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Fataler Fingerzeig. Die Idee ist gut: Krebs so früh wie möglich entdecken, um erfolgreich behandeln zu können. Doch damit gehen viele Fälle einher, die unnötige, langwierige, teure und psychisch belastende Diagnostik über sich ergehen lassen müssen.

© Bernd Wüstneck/dpa, p-a

Tumordiagnose: Falscher Alarm

Ein Schatten im Ultraschall und der Verdacht auf Krebs steht im Raum. Zu oft sind die Sorgen überflüssig.

Ich stehe vor dem Krankenhaus mit dem Smartphone in der Hand und überlege, was ich nun schreiben soll. „Kein Krebs!“, möchte ich tippen und drei jubelnde Smileys dahintersetzen. Aber so undifferenziert würde mein Vater, der Internist, mir das nicht durchgehen lassen. Also übe ich erst mal in der Nachricht für eine Freundin: „Alles falscher Alarm, sagt der Chefgynäkologe. Zystische Veränderungen an den Eierstöcken, harmloses Myom in der Gebärmutter, beides altersgerecht und wechseljahresbedingt. Tumormarker nur wenig erhöht und nicht ernster zu nehmen als ein erhöhter Cholesterinspiegel.“ Aber eigentlich lässt sich dieses Fachchinesisch reduzieren auf den einen Satz: „Kein Krebs!“ Und die drei jubelnden Smileys würde dann wohl jeder von mir erwarten. Aber ich bin nicht erlöst, nicht froh. Ich bin erschöpft. Ausgelaugt von vielen Arztbesuchen und Tests, dem bangen Warten auf die Ergebnisse, den quälenden Zukunftssorgen. Und ich frage mich, was da schiefgelaufen ist.

24 von 1000 Frauen werden fälschlich mit Brustkrebsverdacht konfrontiert

Es ist keine Seltenheit, dass Ärzte bei Routine- oder Reihenuntersuchungen Hinweise auf eine Krebserkrankung finden. Bei den wenigsten bestätigt sich der Verdacht, die anderen plagen sich wochen- oder monatelang mit einem „falsch positiven“ Krebsbefund. Allein beim bundesweiten Brustkrebs-Screening, der Mammografie-Reihenuntersuchung, wird bei 24 von 1000 Frauen fälschlich Brustkrebs diagnostiziert. Von 30 Befunden überhaupt. Das bedeutet, 30 Frauen werden auf eine Diagnose-Tour geschickt, lassen die Knoten in ihrer Brust punktieren, warten voller Angst auf das Laborergebnis. Und nur bei sechs Frauen lautet die Diagnose dann am Ende „Brustkrebs“. Die übrigen 24 haben sich unnötig Sorgen gemacht.

„Viele Patienten denken, je mehr man macht, desto besser ist es“, sagt Klaus Koch vom Ressort Gesundheitsinformation des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). „Es kann aber auch gute Gründe geben, sich gegen Früherkennung zu entscheiden.“ Das Institut sieht den Nutzen der jährlich rund 200 Millionen Euro teuren Brustkrebs-Vorsorge kritisch und äußert das auch in der neuesten Aufklärungsbroschüre zum Mammografie-Screening, um den Patientinnen eine „aktive und informierte Entscheidungsfindung“ zu ermöglichen, wie es auf der Internetseite des Instituts heißt.

Wenn das Bauchgefühl versagt

Ich habe mich, durchaus „aktiv und informiert“, gegen eine Teilnahme am Mammografie-Screening entschieden, als ich im Jahr vor meinem 50. Geburtstag die Unterlagen dafür zugeschickt bekam. Der Idee vom „Mehr bringt mehr“ konnte und kann ich nichts abgewinnen. Mein Motto ist vielmehr: „Vertraue deinem Bauchgefühl“. Doch vor ein paar Wochen hat mein Bauch die Orientierung komplett verloren. Ich habe genau das getan, wovon meine Eltern, beide Ärzte, mir stets abgeraten haben: Ich habe im Internet nach Informationen zum Thema Eierstockkrebs gesucht. Denn es gab nun einmal diesen Anfangsverdacht, schwarz auf weiß auf meinem Überweisungsschein, abgekürzt als „Va“, Verdacht auf Ovarialkarzinom. Meine hektische Internetsuche ergab: Die durchschnittliche Überlebensrate liegt bei weniger als 50 Prozent, denn anfangs löst der Tumor keine Beschwerden aus und wird für gewöhnlich zu spät entdeckt. Ich fand auch eine Studie aus den USA: Chemotherapie nützt kaum. Eine reelle Chance haben am ehesten Eierstockkrebs-Patientinnen, deren Krebs im frühen Stadium „T1“ operiert wurde.

Also bedanke ich mich bei meiner Ärztin, als sie mir die Einweisung für das Krankenhaus überreicht. Ich vermute zu diesem Zeitpunkt, dass sie mir das Leben rettet, weil sie meinen Eierstockkrebs rechtzeitig erkannt hat – eben in diesem T1-Stadium, wo „das Ding“ keinerlei Beschwerden macht und noch gut durch eine Operation zu entfernen ist. Sie hat es ja auch nur durch Zufall entdeckt, bei einer Ultraschalluntersuchung des Bauchraums ist ihr eine Vergrößerung an einem Eierstock aufgefallen, daraufhin hat sie, „sicherheitshalber“, Blut abgenommen und die Tumormarker gemessen. Die Konzentration dieser Moleküle im Blut, die auf eine Krebserkrankung hindeuten können, war erhöht: Grenzwert ist 35, meiner lag bei 235. Später erfahre ich: Erst ab 2000 muss man sich ernsthaft Sorgen machen. Aber das kann ich alles noch nicht wissen. Also unterziehe ich mich der ersten Computertomografie meines Lebens, „um den Befund weiter abzuklären“, wie die Ärztin sagt. Keiner kommt auf die Idee, dass da vielleicht gar kein Befund ist.

Vom Wespenstich zum Krebsalarm

Auf der Krankenhauseinweisung steht schon nicht mehr „Verdacht auf Ovarialkarzinom“, sondern „Verdacht auf Uteruskarzinom“. Der Röntgenarzt erkennt bei der Computertomografie nämlich bloß harmlose Zysten an den Eierstöcken, dafür aber irgendein dickes Ding in der Gebärmutter. „Dickes Ding“ kann meine Internistin nicht auf die Einweisung schreiben. Zudem möchte sie, dass ich rasch einen Termin bekomme, also schreibt sie: „Verdacht auf Uteruskarzinom“.

Was für die Ärzte tägliche Diagnoseroutine ist, bedeutet für mich: „Ich habe Krebs. Sie wissen aber noch nicht, welchen.“ Jedenfalls erzähle ich das meiner Mutter, meinem Chef und engen Freunden. Ich mache mich darauf gefasst, dass mir ein langer Kampf um das eigene Leben bevorsteht.

Eine Stunde später schreibe ich all diesen Menschen: „Falscher Alarm“. Aber wie schreibt man das, ohne dass der Eindruck entsteht, man selbst habe mutwillig oder versehentlich den Alarmknopf gedrückt?

Angefangen hat all das mit einem Wespenstich vor nunmehr anderthalb Jahren. Mein linker Fuß schwoll an, aber nicht wieder ab. Der Hausarzt nahm mir Blut ab, suchte nach einer Allergie gegen Wespen- oder Bienenstiche, aber fand nichts. Stattdessen diagnostizierte er einen Eisenmangel und eine Schilddrüsen-Unterfunktion, gegen die er teure Medikamente verschrieb. Ich suche eine Fachärztin für Innere Krankheiten auf, um dem Eisenmangel auf den Grund zu gehen. Der ist höchstwahrscheinlich verursacht durch meine stets sehr starken Regelblutungen. Doch es könnte eben auch eine chronische Magenschleimhautentzündung zugrunde liegen. Die Internistin macht eine Ultraschalluntersuchung des Bauchraums und entdeckt die dunklen Flecken an den Eierstöcken. Zwar war die letzte Vorsorgeuntersuchung bei der Gynäkologin erst vor einem halben Jahr, trotzdem schreibt die sorgfältige Internistin in meine Akte: „Tumormarker prüfen“. Und das Drama nimmt seinen Lauf.

Alle wollen nur das Beste - und erreichen mitunter das Gegenteil

Es liegt im Wesen einer klassischen Tragödie, dass alle in ihr handelnden Figuren innerhalb ihres Kontexts sich logisch und „richtig“ verhalten. Niemand ist „schuld“, jeder wollte für mich als Patientin nur das aus seiner Sicht Beste. Dennoch habe ich eine Ärzte-Odyssee hinter mir, die mich wünschen lässt, ich wäre nie zum Arzt gegangen. Und meine Bemühungen, aktiv und informiert Entscheidungen zu treffen, haben alles nur noch schlimmer gemacht. Dabei hätte es genügt, dass meine Internistin einmal mit meiner Gynäkologin telefoniert, bevor sie mir den Überweisungsschein für die Computertomografie ausstellt. Alle nachfolgenden Untersuchungen hätten sich dadurch erübrigt.

Unser sogenanntes Gesundheitssystem ist eigentlich ein Krankheitssystem, denn alle befinden sich ständig auf der Suche nach Fehlern oder Abweichungen von der Gesundheit definierenden „Norm“ im Körper, jeder mit seinen eigenen Methoden und aus seiner eigenen fachlichen Perspektive. Es wird unablässig aufgeklärt und mit Tests abgeklärt, immer im Bestreben, mögliche Krankheiten zu erkennen oder vom Patienten fernzuhalten. Gesundheit jedoch ist mehr als nur ein Frei-Sein von Krankheit, es ist der beschwingte, frohe Genuss der Gegenwart ohne Angst und Verdachtsdiagnose.

Bin ich nun gesund und frei von Krebs? „Gesundheit lässt sich nicht beweisen“ – mit diesem Satz entlässt mich der Chefgynäkologe aus seiner Sprechstunde, zu den Entwarnungsnachrichten und den jubelnden Smileys. Bitte, liebe Ärzte, weniger Warnungen, weniger Aufklärung. Besprecht euch erst einmal untereinander. Gerne will ich informierte Entscheidungen treffen. Aber ich bin auch nur ein Mensch.

Elske Brault

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