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Aufbruch am Bosporus. Die Nachfrage nach modern ausgebildeten Arbeitskräften steigt in der Türkei rasant, der Ausbau der Unis wird vorangetrieben (hier die private Sabanci-Uni Istanbul). Eigenständiges Forschen muss sich vielerorts allerdings erst noch durchsetzen.

© laif

Uni Istanbul: Elite für den Orient

Die deutsch-türkische Universität in Istanbul soll im Herbst endlich starten – doch der Aufbau geht nur mühsam voran

Einer Baumschule hat es Yücel Celikbilek zu verdanken, dass er beim prestigeträchtigsten Projekt der deutsch-türkischen Bildungszusammenarbeit mitreden kann. Seit Monaten führt der Bürgermeister des Istanbuler Stadtteils Beykoz im asiatischen Teil der türkischen Metropole Gespräche mit deutschen und türkischen Offiziellen über die Zukunft einer Baumschule in seinem Amtsbezirk: Auf dem Gelände sollen die Gebäude der seit langem geplanten deutsch-türkischen Universität (DTU) entstehen.

Die Schönheit von Beykoz, einer noch relativ unverbauten Gegend am Bosporus, habe die Deutschen hierher gebracht, schwärmte Bürgermeister Celikbilek kürzlich in der Lokalpresse. Doch bis er die ersten Studenten und Dozenten in Beykoz begrüßen kann, wird noch einige Zeit vergehen, denn in der Baumschule hat der Bau noch nicht einmal begonnen. Die DTU wird deshalb im Herbst als Provisorium eröffnet. Wo und wie, weiß bisher niemand so recht. „Wir hoffen, dass wir mit einem Sprachkurs oder etwas Ähnlichem anfangen können“, heißt es von deutschen Diplomaten in der Türkei. Erst in drei bis vier Jahren werde der Vollbetrieb erreicht sein.

Am Bosporus geht es langsamer voran, als sich viele DTU-Befürworter das wünschen würden: Nicht erst seit dem Streit um die Forderung des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan nach Einrichtung türkischer Schulen in der Bundesrepublik wird über grenzübergreifende Bildungsprojekte kontrovers diskutiert. Erdogan konnte beim Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende März zwar versichern, dass die deutsch-türkische Universität gebaut werde – doch mehr war nicht drin, weil die Ratifizierung des Gründungsgesetzes im Parlament in Ankara erst auf die Tagesordnung kam, als Merkel schon wieder zu Hause in Berlin war. In Ankara behauptete die nationalistische Opposition, der türkische Steuerzahler müsse die Rechnung für das Prestigeprojekt alleine begleichen.

Tatsächlich aber verabredeten die Regierungen beider Länder eine Arbeitsteilung, als sie vor zwei Jahren die Vereinbarung über die Gründung der Universität unterzeichneten. Der türkische Staat stellt das Grundstück, den Rektor und die Verwaltung, die Deutschen schicken Dozenten, die eines Tages rund 5000 Studierende und Doktoranden unterrichten sollen; der deutsche Anteil an den Gesamtkosten beträgt knapp 40 Millionen Euro, die aus dem Bildungsetat kommen. Eine Schätzung für die Grundstücks- und Baukosten in Beykoz liegt noch nicht vor.

Die überwiegende Unterrichtssprache wird Deutsch sein, aber auch Kurse auf Türkisch und Englisch wird es geben. Ziel ist es, die Studenten zu qualifizierten Fachkräften auszubilden, die auf dem deutschen wie auf dem türkischen und dem internationalen Arbeitsmarkt gute Chancen haben. Die Deutschen sind recht spät dran, denn die Internationalisierung der türkischen Universitäten ist im vollen Gange. An mehreren hoch angesehenen Hochschulen der Türkei wird auf Englisch unterrichtet. „Es ist an der Zeit, dass es auch eine deutsche Uni gibt“, heißt es bei deutschen Diplomaten in der Türkei.

Drei Universitäten aus Berlin und Umgebung spielen bei dem Istanbuler Projekt wichtige Rollen: Die TU richtet in Istanbul die Fakultät für Ingenieurwissenschaften ein, die Uni Potsdam kümmert sich um die Naturwissenschaften und die Freie Universität nimmt sich die juristische Fakultät vor. Die drei restlichen Fakultäten der DTU – Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Geisteswissenschaften und ein Sprachenzentrum – werden von den Universitäten Köln, Heidelberg und Bielefeld organisiert.

Zunächst aber wird der Gründungsrektor gesucht, der türkischer Staatsbürger sein muss, weil die Uni als staatliche türkische Hochschule verfasst ist. Die türkische Hochschulkommission hat drei Kandidaten für den Posten ausgesucht, nun muss der türkische Staatspräsident Abdullah Gül den Rektor ernennen. Erst danach können wichtige Grundlagen wie eine Zulassungsordnung geschaffen werden.

Die Bedingungen, unter denen Studenten an die DTU gelangen können, spielen nicht zuletzt für die Absolventen der Deutschen Schule in Istanbul eine große Rolle. Bei ihrem Besuch an der Schule erfuhr eine sichtlich überraschte Merkel, wie schwer es in der Türkei ist, einen guten Studienplatz zu erwischen. Kandidaten müssen sich einem landesweiten Zugangstest unterwerfen, auf den sich jedes Jahr hunderttausende von Schülern mit Hilfe privater – und teurer – Schulen vorbereiten.

Merkel versprach, sich dafür einzusetzen, dass Abiturienten der Deutschen Schule Istanbul auch ohne Zugangstest an die DTU gehen können: „Das werden wir ja wohl schaffen“, sagte sie. Denkbar sei zum Beispiel ein Quotensystem an der DTU, sagen deutsche Diplomaten.

Während die Baumschule in Beykoz auf die Bagger wartet, gehen im westtürkischen Izmir die Vorbereitungen für eine weitere deutsch-türkische Universität weiter. Die vom ehemaligen Leiter des Essener Zentrums für Türkeistudien, Faruk Sen, geplante Stiftungsuniversität soll ebenfalls in diesem Jahr eröffnet werden. Sen will mit 600 Studenten anfangen und innerhalb von fünf Jahren auf 4000 Studenten kommen. Gemeinsam sollen an den beiden deutsch-türkischen Hochschulen also in wenigen Jahren fast 10 000 Studenten unterrichtet werden.

Für Universitäten ist die Türkei mit ihrer jungen Bevölkerung ein Wachstumsmarkt. Das Land hat derzeit rund 140 Hochschulen mit drei Millionen Studenten, doch der Bedarf ist damit noch nicht gedeckt – jeder Zweite der rund 72,5 Millionen Türken ist jünger als 29 Jahre. Insbesondere das starke Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre und die damit einhergehende stärkere internationale Verflechtung des Landes sowie die Europa-Ambitionen der Türkei haben die Nachfrage nach modern ausgebildeten Hochschulabsolventen mit Fremdsprachenkenntnissen stark ansteigen lassen.

Die Ausbildung dieser neuen Elite ist politisch ausdrücklich erwünscht. So berichtete Sen kürzlich, Staatspräsident Gül habe ihn eigens um die Einrichtung eines Masterprogramms für europäisches Recht gebeten. Bei der Vorbereitung der juristischen Fakultät der DTU denkt Philip Kunig, Professor für öffentliches Recht und Völkerrecht an der Freien Universität Berlin, unter anderem über Masterprogramme für europäisches Wirtschaftsrecht nach.

Nicht nur Studenten, sondern auch deutschen Dozenten dürften die geplanten Unis in Istanbul und Izmir völlig neue Erfahrungen bescheren. Deutsche Hochschullehrer werden mit einem türkischen Bildungssystem konfrontiert, das an vielen staatlichen Unis das selbständige Denken und Nachforschen auch heute noch vielfach suspekt erscheinen lässt.

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