter. Eschenburgs Verteidiger finden: Die Abschaffung des Preises ist ein Urteil – und ein falsches dazu. Denn Eschenburg sei nie Nazionalsozialist gewesen, schon gar nicht Antisemit, höchstens Opportunist, aus Angst um seine Familie.

Für die Gegner Eschenburgs ist genau dies das Problem: Effizient im Sinne staatlicher Interessen habe Eschenburg funktioniert. Genau wie Hans Globke, Adenauers Kanzleramtschef, Kommentator der Nürnberger Rassengesetze, für Eschenburg ein Widerstandskämpfer wie Willy Brandt, so zu lesen noch 1961 in der „Zeit“. Doch die Kolumne dort wie das wissenschaftliche Werk Eschenburgs begründeten auch seinen Ruf als „Gewissen der Nation“. Was wiegt schwerer? Historiker wollen weiter zu Eschenburg forschen, zu seinem Verhalten im Dritten Reich und seiner Anpassung an die Demokratie.

Für den Tagesspiegel erklärt Christine Landfried, Professorin an der Uni Hamburg, warum die Abschaffung des Preises falsch ist - Claus Offe, Professor an der Hertie School of Governance Berlin, widerspricht ihr. Lesen Sie im folgenden die beiden Positionen.

Pro - Christine Landfried: Erst forschen, dann entscheiden

Als Vorsitzende der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) in den Jahren 1997 bis 2000 trage ich die Verantwortung für die Entscheidung, einen Preis mit dem Namen „Theodor-Eschenburg-Preis“ für das Lebenswerk einer Politikwissenschaftlerin oder eines Politikwissenschaftlers zu vergeben. Der Grund für die Namensgebung bestand in dem bedeutenden Beitrag, den Theodor Eschenburg mit seinem wissenschaftlichen Werk und seinem öffentlichen Wirken zum Aufbau der Demokratie in Deutschland geleistet hat.

Im Jahr 2012 erhielt Claus Offe den Preis und erklärte, er nehme den Preis zwar gern an, habe jedoch Probleme mit dem Namensgeber. Erstens zweifle er an der Vorbildlichkeit des Werkes, das den „Charakter einer gleichsam ‚institutionenpflegerischen’ politischen Publizistik“ habe (Rede am 27.9.2012, Seite 5). Ich teile diese Geringschätzung des wissenschaftlichen Werkes nicht. Es wäre für Politikwissenschaftler durchaus sinnvoll, im Sinne Eschenburgs Institutionen präzise zu analysieren und auf der Basis wissenschaftlicher Analysen auch einen Beitrag zu öffentlichen Debatten zu leisten. Vielleicht könnte die hochgradige Irrelevanz des Faches auf diese Weise verringert werden.

Zweitens, so Offe, sei Eschenburg wegen seines Handelns im Nationalsozialismus und wegen der fehlenden Auseinandersetzung mit diesem Handeln in seiner „Vorbildfunktion beschädigt“ (Rede, Seite 6). Es wurden bisher aber keine Fakten vorgelegt, die diese Aussage begründen könnten. Gleichwohl haben Vorstand und Beirat der DVPW an diesem Wochenende den Preis abgeschafft. In der Begründung ist zu lesen, dass mit der Entscheidung keine Beurteilung Eschenburgs verbunden sei. Doch die Kontroverse über die „Benennung des Preises“ habe dazu geführt, dass der Preis seine integrierende Wirkung nicht mehr entfalten könne.

Diese Entscheidung ist eine Blamage für die DVPW und obendrein feige. Denn die Abschaffung des Preises bedeutet nach den Regeln der Logik, die Wissenschaftler beherrschen sollten, natürlich ein Urteil über das Verhalten des Namensgebers des Preises. Für ein solches Urteil müsste man jedoch beweiskräftige Belege haben. Es ist mir ein Rätsel, wie man auf der Basis vieler Unklarheiten und wenig aussagekräftiger Dokumente zu einem weitreichenden Urteil über das Verhalten eines Menschen kommen kann. Noch immer gilt die Regel, dass uns die Quellen darüber Auskunft geben, was wir nicht sagen können.

Christine Landfried, Politologin an der Universität Hamburg.
Christine Landfried, Politologin an der Universität Hamburg.

© Promo/Bert Brüggemann

Diese grundlegende Regel ist hier nicht eingehalten. Die Entscheidung von Vorstand und Beirat ist daher ein Armutszeugnis für Vorstand und Beirat einer wissenschaftlichen Vereinigung. Man hätte Zeit gebraucht, um zu forschen und die strittigen Fragen zu klären. Ein Moratorium wäre eine kluge und für eine wissenschaftliche Vereinigung angemessene Entscheidung gewesen.

Ein Armutszeugnis ist es auch, die Abschaffung eines Preises damit zu begründen, die Kontroverse habe dazu geführt, dass „der Preis für das Fach bzw. die Vereinigung“ nicht mehr „integrierend“ wirke. Was ist gegen Kontroversen einzuwenden? Sie gehören zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Auch harte Kontroversen gehören dazu. Wieso schadet das der Integration?

Von Schaden ist es freilich, wenn im Laufe solcher Kontroversen rechtsstaatliche und faire Verfahren verletzt werden. Genau dieses ist in der Auseinandersetzung um den Theodor-Eschenburg-Preis geschehen. Die Vorsitzende der DVPW hat eine private E-Mail ohne Zustimmung des Absenders veröffentlicht. Von der rechtlichen Problematik ganz abgesehen – so etwas tut man nicht. Aus diesem Grund bin ich noch vor der Entscheidung über die Abschaffung des Preises aus der DVPW ausgetreten. Ich möchte nicht Mitglied in einer Vereinigung sein, in der man so mit Kollegen umgeht.

- Die Autorin ist Professorin für Vergleichende Regierungslehre an der Universität Hamburg.

Contra - Claus Offe: Wir wissen genug über Eschenburg

Opportunismus geht ins Auge – wenn nicht immer, so doch meistens. Aus dem Kreis der Kollegen, die seinerzeit für die Benennung des Preises nach Eschenburg verantwortlich waren, ist zu hören, zu dem Namen sei es keineswegs wegen des wissenschaftlichen Ranges des Namensgebers gekommen, sondern weil man den konservativen Mitgliedern der Vereinigung ein nettes Signal senden wollte. Indes wird der Sozialwissenschaftler Rainer M. Lepsius mit dem schneidenden Urteil zitiert: „Man sollte sich wundern, wie der Vorstand … im Jahre 2000 Eschenburg als Leitfigur auswählen konnte. Er war ein Publizist ohne Beitrag zur politischen Wissenschaft. … Ganz unabhängig von der NS-Zeit ist Eschenburg kein Leitbild.“ Gleichwohl findet sich jetzt Lepsius auf der Liste derjenigen, die die Benennung des Preises auf jeden Fall beibehalten wollen. Wieder andere werten Eschenburgs Beitrag zu politischer Bildung und politischen Publizistik als so bedeutend, dass ihm gegenüber moralische Einwände entfallen. Man fühlt sich wie im Kino, wenn Rashomon gezeigt wird – jenes berühmte filmische Vexierbild aus Japan, in dem aus wenigen unstrittigen Ereignissen vier unvereinbare Geschichten gemacht werden.

Die „Basis“ der Vereinigung, angeführt von einigen Honoratioren, hatte im Lauf des Streits auf einen Modus der "Willensbildung" umgeschaltet, der mit persönlichen Austrittsdrohungen und einer Unterschriftenkampagne operiert. Als eher komische Einlage gewähren ältere Herren einander Anstandsunterricht oder pöbeln sich auch mal an. Das alles taugt nicht recht zur Befriedung von Konflikten.

Erklärter Zweck des „Offenen Briefes“ für die Beibehaltung des Preisnamens war es unter anderem, die Gefahr abzuwenden, dass im Falle einer Korrektur der Vorstand der DVPW „seine eigenen Vorgänger desavouieren“ würde – frei nach der Regel: Was 2000 richtig war, kann ja 2013 nicht falsch sein! Sollte der Vereinigung damit ein kollektives Lernverbot auferlegt, sie gegenüber dem aktuellen Kenntnisstand blind gestellt werden?

Als ich bei Annahme des Preises erneute Überlegungen über dessen Namen angeregt habe, war die Kontroverse über Eschenburg, seine Aktivitäten in der Nazi-Zeit, seine spätere (Nicht-)Stellungnahme zu denselben sowie über die Bedeutung des Werkes in vollen Gange. Hätte ich die Annahme des Preises verweigert, hätte ich mich als ein verbiesterter Tugendbold lächerlich gemacht und die Kolleg(inn)en „desavouiert“, die über die Preisverleihung entschieden hatten.

Claus Offe, Politologe an der Hertie School of Governance.
Claus Offe, Politologe an der Hertie School of Governance.

© promo

Meine Mitwirkung am Lauf der Ereignissen beschränkt sich auf zwei Schritte. Zum einen habe ich in gewiss unkonventioneller Weise die Gründe benannt, aus denen mir ein erneuter Beschluss über den Namen des Preises fällig schien. Ich habe Eschenburgs Aufwertung zum vorbildgebenden Meister der Zunft widersprochen. Aktuelle Beiträge bestätigen, dass dazu Anlass bestand.

Zum anderen habe ich im Vorfeld der Entscheidung des Vorstandes, den Preis auszusetzen, eine private Äußerung publik gemacht, in der mir einer der Anführer der Kampagne selbst seine Zweifel an der politisch-moralischen Unbeflecktheit des Namensgebers mitgeteilt hat. Hätte ich diese Mitteilung aus Diskretion unterlassen, hätte der Vorstand in eingeschränkter Kenntnis relevanter Sachverhalten entschieden. Der gewählte Ausweg ist angreifbar – ich weiß.

Summa: Wenn eine wissenschaftliche Fachgesellschaft den einzigen Preis, den sie für ein „Lebenswerk“ vergibt, nach einer Person benennt (was sie ja nicht muss), so sollte diese Person über wissenschaftliche, moralische und politische Einwände erhaben sein. Diesem Kriterium genügt der Name Eschenburg nicht (mehr). Eine politikwissenschaftliche Gesellschaft hat es nicht nötig, eine Figur gleichsam im Wappen zu führen, deren „Verstrickung“ in das NS-Regime erwiesen scheint. Dies um so mehr, als es Namen gibt, die diesem Massstab genügen, etwa den von Ernst Fraenkel.

- Der Autor ist Professor für Politische Soziologie an der Hertie School of Governance Berlin.

Christine Landfried, Claus Offe

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