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Teotihuacan: Die rätselhaften Krieger Mexikos

Händler und Putschisten: Die Menschen von Teotihuacan prägten Amerika wie die alten Griechen Europa.

In der Maya-Metropole Tikal wurde eine zwei Meter große steinerne Inschriften-Säule mit Maya-Hieroglyphen und drei Menschenreliefs errichtet. Die Nachricht an die Einwohner der Stadt und an die Nachwelt lautete: Am 16. Januar 378 (unserer Zeit) putscht „Rauchfrosch“ gegen „Jaguartatze“ und bringt ihn um. Solche gewaltsamen Machtwechsel waren auch in Mayaland nicht unüblich. Das Ungewöhnliche an diesem Umsturz: „Jaguartatze“ war der Göttliche König von Tikal und „Rauchfrosch“ stammte aus Teotihuacan, der rätselhaften mexikanischen Kultur, der eine noch bis zum 10. Oktober laufende Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau gewidmet ist.

Der Mythos Teotihuacan speist sich aus den Widersprüchen ihrer Kultur: Die Menschen von Teotihuacan kultivierten Mittelamerika wie die Griechen das antike Europa, aber sie haben bis heute nicht einmal einen richtigen Namen. Ihre Könige betrieben jahrhundertelang Macht- und Marktpolitik vom Pazifik bis zum Atlantik, vom mexikanischen Hochland bis ins Maya-Tiefland in Guatemala, doch keiner ist namentlich überliefert. Sie planten, bauten und versorgten eine Metropolis mit 150 000 Einwohnern, aber es gibt nicht eine schriftliche Nachricht von ihnen, sie hatten keine Schrift.

Für Ethnologen, Archäologen und Sprachwissenschaftler sind die Leute von Teotihuacan ein Stachel im Fleisch des forscherischen Selbstverständnisses, seit Jahren plagen sie sich an der Deutung dieses mexikanischen Mythos’. Bislang ohne durchschlagenden Erfolg. Auf der „Stele 31“ in der Maya-Stadt Tikal aber haben die Unbekannten aus dem mexikanischen Hochland eine lesbare Spur hinterlassen – 1000 Kilometer Luftlinie entfernt im Tiefland von Guatemala, der Heimat der Maya.

Dass die mit Maya-Hieroglyphen beschriftete Stele tatsächlich von den Leuten aus Teotihuacan berichtet, gilt unter Archäologen als gesichert: Rauchfrosch und die anderen abgebildeten Gestalten sind mit Glubschaugen und quadratischen Ohren dargestellt – das ist Teotihuacan-Ikonografie pur. Zudem sind die Figuren bewaffnet mit Schild und Speerschleuder, beides Waffen, die es im Mayaland zu der Zeit nicht gab, die aber zur Standardausrüstung der Teotihuacan-Krieger gehörten. Nach dem Dynastie-Wechsel taucht in Tikal auch Keramik im Stil der Hochlandbewohner auf, und die Architektur orientiert sich eindeutig an ihrem Vorbild.

Vermutlich gab es schon vor dem Thronraub intensive Handelskontakte zwischen Teotihuacan und dem Mayaland im Herzen der Yucatan-Halbinsel. Teotihuacan lieferte Keramik, Bauwissen und vor allem Obsidian, aus dem elaborierter Schmuck, bessere Werkzeuge, aber auch mörderisch scharfe Waffen gefertigt werden konnten. Aus Tikal bezogen die Mexikaner Jade, Federn, Kakao und Jaguarfelle. Um 378 wurden neben Tikal auch andere Maya-Städte vom Teotihuacan-General Siyai K’ahk’ („Der im Feuer Geborene“) erobert. Auch in Mexiko griffen die Leute von Teotihuacan um diese Zeit imperial aus: In Monte Alban und El Tajin etwa sind ihre Einflüsse auch ohne Schriftzeugnisse überdeutlich.

„Der Grund für diese Expansion lag vermutlich darin, dass die Leute von Teotihuacan die wesentlichen Handelszentren in ihrem Umfeld strategisch kontrollieren wollten“, sagt Nikolai Grube, der führende deutsche Maya-Forscher. Womit der Teil-Mythos von den Teotihuacanos als friedliche Kulturbringer hinfällig wäre. „Das waren sie ganz sicher nicht“, betont der Altamerikanist an der Universität Bonn, „wo immer Teotihuacan im ‚Ausland’ auftritt, ist dies mit kriegerischer Ikonografie verbunden.“

„Rauchfrosch“, der Putschist in Tikal, wer ist das? Grube sagt: „Das ist so offensichtlich, dass man sich fragt: Warum haben wir das nicht vorher gesehen?“ Der Usurpator wird auf verschiedenen der Tikaler Steinmonumente, vor allem aber auf Stele 31, als der Sohn von „Speerschleuder-Schild“ dargestellt. Über den Vater kann auch Grube nur spekulieren. Eine Deutung: Er war ein Herrscher von Teotihuacan, der seinen Sohn zur militärischen Expansion in den Süden schickt. Zumindest aber war „Rauchfrosch“ ein hochrangiger Adliger im mexikanischen Machtzentrum. Sowohl der große Drahtzieher wie sein Sohn „Rauchfrosch“ schweigen in den gemeißelten Nachrichten von Tikal; sie geben nichts von ihrer Identität und Umgebung preis.

„Rauchfrosch“ setzt ein Jahr nach der Machtübernahme seinen Bruder „Grünes Krokodil“ als König von Tikal ein. Auf „Grünes Krokodil“ folgt dessen Sohn „Stürmischer Himmel“. Der ist nun der Errichter der Stele 31. Kurz vor dem Jahr 400 setzt er sich auf dieser Siegessäule den königlichen Kopfputz auf. Über ihm schwebt sein vergöttlichter Vater. Im Hieroglyphentext erhält „Stürmischer Himmel“ die Insignien der Herrschaft vom Wegbereiter „Rauchfrosch“. So wird die Legitimation der Macht in der dritten Generation festgeschrieben.

Das Markt- und Machtspiel wiederholt sich: 426 schickt „Stürmischer Himmel“ einen Hofbeamten oder Adligen nach Copan im heutigen Honduras. Der Gründer der neuen Copan-Dynastie hat auf den Steindarstellungen die typischen vorquellenden Teotihuacan-Augen. In seinem Grab fanden die Archäologen Beigaben im Teotihuacan-Stil. Von Copan aus kontrollierten die Machthaber die Handelswege zur Atlantikküste und zu den Nicht-Maya-Nachbarn im Süden.

Die Eroberer aus Teotihuacan in Tikal hielten zunächst wohl noch Kontakt mit der Heimat, berichtet Grube: „Doch im Laufe der Zeit hat sich diese neue Dynastie mehr und mehr ‚mayanisiert’, die Teotihuacaner heirateten zum Beispiel in den Tikal-Adel ein.“ Unter den Eroberern expandierte Tikal und wurde zur Supermacht des Maya-Tieflandes. Damit geriet sie nahezu automatisch in Konflikt mit der Maya-Metropole Calakmul, der zweiten Großmacht auf Yucatan – deren Herrscher sich als die „wahren Maya“ sahen.

Was daraus folgte, erinnert in so frappanter Weise an die modernen Ost-West-Auseinandersetzungen nach dem Zweiten Weltkrieg, dass analog dazu vom „Kalten Krieg auf Yucatan“ gesprochen wird. Dessen Mechanismen hat Nikolai Grube mit seinem britischen Kollegen Simon Martin analysiert: Die beiden Supermächte scharten einen Kranz von „Bruderstaaten“ um sich, die stellvertretend für die Großen Brüder Krieg führten. Wollte ein Bruderstaat ausbrechen oder die Seiten wechseln, wurde er von einem Expeditionskorps zur Räson gebracht, was meist mit dem Tod der lokalen Dynastie endete.

Die Auseinandersetzungen begannen um 500. Nur selten griffen die beiden Supermächte sich direkt an. 562 fegte ein Kriegszug der „Nationalmaya“-Staaten Calakmul und Caracol die Mexiko-Fraktion in Tikal davon. Aber nur vorübergehend, denn das wiedererstarkte Tikal besiegte 695 Calakmul. Das bestand nach dieser Niederlage als Stadtstaat weiter, spielte aber keine machtpolitische Rolle mehr in Mayaland.

Doch Tikal hatte sich mit diesem Sieg übernommen, es konnte kein einheitliches Reich für alle Maya schaffen, um 800 schwand Tikals Einfluss vollends. Die „Balkanisierung“ der Region griff um sich, jeder Regionalfürst rief sich selbst zum „Göttlichen König“ aus und bekriegte seinen Nachbarn. Damit galoppierte die großartige Maya-Hochkultur ihrem Untergang entgegen. Die Leute aus Teotihuacan haben mitgewirkt.

„Teotihuacan – Mexikos geheimnisvolle Pyramidenstadt“: Ausstellung im Martin-Gropius-Bau Berlin, Niederkirchnerstraße 7, geöffnet täglich außer dienstags von 10 bis 20 Uhr.

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