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Turners Thesen: Tabula rasa bei den Piraten

Vertreter der Piratenpartei sind durch öffentliche Äußerungen aufgefallen, die historische und politische Bildung vermissen lassen. Hat hier etwa das Bildungssystem versagt?

Den meisten Mitgliedern der Piratenpartei wird attestiert, dass sie von atemberaubender Ahnungslosigkeit seien und damit sogar noch kokettierten. Trotz solcher erkennbarer Defizite finden sie immer mehr Wähler. Das mag man mit Verdruss über das etablierte Parteiensystem erklären, vielleicht auch, weil im Agieren der Neulinge ein Spaßfaktor gesehen wird. Unerklärlich scheint, wie naiv und kenntnislos die Akteure sein können, unabhängig davon, welche Schul- und Hochschulausbildung sie aufzuweisen haben.

Man ist bisher davon ausgegangen, dass in allen Schularten ein Mindestmaß an Kenntnissen der politischen Systeme, der historischen Entwicklung und des staatlichen Funktionierens vermittelt wird. Außerdem gibt es eine Vielzahl von Einrichtungen, die politische Bildung anbieten. Irgendetwas muss doch hängen geblieben sein. Erstaunt registriert man bei Mitgliedern der neuen Partei eine Tabula rasa.

Dabei ist der Eindruck bei den Piraten anders als bei Wortführern von Protestgruppen, die Niederlagen nicht akzeptieren wollen. Sie kennen die Regeln des Rechtsstaats sehr wohl, wollen sie aber nicht hinnehmen, wenn ihre Position nicht durchsetzbar ist.

Sehen Sie hier Bilder vom jüngsten Bundesparteitag der Piraten:

Die Grundsätze der repräsentativen Demokratie sollen dann schleunigst durch basisdemokratische Entscheidungen ausgehebelt werden. Vertretern solcher Denkungsart mangelt es nicht an Wissen um die Regeln; sie setzen sich darüber hinweg.

Viele Piraten wirken im Vergleich dazu frei vom Ballast historischer oder verfassungsrechtlicher Kenntnis. Haben Schule und andere Institutionen hier völlig versagt, oder haben die Betroffenen ihre Ohren permanent „auf Durchzug“ gestellt?

Sehen Sie hier, mit welchen Pannen die Piraten in Berlin schon von sich reden machten:

Sorgen bereiten auch diejenigen, die eine solche Partei wählen. Lässt man einmal beiseite, dass manche es „aus Daffke“ tun, so scheinen viele in dem buntgemischten Völkchen tatsächlich eine ernsthafte Alternative zum bestehenden Parteienspektrum zu sehen.

Gewiss werden auch Piraten, je mehr sie mit der Wirklichkeit des politischen Lebens vertraut sind, hinzulernen. Aber sind die Befunde nicht ein Alarmzeichen für alle Träger von Bildungseinrichtungen, über ihre Konzepte zur Vermittlung von Sachkenntnissen und politischer Bildung nachzudenken?

Wer mit dem Autor diskutieren möchte, kann ihm eine E-Mail schicken: g.turner@tagesspiegel.de

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