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Hoch gewachsen. Die Titanenwurz ist die größte Blume der Welt – hier zu sehen in voller Blüte an diesem Wochenende im Botanischen Garten.

© Martin Ballaschk

Titanenwurz in Berlin: Riesige riechende Rarität

Die Titanenwurz ist die größte Blume der Welt - und wahrscheinlich auch die übelriechendste. Sie blüht nur alle paar Jahre, seit diesem Wochenende auch im Botanischen Garten.

Nils Köster trägt ein buntes Leibchen und kurze Hose – angemessene Arbeitskleidung für Biologen, zumal in der stickigen Schwüle im Victoriahaus, dem Tropen-Gewächshaus des Botanischen Gartens im Berliner Süden. „Mir macht die Hitze nichts aus“, sagt der Pflanzenkurator. Und auch die Titanenwurz fühlt sich in der feucht-warmen Atmosphäre wohl. Sonst hätte die seltene und besondere Pflanze in den vergangenen Tagen nicht jenen großen gelben, kolbenförmiger Blütenstand hervorgebracht, der bis zu drei Meter hoch werden kann und somit als größte Blume der Welt gilt.

Nur alle paar Jahre stülpt die Titanenwurz die riesige Blume aus. An diesem Wochenende ist es wieder so weit, zu sehen ist es bis zu drei Tage lang. Für Köster ist es jedes Mal wieder eine kleine Sensation. Die Infos über die „elegante“ Pflanze sprudeln nur so aus dem Botaniker heraus, jedes Detail scheint so wichtig wie das andere.

Botaniker nannten sie "Unförmiger Riesenpenis"

Die Eleganz der Pflanze stach den italienischen Botanikern, die das Gewächs in den Wäldern Sumatras zuerst entdeckten und beschrieben, wohl eher nicht ins Auge, als sie die Riesenblume den streng wissenschaftlichen Namen „Unförmiger Riesenpenis“, Amorphophallus titanum, gaben. Anfangs wird der „Phallus“ von einem großen Hochblatt verhüllt. Entfaltet es sich, gibt es hunderte winzige Blüten frei. „Deshalb reden wir von einem Blütenstand, keiner Blüte“, sagt Köster. Weil der Blütenstand eine Einheit bildet und wie eine einzige, riesige Blüte funktioniert, wird er auch als „Blume“ bezeichnet.

Die weiblichen Blüten stehen in orange-roten Reihen an der Basis des Kolbens. Sie sind am ersten Tag nach Öffnung der Blume empfängnisbereit. Erst am zweiten Tag werden die männlichen Blüten der Blume aktiv. Ihr Pollen hängt über den weiblichen Blüten in klebrigen Fäden herunter: „Die sehen aus wie aus einer Spätzlepresse“, sagt Köster. Indem ihre Blüten an verschiedenen Tagen aktiv sind, vermeidet die Pflanze eine Bestäubung mit ihren eigenen Pollen.

Köster ist längst ein paar Gedankensprünge weiter. Er schlüpft unter den Blättern herunterhängender Pflanzen im Gewächshaus hindurch, zeigt von einer Pflanze zur nächsten und wirft wie ein Farn seine Sporen mit Informationen um sich. Etwa über den besonderen Philodendron, der als Aufsitzer auf einer anderen Pflanze wächst. Überhaupt sind die „Baumfreunde“ seine Lieblingsgattung. Doch eigentlich will er etwas anderes demonstrieren: Aus seiner Umhängetasche holt er eine Pflanzenschere hervor und schneidet – sonst streng verboten im Botanischen Garten – eine weiße Blüte herunter. Wie die Titanenwurz gehört sie zu einem Vertreter der Aronstabgewächse. Das zeigt der typische Blütenaufbau: Ein Kolben, der von einem einfachen Blatt umgeben ist.

Entwickelt vor mehr als 120 Millionen Jahren

Die Pflanzenfamilie der Aronstabgewächse hat sich vor mehr aus 120 Millionen Jahren aus Sumpfpflanzen entwickelt – zu einer Zeit, in der die Dinosaurier die Welt noch beherrschten. Das ergaben Erbgutuntersuchungen und Fossilienfunde. Heute gibt es 4000 Arten, die fast überall auf der Welt verbreitet sind, die meisten davon in den Tropen.

In Europa wächst der gefleckte Aronstab und die kleinste Blütenpflanze der Welt – die Wasserlinse, die in hiesigen Tümpeln eine Schicht aus „Entengrütze“ bildet. Aronstabgewächse bilden also sowohl die größten Blütenstände als auch die kleinste Blüte.

An der Spitze wird der Kolben fast 40 Grad warm

Damit ist die Liste der Besonderheiten allerdings längst nicht vollständig. Viele Aronstabgewächse haben eine Heizung in ihrem Kolben, auch die Titanenwurz. An der Spitze wird der „Riesenpenis“ fast 40 Grad Celsius warm. „Durch die Hitze steigen chemische Lockstoffe auf und verteilen sich so besonders weit“, sagt Köster.

Mit einem Cocktail aus Chemikalien versucht die Pflanze, möglichst viele unterschiedliche Bestäuber anzulocken, darunter Aaskäfer und Fliegen: schwefelhaltige Stoffe, die an Limburger Käse erinnern, stickstoffhaltige Amine, die nach verdorbenem Fisch riechen oder Indole, wie sie auch in Fäkalien vorkommen. Die Pflanze täuscht die Insekten, gaukelt totes Tier vor, in das sie normalerweise ihre Eier ablegen. Stattdessen finden sie eine Blüte vor, von der sie selbst keinen Nutzen haben und für die sie dennoch die Bestäubung übernehmen.

Die Titanenwurz bildet orangerote Beeren, die große Vögel fressen und in der Umwelt verteilen. Bis die Keimlinge selbst zum ersten Mal blühen können, vergehen bis zu zehn Jahre.

Die Knolle kann bis zu 100 Kilogramm schwer werden

Nicht zuletzt deshalb, weil die Riesenblüte viel Energie braucht, die sie aus der Stärke in ihrer Knolle zieht, die erst heranwachsen muss und bis zu 100 Kilogramm schwer werden kann – „wie eine riesige Kartoffel“, sagt Köster. In den Anzuchthäusern des Botanischen Gartens wachsen mehrere solche „Riesenkartoffeln“ heran. Die Stärke wird in den Blättern produziert – beziehungsweise in dem einem einzelnen, bis zu sechs Meter hohen Blatt, das aus der Knolle ragt. „Die Leute denken immer, es handelt sich um einen Baum“, sagt Köster und klopft vorsichtig an den „Stamm“, der nur ein Blattstiel ist. Es klingt hohl. „Alles in Leichtbauweise.“ Auf der Oberfläche des Stängels sind Flecken zu erkennen, die wie Flechten aussehen und die Pflanze tatsächlich wie einen Baum erscheinen lassen. Vor allem die gefräßigen Nashörner auf Sumatra sollen so getäuscht und davon abgehalten werden, von der Titanenwurz zu kosten.

Warum Amorphophallus titanum überhaupt einen derart „üppigen“ Blütenstand produziert, darüber will Köster nicht spekulieren: Die Dinger seien einfach schön – auch wenn dieses Exemplar mit seinen nicht einmal anderthalb Metern sogar vergleichsweise „klein“ geraten sei.

Martin Ballaschk

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