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TURNERS Thesen: Die Praxis kommt im Beruf

Lange gab es das Gejammer, nicht zuletzt aus der Wirtschaft, die deutschen Hochschulabsolventen seien zu alt, sie studierten zu lange und seien praxisfern ausgebildet. Mit der Bologna-Reform sollte sich alles ändern.

Lange gab es das Gejammer, nicht zuletzt aus der Wirtschaft, die deutschen Hochschulabsolventen seien zu alt, sie studierten zu lange und seien praxisfern ausgebildet. Mit der Bologna-Reform sollte sich alles ändern. Jünger und praxisnäher sollten die Bachelorabsolventen sein. Jünger sind sie, weil das Studium kürzer ist. Aber heute lamentieren die Arbeitgeber darüber, dass die Absolventen nicht für die Praxis geeignet seien.

Nach einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages sehen nur 63 Prozent der befragten 2175 Unternehmen ihre Erwartungen an die Absolventen erfüllt. Die Forderung: Es sollten Praxisphasen, Pflichtpraktika und Projektarbeit in das Studium integriert werden. Dafür müsse man das Studium notfalls verlängern.

Die Erwartungen, Hochschulabsolventen sollten „berufsfertig“ sein, ist ebenso alt wie illusorisch. Auch noch so viele Praktika würden da nicht helfen. Es wird zwar immer wieder Berufsanfänger geben, die eine erstaunliche Fähigkeit entfalten, mit den praktischen Anforderungen auf Anhieb zurechtzukommen. Die Mehrheit aber wird Schwierigkeiten haben. Ein Argument für einen früheren Eintritt in den Beruf (und damit für verkürzte Studiengänge) war doch, dass jüngere Absolventen „formbarer“ seien, als wenn sie im Durchschnitt bereits 28 Jahre alt sind. In der Praxis würde man dann die Anpassung an die konkreten Anforderungen schneller vollziehen können, als wenn jemand nach 13 Semestern Studium die erste Tätigkeit antrete.

Es spricht nichts dagegen, die Lehre an den Hochschulen so zu gestalten, dass die Studierenden den Bezug zur Praxis erkennen. Aber es ist falsch, die Hochschulen, insbesondere die Universitäten, als verkappte Berufsschulen anzusehen. Wer „fertig gebackene“ Berufseinsteiger wünscht, muss eine firmeneigene Hochschule einrichten. Was dabei herauskommt, hat man allerdings am Beispiel der „Auto-Uni“ von Volkswagen gesehen. Mit Karacho ist sie an die Wand gefahren.

Im Hinblick auf die Eignung frischer Absolventen für praktische Tätigkeiten sollte man das eigene Gedächtnis bemühen: Vielleicht überlegen die Kritiker der aktuellen Absolventengeneration einmal, wie gut vorbereitet sie selbst ihre erste Position in der Praxis angetreten haben.

Wer mit dem Autor diskutieren möchte, kann ihm eine E-Mail schicken: g.turner@tagesspiegel.de

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