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Weg in die Zukunft. Investitionen in die vorschulische Bildung in Afrika - hier ein Kindergarten in Nairobi - sind sinnvoll.

© REUTERS/Wairimu Gitahi

UN-Nachhaltigkeitsgipfel: 169 Prioritäten – welche kommt zuerst?

Die Politiker sollten sich für jene Maßnahmen entscheiden, die den meisten Nutzen bringen – pro Euro. Ein Kommentar.

Staats- und Regierungschefs aus aller Welt werden Ende dieser Woche in New York die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen für die nächsten 15 Jahre beschließen. Das Gipfeltreffen bildet den Höhepunkt eines seit vier Jahren andauernden Verfahrens, um die Prioritäten zur Unterstützung der meistbenachteiligten Menschen festzulegen. Dieses Verfahren wurde von Beginn an durch Feilschereien, politischen Kuhhandel und endlose Debatten belastet. In dem Bemühen, es allen Beteiligten recht zu machen, wird die neue Agenda der UN-Entwicklungsziele die unglaubliche Zahl von 169 Zielvereinbarungen umfassen. Dabei gilt: Wer 169 Prioritäten festlegt, fokussiert sich in Wahrheit auf gar nichts.

So viel zu tun - aber wo anfangen?

Hätten Sie die Möglichkeit – fernab von der byzantinisch anmutenden UN-Bürokratie – der Welt wirklich Gutes angedeihen zu lassen, womit würden Sie beginnen? Herausforderungen gibt es mehr als genug: Mangelnde Biodiversität, regionale Konflikte, tödliche Seuchen, Bedrohungen durch Korruption und geschlechtsspezifische Gewalt, das Problem des Klimawandels.

Wenn es darum geht, welche Probleme die größte Aufmerksamkeit verdienen, gibt es Argumente im Überfluss. Menschenrechtler, Aktivisten und Prominente mahnen ständig an, um welche Themen sich die Welt vorzugsweise kümmern sollte. Als Requisiten dienen oft niedlich anzusehende Tiere oder Erbarmen auslösende Anblicke von Kindern. Eine virale Kampagne, mit der ein berühmter Schauspieler die Blicke des Publikums auf sich lenkt und unsere Herzen vor Mitleid höher schlagen lässt, ist aber nicht notwendigerweise auch der Ort, an dem Hilfe den größten Nutzen erzielt.

Medienhypes zu folgen ist nicht zielführend

Auch die Art und Weise, wie Medien mit einer Problemlage umgehen, erweist sich nicht unbedingt als zielführend. Sicherlich haben Sie noch vor Augen, wie Ebola im vergangenen Jahr quasi aus dem Nichts auftauchte und dazu führte, dass US-amerikanische Politiker ob der Bedrohung den Menschen aus Westafrika die Einreise verweigerten. Zur Bekämpfung von Ebola wurden hunderte Millionen Euro aufgewandt, wobei ein großer Teil davon in Spezialkliniken und andere Einrichtungen floss, die tatsächlich kaum genutzt wurden. Die Ebola-Epidemie stellte selbstverständlich eine regionale Tragödie dar, die schätzungsweise bis zu 20 000 Menschenleben forderte. Abseits des Rampenlichts starben jedoch im selben Jahr rund um den Globus weitaus mehr Menschen an weniger sensationsheischenden Krankheiten. Malaria forderte rund 600 000 Opfer, Tuberkulose tötete etwa 1,5 Millionen Menschen.

Indes: Wenn Medien, Prominente und aufwändige Anzeigenkampagnen keine Hinweise auf langfristig nützliche Investitionen in Entwicklungshilfe liefern können, was würde dann einen besseren Handlungsrahmen darstellen? Um das herauszufinden ist es am besten, den tatsächlichen Nutzen von jedem einzelnen investierten Euro zu ermitteln. Auf diese Weise kann bei gleichem Mitteleinsatz deutlich mehr erreicht werden. Eine entsprechende Kosten-Nutzen-Kalkulation ist in diesem Zusammenhang nicht nur klug, sondern auch ethisch angemessen.

Freierer Welthandel könnte 160 Millionen Menschen aus Armut befreien

Im vergangenen Jahr hat der von mir geleitete Thinktank Copenhagen Consensus Center 82 führende Wirtschaftswissenschaftler, darunter zwei Nobelpreisträger, um eine Analyse gebeten, wie viel Gutes die Ende dieser Woche zu beschließenden, 169 UN-Entwicklungsziele erreichen können. Unter Anwendung üblicher ökonomischer Berechnungsmethoden wurden die Kosten-Nutzen-Effekte für jedes einzelne Ziel ermittelt.

Die Resultate fielen überraschend aus. Ein freierer Welthandel durch den Abschluss der WTO-Doha-Runde würde einen Mehrwert von 2000 Euro pro investierten Euro (um negativ betroffene Arbeitskräfte gezielt umschulen und ihre Verluste kompensieren zu können) erbringen. Auf diese Weise könnten 160 Millionen Menschen aus extremer Armut befreit werden, und bis zum Jahr 2030 würde jede Person in Entwicklungsländern durchschnittlich über ein zusätzliches Jahreseinkommen von 900 Euro verfügen. Zum Vergleich: Transferleistungen, damit die ärmsten Menschen aus der schlimmsten Not befreit werden können, wären mit gewaltigen administrativen Herausforderungen verbunden und würden zudem auf institutionelle Mängel treffen. Am Ende stünden jedem investiertem Euro nur fünf Euro Nutzwert gegenüber.

Wenn es darum geht, dem Planeten zu helfen, stellt das Ende der Subventionierung fossiler Brennstoffe ein hervorragendes Ziel dar. Dadurch würden Ressourcen für Bildung und Gesundheit freigesetzt, während zugleich die Luftverschmutzung und Kohlendioxid-Emissionen reduziert werden könnten. Der Nutzen wäre 15 Euro pro investierten Euro, wobei der Kostenaspekt sich daraus ergibt, dass wir bei steigenden Brennstoffpreisen die ärmsten Menschen beim Energiezugang unterstützen sollten. Im Gegensatz dazu würde jeder Euro, der zur rigorosen Steigerung der Erzeugung erneuerbarer Energien investiert wird, jeweils nur weniger als einen Euro Ertrag abwerfen. Trotz der Senkung des Kohlendioxid-Ausstoßes bleiben regenerative Formen der Energieerzeugung mit hohen Kosten verbunden und stehen nur unregelmäßig zur Verfügung.

In Bildung investiertes Geld wirkt am effektivsten

Ein außergewöhnlich gutes Entwicklungsziel stellt der vermehrte Zugang zu vorschulischer Bildung dar. Eine Verdreifachung der Angebote im südlichen Afrika würde langfristig aus jedem investierten Euro zu einem Nutzeffekt von mehr als 30 Euro führen.

Sicherlich ist Kosteneffizienz nicht die einzige Überlegung in der Diskussion um die Frage, wie Entwicklungshilfe am besten angelegt werden kann. Allerdings ist sie auf jeden Fall ein wichtiges Kriterium. Ganz gleich, ob es sich um Spenden privater Wohltäter, um staatliche Mittel einzelner Länder oder um die Gelder der Vereinten Nationen handelt.

Zu welchem Schluss sind die eingangs erwähnten Ökonomen nun mit Blick auf die 169 UN-Entwicklungsziele gekommen? Sie empfehlen, sich lediglich auf 19 Schwerpunkte zu konzentrieren. Und dazu zählen nicht nur die zuvor genannten Ziele, sondern auch Aufgaben wie ein besserer Zugang zu Familienplanung sowie der Kampf gegen Malaria, Tuberkulose und Unterernährung.

Wenn die Staats- und Regierungschefs vom Gipfeltreffen in New York in ihre Heimatländer zurückkehren, müssen sie pragmatisch entscheiden, auf welche der vielen Ziele sie sich konzentrieren wollen. Mein Vorschlag lautet: Sie sollten sich aus der großen Agenda den relativ kleinen Teil vornehmen, der der Welt letztlich den größten Nutzen bringt.

Bjørn Lomborg leitet das Copenhagen Consensus Center und ist Gastprofessor an der Copenhagen Business School. (Aus dem Englischen von Lutz Ruminski.)

Bjørn Lomborg

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