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Zwei Jungs mit Stulle.

© picture alliance / dpa

Trotz Mundtrockenheit: Brot statt Brei

Vielen kranken Menschen fällt das Kauen oder Schlucken schwer. Für sie wurden TU-Forscher zu Bäckern. Das im Labor entwickelte Feuchtbrot rutscht auch bei denen, die selbst zu wenig Speichel bilden.

178 Gramm Brot isst der deutsche Mann am Tag, 133 die deutsche Frau, heißt es in der Nationalen Verzehrsstudie. Brot gilt als Grundnahrungsmittel. Umso bitterer, wenn Mundtrockenheit und Beschwerden beim Schlucken Menschen daran hindern, sich daran zu laben.

Zu Mundtrockenheit kann es kommen, wenn die Speicheldrüsen keinen oder zu wenig Speichel produzieren. In vielen Fällen führen Bestrahlungen oder auch Medikamente zu dem Phänomen, das Mediziner als Xerostomie bezeichnen. Schluckbeschwerden können auch die Folge eines Schlaganfalls oder einer fortschreitenden Krankheit wie Parkinson, Demenz oder Multiple Sklerose sein oder von einem Unfall mit Verletzungen am Kopf.

Wenn es gar nicht anders geht, hilft flüssige und passierte Nahrung. Der Brei liefert zwar Kalorien und Nährstoffe und macht satt. Doch die Sehnsucht nach einer guten Scheibe Brot kann er nicht vertreiben. „An ältere Menschen und Kranke, denen das Befeuchten und Schlucken der Nahrung schwerfällt, denkt die Industrie noch zu wenig“, moniert Bernhard Senge vom Institut für Lebensmitteltechnologie und -chemie der TU Berlin. Er erforscht die Eigenschaften von Lebensmitteln, die über Konsistenz und über Textur eines Produkts entscheiden – wichtige Voraussetzungen des „Mundgefühls“.

Die Backstube der Universität

In der institutseigenen Backstube im Souterrain des Gebäudes in Dahlem entwickelte er gemeinsam mit seinen Kollegen ein Brot, das besonders feucht ist und auch Menschen gut „runtergeht“, die zeitweise oder dauerhaft unter Mundtrockenheit, Schluck- und Kaubeschwerden leiden. Die Anregung dazu gab ein Arzt, der täglich Patienten mit solchen Problemen sieht: Rainer Seidl, der unter anderem eine Schlucksprechstunde an der Unfallklinik Berlin in Marzahn leitet.

Der Weg zum Spezialbrot war mit einigen nicht besonders gelungenen Backwaren gepflastert. Klar war von Anfang an, dass das Produkt mehr Wasser enthalten sollte als die Brote, die man in den Regalen von Bäckern und Supermärkten findet. „Es sollte aber ein gesäuertes Roggenmischbrot sein. Mit dem Geschmack, den vor allem ältere Menschen von Jugend auf kennen und lieben“, sagt Senge. Mit Geschmack und Backeigenschaften eines Kartoffelteigs, der dank einer Zelluloseverbindung besonders viel Wasser binden konnte, waren die Lebensmittelchemiker schon deshalb nicht zufrieden.

Sie experimentierten also mit Getreide und mit verschiedenen anderen „Wasserbindern“ (Hydrokolloiden). Neben Geschmackskriterien war vor allem die Haltbarkeit eine Herausforderung: Setzt sich die zusätzliche Flüssigkeit ab, so wird das Brot schnell trocken und schimmelt leicht, weil Mikroorganismen sich daran zu schaffen machen.

Das natürliche Verdickungsmittel Guar und das von Mikroorganismen produzierte Xanthan unterlagen nach unzähligen Versuchen und Messungen gegen das Hydrokolloid mit dem unaussprechlichen Namen Hydroxypropylmethylcellulose, kurz HPMC. Der Zusatzstoff, eine chemisch veränderte Zellulose, heißt in der Lebensmittelindustrie E 464 und ist laut EU-Verordnung ohne Höchstmengenbeschränkung zugelassen. Mit seiner Hilfe konnten die Forscher ein Brot kreiieren, das 56 Prozent statt der üblichen 45 Prozent Wasser enthält. „Es sieht aus wie Brot, es schmeckt wie Brot und es krümelt wie Brot“, sagt Senge. „Aber es setzt beim Kauen deutlich mehr Flüssigkeit frei.“ Trotz des höheren Wassergehalts halte es sich bei richtiger Dosierung der Hydrokolloide problemlos vier Tage.

Die meisten Patienten bevorzugten das neue Feuchtbrot

Die Bewährungsprobe musste das Spezialbrot im Alltag bestehen. Dafür kam es in drei geriatrischen Einrichtungen in Berlin und Bonn auf den Abendbrottisch: Im der Charité angegliederten Evangelischen Geriatriezentrum Berlin (EGZB) gaben zwischen Januar und April 16 Patienten ihr Urteil ab, die das TU-Brot mit handelsüblichem Mischbrot aus dem Supermarkt verglichen. Dabei ging es vor allem darum, welches Brot sich im Mund besser anfühlte und sich besser schlucken ließ. 65 Prozent der Patienten bevorzugten das „Feuchtbrot“.

Feuchtbrote der TU Berlin
Versuchsbäckerei. Das Feuchtbrot enthält chemisch veränderte Zellulose.

© TU Berlin

Institutsmitarbeiter Idriss Mohammed, der im Rahmen seiner Doktorarbeit an dem neuen Produkt feilte und dafür nebenbei auch einen Backkurs absolvierte, will den Geschmack noch verbessern. Denn so professionell die Backstube des Instituts auch ausgestattet ist: Erst jetzt kommen die Backprofis zum Zug. Eine Bäckerei am Buckower Damm wird die von der TU erarbeiteten Fertigungstechniken nun in größerem Maßstab übernehmen und das Spezialbrot vermarkten. „Statt sechs Kilo sollen auf einmal 100 Kilo Teig geknetet werden“, sagt Mohammed. Eine Doktorandin wird den Produktionsprozess zu Beginn begleiten.

In der Versuchsbäckerei des Instituts wird der Spezialofen trotzdem nicht kalt. Denn das Hydrokolloid HPMC könnte auch bei der Entwicklung von Backwaren für Menschen mit anderen gesundheitlichen Problemen nützlich sein. Zum Beispiel im Brotkorb von Zöliakie-Patienten, die das Klebereiweiß Gluten nicht vertragen. HPMC könnte seine Rolle übernehmen. „Wir denken an einen Teig, der als Getreide nur Mais enthält, durch das Hydrokolloid aber trotzdem luftig wird“, sagt Lebensmitteltechnologe Mohammed. Für viele Betroffene könnte daraus das tägliche Brot von morgen werden.

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