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Flöhe zählen. Das Bestimmen von wirbellosen Kleintieren ist mit gängigen Methoden sehr umständlich.

© Eawag

Umwelt-DNS: Wie Wissenschaftler die Artenvielfalt in Gewässern bestimmen

Um Meereswesen zu überwachen, weisen Wissenschaftler das Erbgut im Wasser nach. So müssten in Zukunft die Tiere nicht mehr gefangen werden.

Das Überwachen von Meereslebewesen ist umständlich und teuer. Denn was da unten lebt, entzieht sich dem Blick; ab 200 Metern Tiefe ist alles stockdunkel. Um die im Wasser lebenden Arten aufzuspüren, braucht man Schleppnetze, die den Meeresgrund abgrasen. Mit dem Fang lassen sich dann Vorkommen und Häufigkeit ungefähr bestimmen.

Es geht aber auch einfacher und billiger. Statt Fische zu fangen und dann zu zählen, entnimmt man dem Ozean eine Wasserprobe und schaut sich im Labor die darin vorhandene Erbsubstanz DNS an. Das Wasser ist voll von DNS-Fragmenten, die zum Beispiel von den Schuppen oder vom Kot der Meeresbewohner stammen. Umwelt-DNS oder eDNA (environmental DNA) heißen diese genetischen Rückstände.

Philip Francis Thomsen und seine Kollegen von der Universität Kopenhagen waren genau diesen Rückständen auf der Spur, als sie letztes Jahr an Bord des Forschungsschiffs „Paamiut“ mitfuhren. Die „Paamiut“ wirft zwecks Fisch-Monitoring ihre Schleppnetze in der Davisstraße südwestlich von Grönland aus. Thomsen nahm dort Wasserproben an 21 Stellen in Tiefen zwischen 188 und 918 Metern und bestimmte damit die Fischarten.

Umwelt-DNS ist eine ganz neue Technik

Die Ergebnisse des Fangs und der DNS-Fragmente stimmten weitgehend überein. Ins Schleppnetz gingen Fische aus 28 Familien. Von diesen waren auch 26 in den Wasserproben aufzuspüren, dazu drei Familien, die dem Schleppnetz entgangen waren. Beiden Methoden ergaben, dass der Heilbutt in dem Meeresgebiet am häufigsten vorkommt. Widersprüchliche Resultate zeigten sich dagegen beim Grönlandhai (Somniosus microcephalus). Ins Schleppnetz ging nur ein Exemplar, während die DNS 18 Haie signalisierte. Das DNS-Ergebnis könnte in diesem Fall treffender gewesen sein. Denn große Fische lassen sich nicht so leicht fangen. Möglicherweise waren einige Grönlandhaie den Netzen der Paamiut entgangen.

Umwelt-DNS ist eine neue Technik. Zuerst war es damit nur möglich, einzelne Arten zu bestimmen. Dazu isoliert man kleine DNS-Abschnitte, die nur bei der gesuchten Art vorkommen. Mittlerweile sind Forscher wie Thomsen schon weiter. Beim Metabarcoding nehmen sie eine Gensequenz, die bei allen Lebewesen vorhanden ist. Wobei es kleine Abweichungen gibt, so dass die Arten einzeln unterscheidbar sind.

Metabarcoding eröffnet Möglichkeiten für den Naturschutz

Metabarcoding steht noch am Anfang der Entwicklung, hat aber großes Potential, findet Florian Altermatt von der Abteilung Aquatische Ökologie des schweizerischen Wasserforschungsinstituts Eawag: „Damit lassen sich potentiell alle Lebewesen nachweisen, die in einem Ökosystem vorkommen, von Bakterien bis zu Wirbeltieren.“

Altermatts Metabarcoding-Versuch fand nicht draußen auf dem Meer statt, sondern in der Glatt, einem Fluss im Kanton Zürich. Altermatt und Kollegen sammelten dort an acht Stellen jeweils einen Liter Wasser in Kanistern und extrahierten anschließend die DNS aus diesen Punktproben. Gesucht wurden nicht nur Fische, sondern alle im Fluss vorkommenden Organismen. Vor allem die DNS von kleinen Lebewesen, Insekten und Krebstiere, fanden die Forscher. Aber auch ein Biber hatte eine Spur hinterlassen. Insgesamt konnten die Signale von 296 Arten nachgewiesen werden. Nicht nur die von Lebewesen im Fluss, sondern auch die von am Ufer lebenden Tieren.

„Ein Fließgewässer transportiert DNS-Fragmente fünf bis zehn Kilometer weit“, erklärt Altermatt. Eine Probe, an irgendeinem Punkt des Flusses gesammelt, enthält also Informationen über mehrere Quadratkilometer Einzugsgebiet. Das eröffnet Möglichkeiten für den Naturschutz. Die Messungen der chemischen Wasserqualität könnten auch zur Überwachung der Artenvielfalt eingesetzt werden. Monitoring ließe sich dann viel häufiger durchführen, die Bedrohung einer Art würde früher erkannt.

Eine große Menge DNS lässt keine Rückschlüsse auf die Häufigkeit zu

Beschränkungen hat die Technik auch. Die Wasserprobe gibt keine verlässliche Auskunft über die Häufigkeit einer Art. Der Flusskrebs könnte seinen Kot direkt an der Entnahmestelle abgelegt haben. Das wirkt dann so, als gäbe es sehr viele Flusskrebse. Eine große Menge DNS bedeutet aber nicht automatisch, dass eine Art häufig vorkommt. Zudem sagt die Umwelt-DNS nichts über die Alterszusammensetzung einer Population aus. Zu wenige fortpflanzungsfähige Fische können zu ihrem Zusammenbruch führen, was aus der DNS nicht abzulesen ist.

Die Vorteile überwiegen jedoch für Altermatt. Die DNS-Methode ist nicht-invasiv. Im Gegensatz zur Schleppnetzmethode lässt sich die Artenvielfalt bestimmen, ohne einen einzigen Fisch zu fangen. Zudem kann man mit einer Wasserprobe alle Arten nachweisen, ob Kieselalge, Fisch oder Wasserschnecke. Die herkömmlichen Methoden sind dagegen vergleichsweise umständlich. Um in einem Fluss die Kieselalgen zu sammeln, muss man zum Beispiel den Biofilm von Flusssteinen abkratzen. Und auch die Zählung von Kleintieren im Labor ist mühsam.

Die Umwelt-DNS zeigt 60 bis 80 Prozent der Lebewesen an

Die Umwelt-DNS spart also Zeit. Und sie spart Kosten, „denn alle Analyse-Schritte können automatisiert werden“, sagt Altermatt. Das heißt, viele Wasserproben lassen sich gleichzeitig untersuchen. Eine Probe zu analysieren kostet so viel wie 100 zu analysieren. Je mehr Proben, desto mehr Einsparung.

Die Umwelt-DNS zeigt nicht alle, sondern 60 bis 80 Prozent der Lebewesen im Ökosystem an. Herkömmliche Methoden erreichen ähnliche Werte. Allerdings ist klassisches Monitoring anders als die DNS-Methode nicht mehr verbesserbar. Will man eine einzelne Art bestimmen, weiß man also genau, wonach man sucht, dann führe sie jetzt schon zu genaueren Ergebnissen. Das könnte bei unerwünschten Eindringlingen nützlich sein. Eindringlingen wie den aus Asien eingeschleppten Karpfen, die das Ökosystem der Großen Seen in Nordamerika gefährdeten. Durch Umwelt-DNS wies man sie trotz der Größe der Gewässer sehr früh nach, noch bevor die ersten Exemplare gesichtet wurden. Altermatt sieht die Wasserproben-Methode daher auch als effektives Früherkennungssystem bei invasiven Arten.

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