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Schülerinnen und Schüler in Schuluniformen winken wild in die Kamera und werfen sich mit erhobenen Händen nach hinten.

© picture alliance/Golden Pixels

TTIP und die Bildung: Schule als Handelsware

Auch private Bildungseinrichtungen könnten vom Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP betroffen sein. Bildungsgewerkschaften und Grüne befürchten unkontrollierbare Angebote aus den USA.

Berlin, im Jahr 2025. Das private Gymnasium der amerikanischen Firma Educom macht Schlagzeilen. „Bildungsgetto Neukölln“ und „Die schlechteste Schule Berlins“, titelt die Presse, da der Großteil der Schüler das Abitur nicht besteht. Als die Behörden die Schule schließen wollen, verklagt Educom das Land Berlin auf Schadensersatz, weil es sich als amerikanisches Unternehmen diskriminiert fühlt – und gewinnt.

Dieses Schreckensszenario entwerfen der Verband Bildung und Erziehung (VBE) und die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) für den Fall, dass das Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) mit den USA in Kraft tritt. Die Gewerkschaften fordern daher den Ausschluss der Bildung aus dem Freihandelsvertrag. Nachdem schon Vertreter aus der Kultur gegen den Vertrag protestierten, machen die Gewerkschaften auf einen weiteren Bereich aufmerksam, der von TTIP betroffen sein könnte.

Was hat ein Vertrag für den freien Handel mit Bildung zu tun? Eigentlich sind öffentliche Dienstleistungen – und dazu gehören staatliche Schulen und Hochschulen – von Freihandelsverträgen ausgenommen. So ist es in einem anderen Abkommen von 1995 festgehalten. Nun gibt es aber auch viele private Schulen, Hochschulen und Weiterbildungsinstitute – und für diese privaten Institutionen könnte TTIP sehr wohl Folgen haben. Dass der Bildungssektor vollständig aus den Verhandlungen ausgeschlossen wird, hält Sylvia Löhrmann, scheidende Präsidentin der Kultusministerkonferenz und grüne Bildungsministerin in Nordrhein-Westfalen, jedenfalls für unwahrscheinlich.

Private Bildungseinrichtungen gibt es in Deutschland viele. Rund 970 000 Schüler besuchen eine von über 5700 privaten Schulen. Zwar werden die meisten dieser Schulen laut des Verbandes Deutscher Privatschulverbände zusätzlich vom Staat gefördert. Doch auch diese gemischt-finanzierten Einrichtungen könnten von TTIP erfasst werden: Noch ist offen, ob sich die Bundesländer mit ihrer Forderung durchsetzen, gemischt-finanzierte Bildungsdienstleistungen von den Verhandlungen auszuschließen.

Deutsche Qualitätsstandards könnten als Hemmnis gelten

Udo Beckmann, der Vorsitzende des VBE, sorgt sich vor allem um die Qualitätssicherung privater Schulen. Zwar ist es schon jetzt für ausländische Unternehmen möglich, private Schulen in Deutschland zu gründen. Doch bisher seien diese stärker öffentlich reguliert als in den USA, sagt Beckmann. Um etwa das Abitur vergeben zu können, müsse eine Schule sich akkreditieren lassen und ständigen Kontrollen unterziehen. Stelle sich etwa heraus, dass an einer Schule die meisten Abiturienten ihre Prüfungen trotzdem nicht bestehen, könnten die Behörden die Schule schließen lassen.

Das könnte unter TTIP schwerer werden. Mit der Öffnung des Bildungsbereiches für den freien Markt würden deutsche Qualitätsstandards womöglich als Investitionshemmnis ausgelegt, sagt Beckmann: „Deutschland könnte dann entweder auf seine Standards verzichten, oder die Investoren aus den USA hätten die Möglichkeit, vor internationale Gerichte zu ziehen.“

Das Einfallstor wäre der bei TTIP vorgesehene Investitionsschutz: Investoren könnten Staaten vor nicht-öffentlichen Schiedsgerichten verklagen, wenn diese ihre Investitionen gefährden. Für Beckmann ist nicht ausgeschlossen, dass die Schließung einer Schule mit schlechter Qualität als eine solche Beschränkung aufgefasst und daher verboten werde: „Die Frage ist, was als Investitionshemmnis gelten kann und was nicht.“

Der Investitionsschutz ist nicht nur deswegen politisch höchst umstritten. So hält der Bundesrat spezielle Investitionsschutzvorschriften für verzichtbar, worauf auch KMK-Präsidentin Sylvia Löhrmann hinweist: „Der Bundesrat hat ausdrücklich auf damit verbundene Risiken hingewiesen.“

Grüne: Staatliche Zuschüsse für Privatunis könnten infrage stehen

Ähnlich wie bei den privaten Schulen könnte nach Ansicht von TTIP-Kritikern das Niveau privater Hochschulen sinken. Womöglich stehen zudem sogar staatliche Zuschüsse für private Hochschulen infrage, sagt die grüne Europaabgeordnete Ska Keller. Derzeit unterstützt zum Beispiel das Land Bremen die private Jacobs University, die schon mehrfach in finanziellen Nöten steckte. Deutsche Privatunis sind bei solchen Hilfen bislang privilegiert: Ausländische Hochschulen haben nämlich nicht dasselbe Recht auf staatliche Förderung.

Unter TTIP könnte sich das ändern, da ausländische Hochschulen den inländischen gleichgestellt werden sollen. Unis aus anderen Ländern könnten dann gegen die ungleiche Subventionierung klagen und den Staat vor die Wahl stellen: Entweder sie fördern alle privaten Hochschulen oder gar keine. Keller warnt denn auch vor einem Zustrom profitorientierter Hochschulen aus den USA: „Das könnte den Konkurrenzdruck auf dem Bildungsmarkt verstärken.“

Ein ähnliches Problem sieht Keller für die Weiterbildung. Firmen aus den USA hätten „ein offensives Interesse, in diesen Markt hineinzukommen“. Schon heute bieten amerikanische Unternehmen zum Beispiel Online-Sprachkurse oder Soft-Skill-Seminare an. Unter dem Investitionsschutz könnten große Konzerne aber dagegen klagen, dass der Staat bevorzugt etwa Volkshochschulen finanziert. Für lokale Weiterbildungseinrichtungen könnte das das Aus bedeuten.

Wie weit diese Szenarien einmal Wirklichkeit werden könnten, ist allerdings noch völlig unklar. Das Bundesbildungsministerium hält die Qualitätsstandards der Länder durch den freien Marktzugang für nicht gefährdet: „Möchte beispielsweise ein Investor in Deutschland eine rein privat finanzierte Universität gründen, muss er trotzdem die Zulassung vom Land erhalten“, heißt es aus dem Ministerium.

Andere Länder haben Ausnahmen gefordert - Deutschland nicht

Andere Regierungen sind skeptischer, was das Thema Bildung bei TTIP angeht. In einem Angebot der EU-Kommission an die amerikanischen Verhandlungspartner haben Bulgarien, Zypern, Finnland, Malta, Rumänien und Schweden Ausnahmen für private Schulen und Hochschulen gefordert. Das Auflisten dieser Ausnahmen ist bei TTIP sehr wichtig, da bei der Gleichstellung inländischer und ausländischer Unternehmen von einer sogenannten Negativliste Gebrauch gemacht wird: Alles, was dort nicht genannt ist, gilt später als Verstoß gegen den Freihandelsvertrag. Deutschland wird in Bezug auf Bildung kein einziges Mal genannt.

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