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Die Asiatische Tigermücke bei einer Blutmahlzeit.

© obs/Hermes Arzneimittel GmbH/shutterstock

West-Nil-Virus und Co.: Wie gefährlich wird ein Mückenstich?

Nach den Fällen von West-Nil-Fieber beim Menschen ist klar: Mücken sind in Deutschland nicht mehr so harmlos, wie sie einmal waren. 

Früher war ein Mückenstich nur lästig – heute kann er gefährlich sein. Zwar übertragen die Insekten zumeist nur in tropischen Regionen Krankheitserreger. Doch in den vergangenen Jahren kam es auch in Südeuropa zu immer mehr Infektionen, Erkrankungen und sogar Todesfällen. Und seit kürzlich auch in Deutschland erste Fälle von West-Nil-Fieber bekannt wurden, ist die Frage relevanter denn je: Wie gefährlich wird die Mücke im nächsten Sommer hierzulande sein?

Am West-Nil-Fieber, ausgelöst durch das West-Nil-Virus (WNV), sind in Deutschland bisher drei Menschen erkrankt – auch eine Frau in Berlin. Experten rechnen aber damit, dass es schon hunderte weitere Fälle gibt. "Das West-Nil-Virus ist in Deutschland angekommen, vor allem in Ostdeutschland", sagt Jonas Schmidt-Chanasit, Virologe am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg. "Und es wird auch nicht wieder verschwinden." 

Aus Afrika gelangte das Virus mit Stechmücken oder Zugvögeln in den Mittelmeerraum und von dort weiter nach Norden. Im warmen Sommer 2018 ist es aus Tschechien nach Deutschland gekommen, das haben genetische Analysen ergeben. Damals wurde es zuerst bei Vögeln und Pferden nachgewiesen, dieses Jahr erkrankten dann auch Menschen. 

Schmidt-Chanasit ist überrascht von der Anzahl der schweren Verläufe. "Normalerweise ist das Virus für den Menschen nicht sehr gefährlich", sagt der Virologe. Wer infiziert ist, merke das meist gar nicht. Manchmal aber entwickeln sich Fieber, Ausschlag und Muskelschmerzen, in seltenen Fällen kann es zu einer Hirnhaut- oder Gehirnentzündung kommen, die tödlich enden kann.

Besonders gefährdet sind Ältere, Immungeschwächte und Menschen mit einer Vorerkrankung. Das Virus ist offenbar in der Lage, in Deutschland zu überwintern. Künftig werde es aufgrund der mit dem Klimawandel immer länger und wärmer werdenden Sommer auch zu weiteren Fällen in Deutschland kommen, sagt Schmidt-Chanasit. Und sogar zu West-Nil-Virus-Epidemien.

Das liegt daran, dass das Virus nicht nur von exotischen Mückenarten übertragen wird, sondern auch von der heimischen, in ganz Deutschland verbreiteten Hausmücke: Culex pipiens. Sie sticht auch Wildvögel, kann sich so mit dem Virus infizieren und es an Säugetiere – vor allem Pferde – und Menschen weitergeben. Wer selbst erkrankt, ist aber keine Gefahr für andere, sexuell übertragbar ist das Virus nach bisherigem Wissen nicht.

Wohl aber kann es durch eine Organtransplantation oder Bluttransfusion zu einer WNV-Infektion kommen. Nach EU-Vorgaben müssen daher nach dem Bekanntwerden der ersten Fälle beim Menschen nun Blutkonserven auf das Virus getestet werden. Eine Impfung gibt es bislang nur für Pferde, an einer Vakzine für Menschen wird noch geforscht. Bis ein solcher Impfstoff auf den Markt kommt, werde es aber gut und gerne noch zehn Jahre dauern, schätzt Schmidt-Chanasit.

Bürger sollen selbst Mücken einschicken

Weltweit gibt es etwa 3500 Stechmückenarten, allein in Deutschland sind es etwa 50. "Ihr Auftreten und ihre Ausbreitung ständig zu kontrollieren, wäre aber sehr aufwendig und teuer", sagt Doreen Werner, Biologin am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) in Müncheberg. In Zusammenarbeit mit dem Friedrich-Löffler-Institut (FLI) leitet sie den "Mückenatlas" (Infos unter mueckenatlas.com). Für das Projekt kann jeder Bürger Mücken einschicken, die die Experten dann untersuchen. Nur mit Hilfe der Bevölkerung ist es möglich, das Vorkommen der Insekten bundesweit zu kartieren. 

So wurde auch klar, dass sich die Asiatische Buschmücke (Aedes japonicus) in Deutschland seit einigen Jahren stark ausbreitet. Sie kommt aus dem ostasiatischen Raum und ist an gemäßigtes Klima, wie es in Deutschland vorherrscht, gut angepasst. Sie kann, wie die Hausmücke, das West-Nil-Virus übertragen, außerdem zum Beispiel das Japanische-Enzephalitis-Virus, an dem in Ost- und Südostasien jährlich bis zu 50.000 Menschen erkranken. Diesen Erreger haben Buschmücken aber hierzulande bislang nicht übertragen.

Eine potenziell wesentlich gefährlichere invasive Art ist die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus). Ursprünglich stammt die schwarz-weiß gemusterte Mücke aus dem asiatisch-pazifischen Raum, breitet sich durch Warentransport und Reiseverkehr aber schon länger sehr erfolgreich in ganz Südeuropa aus und ist inzwischen auch nach Deutschland gekommen. Im Südwesten der Republik, aber auch in Frankfurt und Jena hat sie sich bereits angesiedelt.

Die Tigermücke kann exotisch klingende Viren wie Chikungunya, Dengue oder Zika übertragen. Das Dengue-Fieber ist die weltweit wichtigste durch Mücken übertragene Infektion, sie kommt vor allem in tropischen und subtropischen Klimazonen vor. Für Dengue sind hohes Fieber bis 40 Grad, Schüttelfrost und Gliederschmerzen typisch, in sehr seltenen Fällen kann es zu Organblutungen kommen, die auch tödlich enden können.

Erste Zika-Infektionen in Europa

Das Virus mit dem unaussprechlichen Namen Chikungunya hingegen stammt ursprünglich aus Afrika, in der Sprache des tansanischen Makonde-Volkes bedeutet das Wort "Gebeugter Mann". Das liegt daran, dass das Virus neben Fieber auch lang anhaltende, schmerzhafte Gelenkbeschwerden hervorrufen kann. "Das geht so weit, dass die Patienten monatelang nicht arbeiten können", sagt Schmidt-Chanasit. 

Und Schließlich wäre da noch das Zika-Virus. "Im Vergleich zum West-Nil-Virus ist Zika deutlich weniger gefährlich", so Schmidt-Chanasit. Allerdings können Infektionen in der Schwangerschaft zu Fehlbildungen beim Fötus führen. 2015 gab es in Brasilien so viele Zika-Infektionen, dass Tausende Kinder mit einem verformten und zu kleinen Kopf geboren wurden. Kürzlich meldeten die französischen Behörden die ersten drei von Mücken übertragenen Zika-Fälle Europas aus Südfrankreich. Kleinere lokale Ausbrüche von Chikungunya und Dengue traten in den vergangenen Jahren immer wieder auf, etwa in Frankreich und Italien.

Weltweit ist auch Aedes aegypti, die Gelbfiebermücke, eine wichtige Überträgerin von Chikungunya-, Dengue- und Zika-Viren. Vergangenes Jahr ist sie erstmals auf Madeira entdeckt worden und könnte mit Touristen nach Festlandeuropa kommen. Am Schwarzen Meer breitet sie sich schon aus. In Deutschland gab es bislang nur einen Fall im sächsischen Riesa, als ein Tourist die Mücke aus dem Urlaub einschleppte und diese sich zwischenzeitlich im Haus vermehren konnte. Heimisch werde sie hierzulande aber sicher nicht so schnell, sagt Werner, dazu sei sie zu wärmeliebend.

In Deutschland gibt es noch keinen Nachweis der drei exotischen Viren – weder bei Mücken noch bei Menschen. "Da die Tigermücke nur lokal vorkommt, ist eine deutschlandweite Verbreitung von Chikungunya, Dengue oder Zika unwahrscheinlich", sagt Schmidt-Chanasit. Mit Einzelfällen in Regionen, in denen die Mücke lebe, müsse man aber durchaus rechnen. Auch Doreen Werner sagt: "Wir können, nicht sagen, dass es nicht passiert. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, aber nicht null."

Informieren, Einsprühen, Regentonnen umdrehen

Die wesentlich größere Gefahr sei aber das West-Nil-Virus, sagt Schmidt-Chanasit. "Einfach weil es die Hausmücke nun einmal überall in Deutschland gibt." Insbesondere in heißen Sommern könnten sich die Viren sehr gut vermehren, aber auch in normalen Sommern werde es Ausbrüche geben. Insbesondere der Spätsommer sei Hochrisikozeit, da die Viren eine Weile brauchen, bis sie in vielen Mücken vorkommen. Da es keine Impfung gibt, müsse sich dann jeder selbst um Schutz kümmern.

Zum Beispiel könne man sich informieren, ob in der Gegend infizierte Vögel entdeckt wurden (etwa beim Tierseucheninformationssystem des FLI). Und sich mit Mückenspray schützen, vor allem in Regionen, in denen die Tigermücke vorkomme, sagt Schmidt-Chanasit, denn die sei auch tagsüber sehr aktiv. Außerdem rät er dazu, im Garten Regentonnen umzudrehen, weil sich die Mückenlarven selbst in kleinsten Wasseransammlungen vermehren können.

Künftig werde man auch eine nationale Strategie zur Mückenbekämpfung brauchen, um Ausbrüche in Ballungszentren wie dem Ruhrgebiet oder Berlin zu verhindern. In den USA etwa habe jedes County ein eigenes Mückenbekämpfungsteam, das bei Gefahr ausrücke und zum Beispiel Gärten nach Brutstätten absuche.

Außerdem sieht der Virologe auch Ärzte in der Pflicht, sich weiterzubilden. Schließlich hätten die allermeisten Mediziner noch nie einen Patienten mit West-Nil-Fieber gesehen. Und doch sind es meist die Hausärzte, die einen ersten Verdacht äußern und dann weitere Diagnostik in die Wege leiten müssten. 

Bei aller Vorsicht sei es aber wichtig, keine Panik zu verbreiten. "Es ist nicht so, dass bald jede Mücke ein potenziell tödliches Virus mit sich herum trägt", sagt Schmidt-Chanasit. Dass nun aber, anders als noch vor 20 Jahren, diese Möglichkeit überhaupt existiere, das treibe die Leute um. Zumal auch der psychologische Faktor eine Rolle spiele: Ob einen eine Mücke sticht, das könne man eben nur  in begrenztem Maße kontrollieren.

Und für alle, die nun hoffen, ein harter Winter werde die Mücken schon dahinraffen, hat Schmidt-Chanasit eine schlechte Nachricht: "Der Verlauf des Winters spielt für die Mücken eine untergeordnete Rolle." Die Tigermücke lebe hausnah, wo es sowieso nicht sehr kalt werde. Und die heimischen Mücken kämen auch mit sehr niedrigen Temperaturen hervorragend klar. "An der Gesamtsituation wird ein kalter Winter also nichts ändern."

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