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Tipp vom Moderator. Unter dem Motto „Geistige Leistungsfähigkeit lässt sich trainieren“ warb auch Fernsehprommi Jörg Pilawa (auf der Schauwand) für Gehirnjogging aus dem Hause Nintendo.

© Imago

Studie: Fragwürdiges Gehirnjogging

Eine Studie zeigt, dass das Denktraining mit dem Computer weniger hält, als es verspricht. Damit erweist sich die Hoffnung, geistig lebendig zu bleiben offenbar als Illusion. Dem Spaß am Spiel muss das allerdings nicht unbedingt Abbruch tun.

Nicole Kidman zieht die Stirn kraus. Sie spielt „Dr. Kawashimas Gehirnjogging“ auf der Nintendo-DS-Spielekonsole, und soeben hat ihr Dr. Kawashima auf dem Bildschirm verkündet: „Ihr geistiges Alter entspricht 52 Jahren!“ Kidman ist frustriert. „Trainieren Sie Ihren Kopf!“ ruft eine Stimme aus dem Off der Schauspielerin zu. Ob extrem beliebte und erfolgreiche Spiele wie „Dr. Kawashimas Gehirnjogging“ wirklich halten, was sie versprechen, daran haben Fachleute allerdings nicht erst seit heute ihre Zweifel. Die werden nun eindrucksvoll bestätigt. Auch wenn es dem Spieler gelingen sollte, sein „Gehirnalter“ zu senken – im Alltag wirkt sich das nicht aus, ergab eine große britische Untersuchung. Gehirnjogging per Videospiel ist weitgehend nutzlos.

An der Studie, die am Dienstag im Fachblatt „Nature“ veröffentlicht wurde, nahmen 11.430 Personen zwischen 18 und 60 teil. Sie wurden mit Hilfe der Internetseite „Lab UK“ der BBC und des BBC-Wissenschaftsmagazins „Bang Goes The Theory“ rekrutiert. Alle Teilnehmer absolvierten vor und nach der sechswöchigen Gehirnjogging-Phase einen Test. Geprüft wurden logisches Denken, verbales Kurzzeitgedächtnis, räumliches Arbeitsgedächtnis und assoziatives Lernen. Damit ist ein guter Überblick über die geistige Leistungsfähigkeit möglich. Auch auf Gehirnkrankheiten wie Alzheimer und Schizophrenie geben die bewährten Tests Hinweise.

Die Versuchspersonen wurden in drei Gruppen eingeteilt. In der ersten trainierten die Probanden logisches Denken, Planen und Problemlösungsverhalten mit Hilfe populärer Gehirnjogging-Programme. In der zweiten erprobten die Teilnehmer im Videospiel Kurzzeitgedächtnis, Aufmerksamkeit, das Verarbeiten räumlicher Eindrücke und mathematische Fertigkeiten. Die dritte Gruppe diente zum Vergleich, ihre Mitglieder bekamen lediglich einfache Suchaufgaben für das Surfen im Internet. Das Gehirnjogging sollte mindestens drei Mal pro Woche für mindestens zehn Minuten betrieben werden.

Nach sechs Wochen stellte sich heraus, dass die Teilnehmer zwar besser in dem geworden waren, was sie mehr oder weniger täglich trainiert hatten. Aber die allgemeine geistige Leistungsfähigkeit hatte sich nicht gesteigert, ganz egal, ob die Teilnehmer nur im Internet unterwegs gewesen waren oder ihr Gehirnjogging betrieben hatten. Selbst Aufgaben, die starke Ähnlichkeit mit den am Computer trainierten hatten, wurden nicht besser bewältigt. „Das Ergebnis ist klar“, kommentierte Studienleiter Adrian Owen vom Medical Research Council in Cambridge. „Statistisch gesehen gibt es keine bedeutsamen Unterschiede zwischen den Teilnehmern, die ein Gehirntraining-Videogame gespielt hatten und jenen, die in der gleichen Zeitspanne lediglich im Internet unterwegs gewesen waren.“

Wer viel Tetris spielt, wird gut in Tetris - nicht mehr

Die Behauptung, das Gehirn lasse sich wie ein Muskel trainieren, ist also nur bedingt richtig. Denn während ein Beinmuskeltraining für viele verschiedene Alltagsaufgaben nützlich ist, erweist sich das Gehirn als hochspezialisiertes Organ. Anders gesagt: Wer am Computer das Klötzchen-Kombinationsspiel „Tetris“ übt, wird eben in „Tetris“ besser. Nicht mehr und nicht weniger.

„Festigt das Gedächtnis und fördert die Kreativität“, „beugt geistigem Verfall im Alter vor“, „verbessert die intellektuellen Fähigkeiten und macht das Gehirn gesünder“ – mit solchen Behauptungen preisen Hersteller ihre Gehirnjogging-Spiele an. Das Gewerbe floriert. Hunderte von Millionen werden mit dieser Software verdient. Wer möchte nicht fit im Kopf bleiben? Auch wenn die wissenschaftlichen Belege für eine Wirksamkeit mehr als dürftig sind, wie der Hirnforscher Owen zu bedenken gibt. Die von den Herstellern als Beweis zitierten Studien seien häufig nicht unabhängig begutachtet worden oder es mangele an einer nicht spielenden Kontrollgruppe, mit der die Effekte des Gehirnjoggings überprüft werden können.

Gern benutzen Spielehersteller Aufnahmen aus dem Hirnscanner, in denen verschiedene Bereiche des Gehirns aufleuchten. Das soll auf suggestive Weise belegen, wie wirksam das Denktraining ist. Aber es beweist gar nichts, wie die Hirnforscherin Jessica Grahn vom Medical Research Council sagt. „Was man auf diesen Hirnscan-Aufnahmen sieht, ist lediglich eine Messung des Energieverbrauchs im Gehirn während des Tests. Daraus kann man keinen Beleg konstruieren, dass das Gehirn auf irgendeine Art trainiert oder gar verändert wurde.“ Auch ein Begriff wie „Gehirnalter“ ist in der Wissenschaft weder klar umrissen noch gebräuchlich.

Spielerisch und damit fast mühelos Gedächtnis und Denken zu schärfen und geistig lebendig zu bleiben, diese Hoffnung erweist sich vorerst als Illusion. Den Spaß am Spiel muss das ja nicht unbedingt Abbruch tun.

Wer wirklich etwas für seine geistige Fitness tun will, sollte sich statt ans Gehirnjoggng eher an das richtige Joggen halten. Es ist inzwischen klar nachgewiesen, dass viel Bewegung auch dem Kopf gut tut, dass also ein gesunder Geist tatsächlich eher in einem gesunden Körper zu finden ist. Auch eine vielfältige Ernährung mit reichlich Obst und Gemüse und ein aktives soziales Leben, sei es in der Familie oder im Verein, gelten als wichtige Schutzfaktoren für einen intakten Intellekt. Wer das beherzigt, kann vielleicht auch im Alter noch mit dem Gehirn joggen.

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