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Studentenstreik: Die letzten Uni-Besetzer

Anderswo sind die Proteste längst am Ende, doch sie harren aus: Seit Mitte November wohnen Studierende im Audimax der Humboldt-Universität, schlafen und kochen dort, diskutieren und trinken Bier. Ein Besuch.

Die Matratzen haben sie tagsüber gestapelt, auf den Fensterbrettern liegen bunte Schlafsäcke, in der Ecke steht ein blaues Iglu-Zelt. Es gehört Ina, die manchmal noch im Audimax der Humboldt-Universität übernachtet. Und die doch ein bisschen Privatsphäre haben möchte. Max hingegen trägt Bademantel, ganz wie daheim. Was soll’s, schließlich wohnt er hier, zwischen Hörsaal und Foyer, Treppenhaus und öffentlichem Klo.

Zehn sind es, bestenfalls 15 Studierende, die den größten Hörsaal der Uni noch immer besetzt halten. Seit Mitte November wohnen sie dort, sind auch über Weihnachten und Silvester Tag und Nacht geblieben, ohne Heizung. Abends sitzen sie in Schlafanzügen und Kapuzenpullis auf den abgerissenen Sofas im Foyer, am PC in der Computerecke, trinken Bier oder Tee, lesen oder diskutieren im Plenum, jeden Abend um sechs. Es gibt Pärchen unter den Besetzern, solche, die kochen und aufräumen, und diejenigen, die das nie tun, Erstsemester und längst ausgestiegene Studenten. Nur: Viele sind es nicht mehr, zu Beginn waren es mehr als 30.

„Hey, wir sind immerhin noch eine der letzten besetzten Unis in Deutschland“, sagt einer, als wolle er sich selbst Mut machen. Das soll so bleiben, zumindest bis Ende des Semesters, Mitte Februar. Als die Proteste in Deutschland im Herbst losgingen, waren zeitweise an bis zu 30 Hochschulen Hörsäle besetzt. Doch der Widerstand bröckelte zunehmend. Ende Dezember wurde der Hörsaal der Münchner Uni von Polizisten geräumt, die Studenten in Potsdam verließen das Audimax vor wenigen Tagen freiwillig. Jetzt werden die Besetzer nur noch an der HU und an der Freien Universität in Dahlem von der Unileitung geduldet. Die Besetzer: Das sind Studierende wie Ina oder Max Schultze, 21, drittes Semester Mathe und Informatik auf Diplom.

In seinem plüschigen grauen Bademantel setzt er sich auf eine Fensterbank. Durch die Fenster zieht es, Max hat Schnupfen, kein Wunder. Seit Beginn der Proteste wohnt er im Audimax. Mitte November, als die HU-Leitung das Gebäude kurzfristig von Polizisten abriegeln ließ, war Max einer der letzten, die noch mit Schlafsack und Essen bepackt an den Beamten vorbeikamen.

In seine kleine Wohnung nach Prenzlauer Berg fährt er seitdem nur noch, wenn er Wäsche waschen muss. Im Oktober 2008 begann er zu studieren. Und eigentlich sollte er seine Zeit in Adlershof verbringen, wo die Naturwissenschaften gelehrt werden. Die Veranstaltungen besucht er soweit es geht. Max ist gebürtiger Berliner und sagt, dass er unter anderem für mehr Geld im Bildungssystem streikt und für „mehr studentische Mitbestimmung“. Dafür, dass sich mehr Studenten in den Uni-Gremien engagieren dürfen, dass organisatorische Mängel schneller behoben werden können: Klausuren in zwei unterschiedlichen Fächern, die zur gleichen Zeit am gleichen Tag geschrieben werden sollen, Vorlesungen, die zeitgleich stattfinden anstatt versetzt.

Das Grüppchen der Besetzer im Audimax mag übersichtlich geworden sein, ihre Forderungen sind es nicht. In etlichen Arbeitsgruppen diskutieren sie über den freien Zugang zum Masterstudium für alle, darüber, dass es keine Zwangsexmatrikulation geben soll, wenn jemand dreimal eine Prüfung nicht besteht, dass die Anwesenheit in Vorlesungen und Seminaren nicht kontrolliert werden soll. 95 Forderungen „zur Reformation von Bildungsinstitutionen“ haben die Protestierenden an der HU im November aufgestellt – sie forderten neben besseren Bedingungen im Bachelor auch weniger Einfluss der Wirtschaft auf die Unis, faire Arbeitsbedingungen für Angestellte im öffentlichen Dienst und die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems.

Klar, sagt Max, eigentlich studiere er auf Diplom. Der Bologna-Prozess, die Umstellung auf Bachelor und Master, so wirklich betreffe ihn das nicht. Trotzdem: Für mehr Geld im Bildungssystem lohne es sich auch als Diplom-Student zu streiken. Politisch engagiert hat er sich schon als Gymnasiast, beim Schülerstreik 2006 zum Beispiel, oder bei der Linksjugend „Solid“. Nun, während des Streiks, hilft er in der „Arbeitsgruppe Veranstaltungen“, aber demnächst möchte er gerne auch als studentischer Vertreter in den Gremien der Uni mitmischen. „Wenn der Streik zu Ende ist“, sagt er und hält kurz inne. Hat er das gerade wirklich gesagt?

Was dem Studenten unabsichtlich über die Lippen kommt, vermuten andere schon längst. Etwa der Jugendforscher Klaus Hurrelmann. „Meine Prognose ist, dass die Proteste im Januar auslaufen werden“, sagt er. Weil die Studenten es verpasst hätten, ihre Forderungen und Ideen in einen größeren politischen Kontext zu stellen. „Es fehlt ein Element von allgemeiner politischer Relevanz.“

Vor dem Audimax der HU sieht Ina das völlig anders. „Wir setzen uns ein für Gerechtigkeit“, sagt die 28-Jährige, die ihren Nachnamen nicht nennen will. Und Ungerechtigkeit gebe es schließlich überall. Ina studiert im dritten Bachelor-Semester Europäische Ethnologie und Sozialwissenschaften. Sie hatte sich eigentlich auf die festen Strukturen im Bachelor gefreut. Inzwischen hält sie die Vorgaben für viel zu starr – und die Arbeitsbelastungen für zu hoch. Allerdings schläft sie schon lange nicht mehr regelmäßig in ihrem blauen Zelt im Audimax, weil „es doch sehr auslaugt“. Und ihre Kraft braucht sie für die Arbeit in der AG Mobilisierung – wahrscheinlich die schwierigste Aufgabe dieser Tage. Denn viele Kommilitonen finden es zwar prima, dass ein Häuflein Aufrechter das Audimax noch immer besetzt hält. Aber selber mitstreiken und womöglich den Erwerb eines Scheins gefährden, das wollen sie dann doch nicht.

Inas Eltern unterstützen den Protest ihrer Tochter. Zu Weihnachten kamen sie aus Kassel und Wiesbaden angereist und kochten für die Streikenden, ihr Vater finanziert der Tochter das Studium. Ein Privileg, das sie zu schätzen weiß. Eines, das ihr den Rücken freihält für das Nachdenken über „die desolaten Zustände in der Bildungslandschaft“, das sich manche Mitstudenten einfach nicht leisten könnten. Nach dem Studium würde Ina gerne an der Uni bleiben und selber forschen und lehren. Wie sie sich dann wohl zu einem Streik verhalten würde? Ina glaubt, dass sie ihre Studenten unterstützen würde.

Haben die Streikenden nicht schon viel erreicht? Die Kultusminister wollen den Bachelor verbessern. Die Hochschulrektoren haben Reformen zugesagt, der Akademische Senat der HU ebenfalls. Andererseits: Die Solidaritätsbekundungen der Professoren und Politiker seien auch ein Trick, sagt Ina. Den Kern des Protests lösen sie auf. Wogegen sich auflehnen, wenn alle Verantwortlichen sagen: Ihr habt ja recht?

Neulich, sagt Max, sei jemand bei ihnen vorbeigekommen und habe mitdiskutiert. Damals, 1968, war der selbst bei den Protesten als Student aktiv. Den Besetzern an der HU hat er einen vorsichtigen Tipp gegeben: Forderungen konkretisieren, irgendwie. Dann ist er wieder gegangen. Er sei nett, sagt Max, der es wissen muss: Der Mann ist sein Dozent.

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