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Versuchstier. Affen werden unter anderem in Experimenten verwendet, bei denen es darum geht, die Signalverarbeitung im Gehirn aufzuklären. Dieses Tier wurde in Magedeburg fotografiert.

© picture alliance / dpa

Tierversuche: Angriff auf einen Affenforscher

Andreas Kreiter versucht, das Gehirn zu verstehen. Dafür experimentiert er mit Affen. Tierschützer sehen ihn als Galionsfigur eines grausamen Gewerbes.

Tolle Stadt, sehr grün, bewohnt von reizenden Menschen. Bremen gefiel dem jungen Neurowissenschaftler. Als er verloren am Bahnhof stand, sprach ihn eine ältere Dame an und zeigte ihm den Weg zur Universität. Die Kollegen hatten ihm versichert, dass er – gerade 32 Jahre alt – gute Chancen auf eine Professur habe. Sein öffentlicher Vortrag löste keinerlei Protest aus, obwohl der Titel verriet, dass seine Erkenntnisse auf Tierversuchen beruhen. Vielleicht hanseatische Nüchternheit, dachte er.

Ein Jahr später begrüßte ihn und seine hochschwangere Frau eine Plakatwand der Bremer Tierversuchsgegner: „Die Uni beruft den Affenfolterer Andreas Kreiter. Wenn Sie etwas dagegen haben, rufen Sie ihn doch an oder besuchen Sie ihn.“ Unter dem Aufruf waren in großen Lettern seine private Anschrift und Telefonnummer zu lesen. Kreiter war geschockt, die Polizei nervös.

Wie berechtigt die Sorge war, zeigten die nächsten Monate. Man freue sich besonders auf seinen kleinen Sohn, schrieb ihm zum Beispiel die Aktion Tierbefreiung Bremen. Mit seinen drei Jahren passe er wunderbar in einen Affenstuhl. „Machen Sie ihre Experimente doch lieber mit den Pennern vom Bahnhof“, schlugen andere vor. „Tötet Dr. Kreiter“, schmierten Unbekannte an die Wände der Universität. Der Telefonterror ebbte nicht ab. Wolfgang Apel, zu dieser Zeit Deutschlands oberster Tierschützer und Bremer Bürger, appellierte in den Medien immer wieder an „alle Menschen, die ein Herz für Tiere haben, gegen den Forschungswahnsinn zulasten leidensfähiger Lebewesen zu streiten.“

Die Stimmung war so aufgeheizt, dass im Sommer 1997 eine Studentendemo zur Hetzjagd geriet. „Schnappt euch den Kreiter“, brüllten sie und drangen bis auf die vierte Etage des Naturwissenschaftlichen Zentrums vor, zur Hirnforschung unter der Leitung von Gerhard Roth. Bis eine Sicherheitstür die Menge blockierte. Frustriert randalierten sie im Flur.

„Reiner Zufall, dass ich denen nicht in die Hände gefallen bin“, sagt Kreiter, ein hochgewachsener, zurückhaltender Mann. „Trotzdem war es eine Katastrophe.“ Er, seine Frau und seine drei Kinder lebten jahrelang unter Polizeischutz. Und seine Forschung lag vorerst auf Eis. Die Uni stoppte den geplanten Umbau im Hauptgebäude und suchte ein neues Quartier für Kreiter. Etwas abgelegen, gut durch die Polizei zu sichern, möglichst unscheinbar. So wie der alte Flachbau im Biologischen Garten, der nur ein paar Pflanzkübel und Aquarien beherbergte. Dort sitzen Kreiter, sein etwa 10-köpfiges Team und 20 Rhesusaffen bis heute, verbarrikadiert hinter hohen Zäunen. Den Kameras entgeht niemand, der sich dem Gelände nähert.

Die Tierversuchsgegner haben Andreas Kreiter in den vergangenen 17 Jahren zur Hassfigur erkoren. Zuletzt druckten sie unter anderem im Tagesspiegel eine Anzeige. Sie begann mit einem Zitat: „Tierexperimentatoren sind Wesen besonderer Art – man sollte sie nicht leichtfertig Menschen nennen.“ Ein Foto des Forschers war zu sehen. Die Überschrift, riesengroß, lautete: „Kreiter macht eiskalt weiter“.

Kein anderer Forscher in Deutschland ist so angegriffen worden wie Kreiter. Nach der jüngsten Attacke schrieb die Allianz der Wissenschaftsorganisationen, die Anzeige habe den Boden einer kritischen, von Meinungsvielfalt geprägten Auseinandersetzung verlassen. Sie verletze Kreiters Persönlichkeitsrechte und diffamiere die gesamte biowissenschaftliche Forschung. Der Rektor der Universität Bremen, Bernd Scholz-Reiter, verwahrte sich außerdem gegen die Unterstellung, dass Kreiters Methoden antiquiert und pseudowissenschaftlich seien.

Rainer Gaertner, Vorsitzender des Vereins „Tierversuchsgegner Bundesrepublik Deutschland“, hat die Anzeige erstellt. Er ist zufrieden. Er habe viele positive Rückmeldungen bekommen, sagt er. Man müsse „das Verbrechen personifizieren“. Menschen, die so exponiert seien wie Kreiter, müssten mit Angriffen klarkommen, sagt Gaertner.

Stefan Treue sieht das anders. „Es ist bewundernswert, dass Andreas Kreiter nie das Handtuch geworfen hat“, sagt der Direktor des Deutschen Primatenzentrums in Göttingen. „Auf seinem Rücken wird ein Stellvertreterkrieg ausgefochten.“ Treue holt eine Statistik hervor. Etwa 754 Millionen Tiere werden Jahr für Jahr in Deutschland geschlachtet und landen auf den Tellern, 2012 standen dem 3,1 Millionen Tierversuche gegenüber. Bei 0,05 Prozent der Experimente wurden Affen verwendet, zumeist in der pharmazeutischen Industrie für gesetzlich vorgeschriebene Wirkstofftests. Für Gaertner sind die Zahlen nicht entscheidend. „Es geht darum, ob so hoch entwickelte Tiere nicht auch ein Recht auf Unversehrtheit haben.“

Was bei Tierversuchen zulässig ist - und was nicht

Etwa ein Fünftel der Affenversuche entfällt auf die Grundlagenforschung. So wollen Wissenschaftler zum Beispiel verstehen, wie HIV zu einer weltweiten Seuche wurde oder was für ein Impfstoff vor dem Immunschwächevirus schützen könnte. Ein Dutzend Gruppen in Göttingen, Tübingen, Frankfurt am Main, Magdeburg und Bremen erforschen an Makaken, wie das Gehirn funktioniert, alle mit ähnlichen Methoden. „Wir arbeiten jahrelang mit unseren Tieren, wir geben ihnen Namen, wir achten auf ihr Wohlergehen“, sagt Treue. „Es gibt keinen rationalen Grund, ausgerechnet Kreiter zu verteufeln.“ Außer einem: Für eine Kampagne braucht man jemanden, der Versuche mit Haustieren oder Affen macht. Mäusen und Ratten weinen die meisten Menschen keine Träne nach.

Emotionale Nähe darf aber nicht den Ausschlag dafür geben, welche Belastung einem Tier zugemutet wird. Entscheidend ist nach dem Tierschutzgesetz, wie sehr die jeweilige Art unter dem Versuch leidet, egal ob es um eine Maus in der Krebsforschung geht, um einen Zebrafisch, der im Dienste des Verbraucher- oder Umweltschutzes steht, oder einen Rhesusaffen in der Neurobiologie.

In der Tierethik nennt sich dieses Prinzip „pathozentrisch“. Der Mensch darf zwar Tiere für seine Zwecke nutzen. Doch er hat die Pflicht, dabei Leiden zu vermeiden oder zu lindern. Laut Tierschutzgesetz und EU-Richtlinien ist ein Tierversuch nur dann zulässig, wenn es keine andere Methode gibt, um eine These zu überprüfen. Es sollten dabei so wenige Tiere wie möglich verwendet werden. Und der Test muss so verfeinert werden, dass das Tier keine unnötigen Schmerzen, Leiden oder Ängste hat. Der Schaden für das Tier und der Nutzen für die Allgemeinheit sollen außerdem gegeneinander abgewogen werden.

Das klingt eindeutig. In der Praxis helfen die Kataloge der EU zu geringen, mittleren und schweren Belastungen nicht immer weiter. Denn Tieren wie zum Beispiel Mäusen sieht man das Leiden häufig nicht an. „Deshalb ist die Versuchstierkunde so wichtig“, sagt Gilbert Schönfelder, der Leiter der Zentralstelle zur Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch (ZEBET) am Bundesinstitut für Risikobewertung. „Um Schmerzen zu vermeiden und dem Tier notfalls Schmerzmittel zu geben, muss ich diese erst einmal erkennen.“ Dafür eine Blutprobe zu nehmen, sei wieder mit einem Nadelstich verbunden. Denkbar sei, in Zukunft zum Beispiel im Kot der Tiere nach Indikatoren zu suchen, die Stress verraten.

Es habe sich bereits einiges getan, sagt Schönfelder. Selbst Labormäuse werden heute in größeren Käfigen gehalten. Sie können sich zum Schnuppern aufrichten, mit ihrer Einstreu Nester bauen oder sich mit Spielzeug beschäftigen. Das nutzt auch den Wissenschaftlern. Denn ein übermäßig gestresstes Tier verzerrt möglicherweise die Ergebnisse eines Versuchs. Nach wie vor werde aber zu wenig an Alternativen zum Tierversuch geforscht, sagt er. Einen ganzen Organismus können sie noch nicht ersetzen.

In Bremen starrt Tossi auf einen schwarzen Bildschirm. Ganz kurz taucht dort ein unregelmäßiger Kringel auf und verschwindet wieder. Das 13-jährige Rhesusaffenmännchen merkt ihn sich besser als jeder untrainierte Mensch. Wieder erscheint ein Kringel und beginnt, sich zu verändern. Doch erst als er die Form vom Anfang annimmt, drückt Tossi routiniert einen Knopf. Ein Klack signalisiert ihm, dass er die Aufgabe richtig gelöst hat. Im weißen Schlauch hat sich ein Ventil geöffnet. Tossi bekommt einen Schluck Fruchtsaft, seine Belohnung. Dann geht es weiter. So lange, bis er nicht mehr will.

„Tossi ist gut“, sagt Kreiter im Kontrollraum. Sein Blick schweift über die Bildschirme. Einer zeigt das Affenauge, ein anderer das ganze Tier in seinem Stuhl. Ein Monitor dokumentiert den Ablauf des Experiments, ein weiterer eine nervöse Zickzackkurve. Das ist die eigentliche Messung. Im Hintergrund knattert es. Die Forscher belauschen, wie die Nervenzellen in Tossis Gehirn feuern.

„Das sind keine Mimosen“

Um das genau aufzeichnen zu können, müssen sie morgens kurz vor dem Experiment vier haarfeine Elektroden in die Großhirnrinde des Affen einführen, in die Region V4, eines der Sehzentren. Dass das schmerzfrei ist, ist sicher: Das Gehirn hat keine Schmerzrezeptoren. Vor etlichen Jahren wurde Tossi operiert, damals bekam er eine Kappe aus medizinischem Zement. Sie schützt den kleinen Zugang zu seinem Gehirn, außerdem steckt ein Metallbolzen darin.

Tossi sitzt im Primatenstuhl aus Plexiglas, nur der Kopf schaut heraus, der Bolzen ist fest mit einem Gestänge verschraubt. Sonst würden die Elektroden bei jeder Bewegung verrutschen, die Messung wäre zunichte. Damit sich die Arbeit für Tossi lohnt, bekommt er am Morgen vor einem Experiment außerdem nichts zu trinken.

Für viele Tierschützer ist das Folter. Aber Tossi wirkt gelassen, er kennt das Spiel, schon vor der Operation hat er es ein Jahr trainiert. Während der Tests ist die Belastung nun laut europäischer Tierversuchsrichtlinie „gering“. Und der Wasserentzug? Die ewigen Wiederholungen? Nicht jede Art hätte so viel Geduld, gibt Kreiter zu. Aber Rhesusaffen sind Pflanzenfresser, sie müssen in freier Wildbahn ihre Nahrung mühsam sammeln. Auch in der Natur haben sie nicht immerzu Zugang zu Wasser. „Das sind keine Mimosen“, sagt Kreiter. „Wenn es ihnen schlecht ginge, könnten sie die komplizierten Aufgaben gar nicht lösen.“ Erarbeitet ein Affe einmal nicht genug Flüssigkeit, bekommt er später Obst oder Wasser.

Die angewandte Forschung hat klare Argumente für Tierversuche. Kein Mensch kommt ohne die Errungenschaften der Medizin aus. Impfstoffe, Transplantationen, Hirnschrittmacher für Parkinsonkranke, und jede wirksame Tablette wurde zuerst an Tieren getestet. Bis zu 70 Prozent der unerwünschten Nebenwirkungen von Arzneimitteln fallen im Tierversuch auf. Dass es keinen zweiten Contergan-Skandal gab, verdanken wir Tests an trächtigen Tieren. Die Grundlagenforschung hat es schwerer. Schließlich geht es zunächst darum, den gesunden Körper zu verstehen, um überhaupt seine Erkrankungen und Behandlungsmöglichkeiten erforschen zu können. Die Neurowissenschaft habe damit gerade erst begonnen, sagt Kreiter. Doch wenn Forscher die Mechanik des Denkens verstehen wollen, werde ihnen reine Neugier vorgeworfen, die nie zu einer Therapie führe.

Die Bremer Bürgerschaft hatte keine Geduld mit Kreiter. 2007 beschlossen die Parteien unisono, dass seine Versuche dort nicht mehr zugelassen werden sollten. Für das Staatsziel Tierschutz – und ihre Wähler – sollte das Grundrecht Forschungsfreiheit ausgehebelt werden. Kreiter klagte und bekam Instanz für Instanz Recht, zuletzt Anfang 2014 vor dem Oberverwaltungsgericht in Leipzig. Die Betreuung und Haltung seiner Versuchstiere sei beispielhaft, zitierten die Richter unabhängige Gutachter.

Kreiters Gruppe hat nun gemeinsam mit Ingenieuren und Physikern eine hauchdünne Folie mit Elektroden entwickelt und sie zwei Makaken zwischen Hirnhaut und Schädelknochen implantiert. Obwohl sie sich nur an die Oberfläche der Großhirnrinde schmiegt, kann sie die Aktivität kleiner Nervenzellgruppen in diesem Areal erstaunlich gut messen. Wenn sie in Zukunft ihre Messungen drahtlos aus dem Schädel überträgt, könnte sie beispielsweise Epileptikern implantiert werden und Ärzten sehr genau zeigen, welche Stellen beim jeweiligen Patienten die Anfälle auslösen. Auch Niels Birbaumer von der Uni Tübingen interessiert sich für das Implantat. „Kreiter ist ein guter, aufrechter Wissenschaftler“, sagt er. „Er hatte nur mit dem Wechsel nach Bremen extremes Pech.“

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