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Titelmissbrauch: Der Doktor aus Amerika

Die deutsche Justiz verfolgt US-Forscher, weil sie den PhD als Dr. verwenden. Angezeigt hat ein Mann, der selbst einen Titel zu Unrecht trug.

Der amerikanische Forscher Ian Baldwin beschäftigt sich am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena damit, was passiert,wenn eine Raupe auf eine Tabakpflanze schleimt. Es geht um Botenstoffe und Gene, aber man kann sagen, der 49-Jährige entschlüsselt ziemlich penibel die Gesetze der Natur. Seit ein paar Wochen hat Baldwin nun in Thüringen mit Menschen zu tun, die sich auf ihrem Fachgebiet ebenso penibel um oft unbekannte Gesetze kümmern: Polizisten, Staatsanwälte und Ministerialbeamte.

Baldwin soll sich wie rund ein halbes Dutzend anderer ausländischer Top-Forscher der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) des Titelmissbrauchs schuldig gemacht haben. Denn statt das amerikanische Doktor-Kürzel Ph.D. an seinen Namen anzuhängen, hatte er sich den deutschen Dr. vor seinen Namen gestellt. Dabei bestreitet niemand, dass Baldwin sein amerikanisches Ph.D.-Kürzel nicht auf eigene Faust gegen einen zusatzlosen Dr. tauschen durfte. Nach den Buchstaben des Gesetzes jedenfalls. Man kann die Regeln auf der Homepage der Kultusministerkonferenz (KMK) aufstöbern. Oder man informiert sich auf der Internet-Seite der Anabin, das ist die Datenbank für Bildungsnachweise bei der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen.

Selbst die MPG hatte Briefe an „Prof. Dr. Baldwin“ geschickt, deutsche Kollegen schrieben ihn ebenfalls als Dr. an. Alle wissen, dass die Top-Forscher eine entsprechende wissenschaftliche Leistung erbracht haben. Die meisten Deutschen wären sicherlich stolz auf den Ph.D. einer der renommierten US-Hochschulen, von denen sie kommen.

Doch der entsprechende Strafrechtsparagraph umschreibt ein Delikt, bei dem die Staatsanwaltschaft ermitteln muss, sobald sie davon weiß. Und dies besorgten offenbar die Anzeigen eines Mannes, dem man selbst das Tragen eines Titels untersagt hatte. Nun wandten die Behörden Bestimmungen an, die eigentlich für Kurpfuscher bestimmt sind oder Aufschneider bremsen sollen, die mit windigen Titeln aus einer Bananenrepublik protzen.

Der Sprecher des thüringischen Kultusministeriums, Detlef Baer, sagt: „Es gibt Vorschriften in Deutschland. Wir als Ministerium konnten auch nicht sagen, wir drücken beide Augen zu.“ Deshalb teilte das Ministerium Baldwin und Kollegen in einem Brief im Februar zusätzlich mit, es habe in der Sache auch ein Bußgeldverfahren gegen sie eingeleitet.

„Es ist völlig absurd“, so fasste Baldwin seine Eindrücke gegenüber Reportern der Washington Post zusammen, die durch einen Bericht im „Spiegel“ auf den Fall aufmerksam geworden waren. Die Ermittlungen gegen amerikanische Top-Forscher in der deutschen Provinz sind in Amerika ein großes Thema. Im Internet kann man sich seitenlang durch Kommentare klicken, die sich belustigt bis empört über die Deutschen zeigen. Sein Übriges tat der Verweis, die entsprechenden Gesetze stammten im Ursprung von 1939.

„Immerhin Dr. Goebbels wäre wohl zufrieden“, lautete ein ätzender Leser-Kommentar. Die Washington Post erklärte, Titel seien in Deutschland wichtig, einem Land, in dem sich selbst langjährige Nachbarn noch mit Nachnamen ansprächen.

Entsetzt in Deutschland sind vor allem jene, die mit guten Worten und Millionen Euro um ausländische Top-Forscher werben. Eine Sprecherin von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) mahnt, Deutschland dürfe nicht in den Ruf geraten, es sei abweisend gegenüber ausländischen Forschern. Der Titelschutz müsse überarbeitet werden. In der MPG hofft man darauf, „dass der Spuk bald vorüber ist“.

Nun zeichnet sich ab, dass sich diese Erwartung erfüllen könnte. Noch bevor der „Spiegel“ erstmals berichtete, änderte die KMK die Bestimmungen. Sie trägt den Ländern auf, nicht nur Doktoren der EU, sondern auch jenen anderer renommierter ausländischer Hochschulen den Dr. zu erlauben. Entscheidend soll die Liste der Carnegie Foundation sein. Das Thüringer Kultusministerium teilte mit, die für die drei Fälle zuständige Staatsanwaltschaft in Jena habe bereits zwei Strafverfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt. Auch eine Ordnungswidrigkeit sehe man nicht, es habe ja kein Vorsatz vorgelegen.

Den Dr. sollten sich die betroffenen Forscher dennoch weiter verkneifen. Denn anders als etwa auf Internet-Seiten von Hochschulen vermeldet, gilt der KMK-Beschluss erst, wenn er ins Hochschulrecht der Länder umgesetzt ist.

In Thüringen kann das noch ein halbes Jahr dauern. Den Forschern fällt der Titelverzicht offenbar nicht schwer. In der neusten Mitteilung zur Forschung über Raupen auf Tabakpflanzen kommt die MPG ganz ohne Titel für Baldwin & Co aus. Die Qualität der Ergebnisse, die Namen der Forscher und der Ruf des Instituts brauchen gar keinen deutschen Dr.

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