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George Turner war Berliner Wissenschaftssenator, Präsident der Universität Hohenheim und Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz - und ist Kolumnist des Tagesspiegels.

© Mike Wolff

Turners Thesen: Kleine Klitschen in welkenden „Hochschulstädten“

Immer wieder bejubeln Lokalpolitiker neue kleine Hochschulen, die sie gar "Uni" nennen. Das hilft aber weder der Region noch Lehre und Forschung, sagt unser Kolumnist George Turner

Stolz können sich Bildungspolitiker an die Brust klopfen: Es gibt 619 Hochschulstandorte in Deutschland; alle 59 Kilometer trifft man auf einen solchen, hat das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) ausgerechnet. Jugendherbergen sind weniger zahlreich; davon gibt es nur 506. Zur Gesamtzahl 619 zählen Universitäten mit Zehntausenden von Studierenden, kleine private Klitschen und Mini-Fachhochschulen, gelegentlich kleiner als das lokale Gymnasium. Wird ein Ableger einer Berufsakademie – jetzt „Duale Hochschule“ – etabliert, wird das Ortsschild umgehend umgerüstet: „Hochschulstadt“.

Für die „ländliche Versorgung“ mag das gut sein, für die Qualität und das Überleben wird es nicht immer ausreichen. Dabei ist der Anspruch unangemessen hoch: Lokalpolitiker bejubeln bei der Gründung das neue „Innovationszentrum“ und die „Kaderschmiede für den regionalen Mittelstand“. Wahlkreismatadoren aller Parteien bescheinigen es sich selbst als Verdienst, die Einrichtung „an Land gezogen“ zu haben. Die neu bestellten Dozenten haben ihre Visitenkarten mit dem Titel „Prof.“ längst geordert. Nicht immer ist der „Dr.“ verfügbar; dafür strebt man das eigene Promotionsrecht der neuen Perle an. Allenthalben Sonnenschein. Jetzt gehört man zum Kreis der Städte mit einer Hochschule; der Einfachheit halber nennt man die Einrichtung „Uni“.

Wenn das Umfeld nicht stimmt, stimmt auch die Qualität der Hochschule nicht

Ein Ausbau von Einrichtungen des tertiären Bereichs war sinnvoll. Die Erhöhung der Anteile der jungen Menschen, die eine weiterführende Ausbildung erhalten, kommt den Betroffenen zugute und erhöht das Potenzial an leistungsfähigen Absolventen für Wirtschaft und Gesellschaft. Die Ansiedlung von Einrichtungen des höheren Bildungswesens nach Überlegungen der Regionalpolitik aber wird sich rächen. Dort, wo das Umfeld dem nicht entspricht, also es etwa an Industrie und Infrastruktur mangelt, wird sich auch nicht die für eine Hochschule erforderliche Qualität an Lehrpersonen einstellen.

Bei rückläufigen Zahlen von Studierenden – und das wird kommen – werden entsprechende Einrichtungen vor sich hinwelken. Der Mut, sie wieder zu schließen, wird fehlen, weil damit ja ein vermeintlicher Standortvorteil für die Region verloren ginge. In Wahrheit wird es sich bei solcher Situation um einen Nachteil, einen Ballast handeln. Am besten wäre, man würde die Gegebenheiten und mögliche Entwicklungen bereits bei der Gründung bedenken. Sonst bleibt nur, überflüssige Mini-Einrichtungen später in Jugendherbergen umzuwandeln.

Wer mit dem Autor diskutieren möchte, kann ihm eine E-Mail senden: george.turner@t-online.de

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