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Frühwarner mit sechs Beinen. In der Eifel haben Duisburger Geoexperten untersucht, wie sich Waldameisen vor einem Beben verhalten.

© picture-alliance/Okapia

Tierwelt: Ein Gespür für die Erschütterung

Kröten ziehen sich zurück, Ameisen werden hyperaktiv: Forscher fragen sich, ob Tiere einen siebten Sinn für Katastrophen haben und ob sie bei der Früherkennung helfen können.

Die Erde erzittert, und wir haben wieder nichts geahnt. Nach dem Seebeben vor der japanischen Küste am Freitag stellt sich einmal mehr die Frage, ob es nicht doch Mittel und Wege gibt, solche Ereignisse vorherzusehen. Im Brennpunkt der Forschung stehen auch Tiere, denen man nachsagt, sie hätten einen siebten Sinn für Erdbeben und andere Naturkatastrophen. Etwa Kröten, deren Verhalten Wissenschaftler in Italien studieren.

„Irgendetwas war mit den Erdkröten passiert“, wunderte sich Rachel Grant von der Open University im englischen Milton Keynes. Seit dem 27. März 2009 zählte die Zoologin jeden Tag, wie viele Männchen, Weibchen und Paare auf einem 2500 Meter langen Stück am San Ruffino-See in den italienischen Abruzzen in der Abenddämmerung unterwegs waren. Zunächst war alles ganz normal, mehr als 80 Männchen hüpften dort Abend für Abend entlang. Schließlich hatte die Laichzeit gerade begonnen.

Am 31. März 2009 aber waren die Kröten nahezu verschwunden, weniger als zehn Männchen hüpften Rachel Grant über den Weg. Auch in den nächsten Tagen blieben die Tiere aus. Am 6. April bekam die Zoologin um drei Uhr 32 morgens die Antwort auf ihre Frage, welches Ereignis die Kröten denn von der mit Abstand wichtigsten Aktivität des Jahres vertrieben hatte. Ein Erdbeben der Stärke 6,3 zerstörte die Stadt Aquila, das Epizentrum lag 74 Kilometer vom See entfernt.

Erst zwei Tage nach dem letzten starken Nachbeben tauchten am 16. April wieder mehr als 30 Kröten auf. Damit war Rachel Grant klar, dass die Tiere gefährliche Erdbeben einige Tage im Voraus erkennen können und damit eine Fähigkeit haben, die etliche Geoforscher heftig bestreiten.

Am niedrig gelegenen See können die Amphibien bei einem Beben aber leicht von Felsbrocken oder Bäumen erschlagen werden. Also fliehen sie in höhere Regionen. Aber hatten die Kröten wirklich das Beben geahnt? Die Zoologin prüfte, ob das Verhalten der Tiere etwas mit Niederschlag, Luftdruck, Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder Wind zu tun haben könnte. Die Statistik zeigte keinerlei Zusammenhang. Im Fachblatt „Journal of Zoology“ erschien ihre Untersuchung unter dem vielsagenden Titel „Vorhersage des Unvorhersehbaren“. Erdbebenforscher waren bisher genau an einer solchen Vorhersage von Erdbeben gescheitert, die Krötenmännchen offensichtlich ohne wissenschaftliche Ausbildung beherrschen.

Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell erklärt diesen Vorsprung der Kröten vor den Erdbebenforschern: „Die Evolution hatte dafür viele Jahrmillionen Zeit.“

Tatsächlich gibt es jede Menge Berichte über Tiere, die sich vor einem Erdbeben auffallend verhalten. Meist handelt es sich dabei um Haustiere, die nur wenige Sekunden vor dem Erdbeben warnen. Das aber können Geowissenschaftler auch. Denn ein Erdbeben löst am Epizentrum zwei unterschiedliche Typen von Wellen aus: S-Wellen können Häuser und Brücken zerstören. Deutlich schneller sind P-Wellen, die Menschen nicht spüren und die auch keine Zerstörungen anrichten. Erdbebenforscher messen die P-Wellen und lösen über automatische Systeme Sofortmaßnahmen aus. So werden etwa Kraftwerke heruntergefahren oder U-Bahnen vor der Fahrt in den Tunnel gestoppt. Vermutlich registrieren auch Hunde, Hühner und Kühe diese P-Wellen und fliehen dann instinktiv aus Häusern.

Die wenigen Sekunden Vorwarnzeit durch P-Wellen reichen aber keineswegs, um Schulen, Fabrikhallen, Bürotrakte oder Krankenhäuser zu evakuieren. Dazu bräuchte man deutlich längere Vorwarnzeiten. Bisher haben Erdbebenforscher zwar eine ganze Reihe von ungewöhnlichen Erscheinungen entdeckt, die längere Zeit vor einem Beben auftreten. Diese aber treten nicht immer vor einem Beben auf, manchmal gibt es auch solche Vorwarnungen, aber es folgt kein Erdbeben. Einen Fehlalarm aber will sich kaum ein Land leisten.

Immerhin gibt es aber ein paar Tierarten, die Erdbeben auch Wochen im Voraus zu spüren scheinen. Sonderbare Verhaltensweisen von Fischen, Nagetieren, Wölfen und Schlangen fielen zwei Monate vor einem 7,5-Erdbeben am 28. Juli 1976 im chinesischen Tangshan auf, das vermutlich mehr als eine halbe Million Menschen das Leben kostete. Für die tierischen Warner gilt aber im Prinzip das Gleiche wie für die physikalisch-technischen Methoden der Erdbebenforscher: Sie sind einfach zu unzuverlässig.

Direkt lassen sich Tiere daher kaum als Warnsystem vor Erdbeben einsetzen. Besser würde die Situation dagegen aussehen, wenn man erfahren würde, wie Tiere von einem drohenden Erdbeben überhaupt Wind bekommen. Dazu gibt es zwar eine ganze Reihe von Überlegungen, aber keine einzige handfeste Erkenntnis. So soll vor Erdbeben das Edelgas Radon verstärkt aus der Tiefe ausgasen, Tiere könnten das mitbekommen und so gewarnt sein. Vielleicht nehmen Tiere elektrische Erscheinungen wahr, die vor einem Erdbeben auftreten. Oder erste leichte Verschiebungen verändern das Grundwasser oder die Feuchtigkeit und die Temperatur im Boden. Natürlich kann es auch eine Kombination von verschiedenen Veränderungen sein, die Kröten von der Paarung abhält und Schlangen aus ihrem Versteck treibt.

Martin Wikelski hat sich ein Experiment ausgedacht, das er im Frühjahr starten will. Der Biologe möchte am Ätna 200 bis 400 Tiere von Hunden und Gänsen über Schlangen bis zu anderen Reptilien mit kleinen Sendern ausrüsten, die Standort und Bewegungen der Träger in Echtzeit an die Wissenschaftler melden. Erschüttern dann Erdbeben den Vulkan oder bricht dieser aus, können die Forscher die Bewegungsmuster jedes einzelnen Tieres vor dem Ereignis untersuchen und feststellen, ob es irgendwelche auffälligen Verhaltensweisen gibt.

„Vielleicht reagieren ja nicht alle Hunde, sondern nur einige auf Vorboten einer Naturkatastrophe“, sagt Wikelski. Diese Tiere will der Biologe dann genauer untersuchen. Und erhellen, was Tiere vor Naturkatastrophen warnt.

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