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Des Lebens müde. Bei Jugendlichen, die ohnehin Suizidgedanken haben, ist die Gefahr einer Selbsttötung größer, wenn Medien über ähnliche Fälle berichten. Experten nennen das auch den "Werther-Effekt".

© dpa

Suizidgefahr: Medien sollten sich besser zurückhalten

Berichten Zeitungen und Sender prominent über Suizide, gibt es unter Jugendlichen mehr Selbsttötungen. Das zeigt eine Studie aus den USA - aus einer Zeit vor Social Media.

Ist Suizid ansteckend? Mit Goethes „Leiden des jungen Werther“ begann die Debatte darüber, ob anschauliche Erzählungen über Lebensmüdigkeit und Selbsttötung gefährlich sind, weil sie Altersgenossen zur Nachahmung anregen könnten. Diese Imitationshypothese wurde bereits von kleineren empirischen Studien gestützt. Sie haben damit auch zu einer Selbstverpflichtung der Medien geführt, zurückhaltend über solche Fälle zu berichten. Eine große, methodisch ausgeklügelte Fall-Kontrollstudie, für die Daten aller Selbsttötungen von US-amerikanischen Teenagern zwischen 1988 und 1996 ausgewertet wurden, belegt jetzt den Nutzen dieser Strategie.

Madelyn Gould von der Columbia-Universität in New York und Kollegen zeigen in ihrer in „Lancet Psychiatry“ erschienenen Studie: In Städten und Gemeinden, in denen innerhalb kurzer Zeit gehäuft Suizide von Jugendlichen vorkamen, haben die Zeitungen in der Zeit nach dem ersten Todesfall häufiger, an auffallenderer Stelle und mit zweifelhafteren Überschriften über den Suizid des jungen Menschen aus der Gegend berichtet.

Die Psychiater und Gesundheitsforscher fanden 53 „Cluster“-Gemeinden, in denen es in einem kleinen Zeitraum von höchstens einem halben Jahr drei bis elf dieser tragischen Todesfälle gegeben hatte. Diese städtischen und ländlichen Gebiete verglichen sie mit 95 ansonsten sehr ähnlichen Gemeinden ohne eine solche Häufung. Die Forscher analysierten dann besondere Merkmale der Berichterstattung in den lokalen Printmedien. Das Ergebnis: Wo Zeitungsberichte über Menschen, die sich das Leben genommen haben, weit vorne in der Zeitung platziert waren, wo sie plakative Schlagwörter wie „Selbstmord“ schon in der Überschrift enthielten, wo sie Details zur Todesform preisgaben oder auch nur signifikant häufiger zu lesen waren, gab es anschließend eine Häufung von Suiziden Jugendlicher.

Ein strenger Beweis für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Texten und Taten ist das nicht. Die Autoren vermuten aber, dass der Suizid in den Augen stark beeindruckbarer junger Menschen durch solche Berichte zu einem Teil des „normalen“, auch für die eigene Person denkbaren Verhaltens werde. Medien, die zurückhaltend berichten, helfen der Studie zufolge, Leben zu retten.

Ob dieser positive Einfluss heute noch so wirksam ist, darüber lässt sich streiten. Schließlich stammen die analysierten Daten aus einer Zeit, als es noch kein Social Media gab. „Es leuchtet spontan ein, dass weniger regulierte, interaktivere Medien sogar noch einen größeren Effekt haben dürften“, schreiben Jane Pirkis und Jo Robinson von der Universität Melbourne in einem begleitenden Kommentar. Die Zurückhaltung, die Zeitungen und Sender üben, herrscht im Netz längst nicht überall. Am wenigsten in einschlägigen Freitod-Foren, in denen sogar technische Ratschläge für die Ausführung des Vorhabens weitergegeben werden.

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