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Medikamente gegen HIV

© AFP

UNAids-Bericht: Epidemie ausgebremst, aber mehr Infizierte in Deutschland

Nur noch zwei Millionen Menschen infizieren sich pro Jahr mit Aids, 35 Prozent weniger als im Jahr 2000. Nun setzt sich die Weltgemeinschaft ein neues Ziel.

Unmöglich! Dieses Wort schallte Wissenschaftlern, Aktivisten und Politikern immer wieder entgegen. Nie und nimmer könne die Kombinationstherapie gegen das Aidsvirus HIV in den Entwicklungsländern Routine werden. Sie sei viel zu teuer, die Menschen würden sie nicht regelmäßig nehmen und damit Resistenzen verursachen. Ohne entsprechende Labore und Gesundheitszentren sei die Behandlung ohnehin kaum machbar. Im Jahr 2000 bekamen gerade 10 000 Menschen in den Ländern südlich der Sahara die lebensrettenden Medikamente. Im März 2015 waren es insgesamt 15 Millionen – neun Monate vor dem Stichtag, den sich die Weltgemeinschaft gesetzt hatte. Sie kosten nun nicht mehr 10 000 Dollar pro Jahr und Patient, sondern 100 Dollar.

In einem 515-Seiten-Bericht fasst die Organisation UNAids die Fortschritte zu dem Milleniumsentwicklungsziel zusammen, die Aids-Epidemie abzubremsen und den Trend umzukehren. Die Zahl der Neuinfektionen sei seit dem Jahr 2000 um 35 Prozent gefallen (von 3,1 auf zwei Millionen), bei Kindern um 58 Prozent. Seit 2005 sinkt die Zahl der Aidstoten; 41 Prozent weniger Menschen sterben an den Folgen der Infektion. „Die Welt hat ihr Versprechen gehalten“, sagt Ban Ki-moon, der Generalsekretär der Vereinten Nationen. „Nun haben wir ein neues Ziel: die Epidemie bis 2030 zu beenden.“

Gezielte Investitionen

Sich selbstzufrieden zurückzulehnen, sei keine Option, sagt Mark Dybul, der Direktor des Global Fund. Im Gegenteil. „Wenn wir nicht vorsichtig sind, machen wir alles wieder zunichte. Wir können es uns nicht leisten, dass die Fallzahlen wieder steigen. Entweder wir lernen jetzt aus der Vergangenheit oder wir verlieren.“ Die nächsten fünf Jahre seien entscheidend. Bis 2020 müssten jedes Jahr nochmals acht bis zwölf Milliarden Dollar mehr als jetzt in den Kampf gegen Aids investiert werden.

Dieses Geld solle klug eingesetzt werden – dort, wo es nachweislich den größten Effekt erzielt. „Man kann 100 Menschen testen, um einen Infizierten zu finden oder fünf. Wir müssen besonders gefährdete Gruppen erreichen“, sagt Dybul. Egal ob sie im Gefängnis sitzen, drogenabhängig oder Opfer von Gewalt sind, egal ob sie sich prostituieren, wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden oder in einer besonders armen Gegend wohnen. Jede politische Ebene – von den Präsidenten bis zu lokalen Größen – müsse das gemeinsame Ziel haben, niemanden zurückzulassen. Länder, die entschieden gegen HIV vorgingen, waren erfolgreich, heißt es in dem UN-Bericht. In Zimbabwe und Südafrika zum Beispiel sei die Lebenserwartung wieder auf etwa 60 Jahre gestiegen.

Therapie für alle?

Die antiviralen Mittel machen nicht nur aus dem Todesurteil eine chronische Erkrankung. Sie verhindern, dass eine Schwangere das Virus auf ihr Baby überträgt und dass das Kind bald zur Waise wird. Wenn die Therapie eines Infizierten beginnt, sobald der positive Test vorliegt, schützt sie gleichzeitig in bis zu 96 Prozent der Fälle den Partner vor Ansteckung. Einzelne Mittel wie Truvada sind für die Prophylaxe zugelassen, weil sie die Zahl der Neuinfektionen in Risikogruppen um 44 bis 86 Prozent senkten. Trotzdem gibt es große Herausforderungen. Im Moment leben fast 37 Millionen Menschen mit HIV, teilweise ohne es zu wissen. Sie – und alle anderen, die sich jedes Jahr anstecken – brauchen die Medikamente ihr Leben lang. Mitunter entwickeln sich Resistenzen, so dass die Ärzte ihnen neuere Kombitherapien verschreiben müssen. „Diese sind immer noch sehr teuer“, sagt Dybul. Die Pillen seien deshalb nur ein Teil des Pakets, das vor allem auf Vorbeugung setzt. „Dazu gehören zum Beispiel die Beschneidung von Männern und Programme, die es jungen Mädchen in Südafrika ermöglichen, länger zur Schule zu gehen.“

Fortschritte in der Forschung

In Subsahara-Afrika sind mehr Frauen als Männer von Aids betroffen. Doch Vaginalgels, die vor und nach dem Sex aufgetragen werden müssen, verwendeten Probandinnen in Studien nicht konsequent. Ob die Gels etwas nützen, bleibt daher fraglich. Langanhaltend wirksame antivirale Mittel könnten die Trendwende bringen, hofft Salim Abdool Karim, ein führender Aidsforscher aus Südafrika. Vaginalringe müssten dann nur einmal pro Monat ausgetauscht werden. Spritzen zur Präexpositionsprophylaxe könnten drei Monate lang schützen, die Frauen könnten sie mit einer Dreimonatsspritze zur Schwangerschaftsverhütung kombinieren. Möglicherweise eignen sich die neuen Wirkstoffe auch für die Therapie.

Als Forscher im Jahr 2013 berichteten, dass ein kleines Mädchen aus Mississippi sich bei der Geburt angesteckt hatte, aber durch eine aggressive Behandlung die Viren wieder los wurde, gab es erneut die Hoffnung auf eine funktionelle Heilung. Sie wurde enttäuscht. Die Versuche, mit Knochenmarktransplantationen den Erfolg des „Berliner Patienten“ zu wiederholen, scheiterten ebenfalls. Timothy Ray Brown bleibt der einzige Mensch, der seit einer riskanten Krebstherapie wieder virenfrei ist. Sein Beispiel sei jedoch „eine Inspiration“ und Heilung das „ultimative Ziel“, heißt es in dem UN-Bericht.

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Auf der Suche nach einem Impfstoff versagten vier von fünf Kandidaten. Nur „RV144“ reduzierte die Ansteckungsrate unter 16 000 thailändischen Probanden zumindest um 31 Prozent. Allerdings hielt der Schutz nicht an. In einigen Fällen erhöhte sich sogar das Infektionsrisiko. Warum die Teilnehmer so unterschiedlich auf den Impfstoff reagierten, zeigt nun eine Studie im Fachblatt „Science Translational Medicine“. Forscher um Heather Prentice vom Walter Reed Army Institute in Silver Spring in den USA wiesen nach, dass jene Teilnehmer zu 70 Prozent geschützt waren, die eine bestimmte Variante des HLA-Gens in sich trugen. Das Gen reguliert die Produktion von Antikörpern. Mit einer anderen HLA-Variante wurde die Impfung zur Gefahr. Bei den geplanten RV144-Studien in Thailand und Südafrika könnte daher ein Gentest diejenigen identifizieren, die von der Impfung profitieren.

Mehr Infizierte in Deutschland

In 61 Staaten ist die Zahl der Neuinfektionen seit dem Jahr 2000 mehr als 20 Prozent gefallen, in 56 Staaten dagegen sind sie um mehr als 20 Prozent gestiegen. Auch in Deutschland. 2014 zählte das Robert-Koch-Institut 3525 Neuinfektionen, sechs Prozent mehr als im Vorjahr. Die meisten Patienten sind Männer, die Sex mit Männern haben, und Migranten aus Afrika und Osteuropa.

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