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Studierende im Blick. Sie sitzen im Hörsaal, aber keiner weiß, wie lange, wo sie zwischendurch Praktikum machen oder im Ausland studieren. Das soll sich mit dem neuen Gesetz über die Hochschulstatistik ändern.

© picture alliance / dpa

Unis und Daten: Angst vor dem gläsernen Studenten

Wissen, wer abbricht oder wechselt: Bald dürfen Unis mehr Daten sammeln. Nicht alle finden das gut.

Schule, Abi und dann? Zum Beispiel das: Vincent Kutz beginnt 2008 nach dem Zivildienst ein Maschinenbaustudium an der Technischen Universität Berlin. „Bei der Entscheidung spielten für mich vor allem die beruflichen Perspektiven eine Rolle.“ Doch nach drei Semestern ist der Frust groß. Elostatik und E-Technik quälen ihn, Analysis 2 ist ein fast unüberwindbares Hindernis. Was nun? Ratlos schreibt sich der junge Mann für ein zulassungsfreies Theologiestudium ein. „Dadurch hatte ich weiter den Studentenstatus und Versicherungsfragen waren geklärt.“ Mit studentischen Aushilfsjobs verdient er sich etwas dazu.

In dieser Zeit wird Kutz klar, was ihn wirklich interessiert: Ein Geschichtsstudium soll es sein, erst mal an einer Hochschule außerhalb Berlins. Nach dem Bachelor wechselt er zurück nach Berlin, wo der 28-Jährige bald seinen Masterabschluss macht. Ob er noch promovieren wird? „Für meine Zukunft wäre es wohl besser, allerdings kämen noch mal einige Jahre hinzu, bevor ich richtig arbeiten kann.“ Jahre, in denen andere Kommilitonen bereits ihre ersten Jobs annehmen.

Wege und Irrwege an der Hochschule

Biografien von Studierenden verlaufen nicht immer zielgerichtet und ohne Brüche. Daran hat auch die Bologna-Reform mit der Einführung von Bachelor und Master wenig geändert. Alle Wege genau zu erfassen, ist nun das Ziel der geplanten Novelle des Hochschulstatistikgesetzes, das wohl in den kommenden Monaten verabschiedet wird. Damit, so die Hoffnungen der Bundesregierung, soll der Wissenschaftsbetrieb, sollen Forschungs- und Hochschulpolitik besser reguliert werden. Zudem muss Deutschland eine EU-Verordnung zu gemeinsamen wissenschaftlichen Statistiken der Mitgliedsstaaten erfüllen, zu der noch einige Parameter fehlen.

Bislang konnte mit den Erhebungen der Statistischen Landesämter nicht nachvollzogen werden, wo Studierende eine bestimmte Zeit im Ausland verbringen, ob sie dort studieren oder Praktika absolvieren. Unregistriert blieb auch, welche Bachelorstudierenden sich für einen Master entscheiden und welche Studienabbrecher einen akademischen Neustart wagen. Das soll sich mit der erweiterten Hochschulstatistik ändern. Hinzu kommen auch umfassendere Prüfungs- und Personalstatistiken. Erstmals sollen Daten zu Promovierenden erhoben werden.

Über ein neues IT-System kommen Daten aus den Prüfungsämtern der Unis zu den Statistikern und werden für jeden Studierenden in einer Studienverlaufsstatistik zusammengeführt. Datenschutzrechtlich sei das unbedenklich, glauben Experten: Die Informationen sollten unter verschlüsselten und nicht rückverfolgbaren Pseudonymen gesammelt werden.

Mehr Wissen - oder mehr Datenschutz?

Die Betroffenen selbst sehen das mitunter ganz anders. Den „gläsernen Studenten“ fürchtet der Freie Zusammenschluss von StudentInnenschaften (fzs) und warnt vor dem Missbrauch der Daten, die bis zu zwölf Jahre gespeichert werden sollen. Besonders die neue Studienverlaufsstatistik sei problematisch, sagt Vorstandsmitglied Ben Seel. Mit ihr soll immerhin die gesamte Studienzeit samt Abschlussnoten erfasst werden. Würden die Daten der Statistischen Ämter später gehackt und veröffentlicht, könnten gerade bei kleinen Studiengängen Biografien nachvollzogen werden, befürchtet Seel. „Da stehen sich öffentliches Erkenntnisinteresse und Datenschutz des Einzelnen gegenüber.“

Hochschulen und Politik versprechen den Studierenden positive Effekte der verbreiterten Statistik. Ben Seel ist misstrauisch. Bereits bekannte Probleme warteten schon lange auf Lösungen. „Wir bräuchten dringend eine Masterplatz-Garantie für Psychologiestudenten. Das wissen wir aber auch ohne Statistik.“ Seel glaubt, dass die Erhebungen vor allem genutzt werden, um Studierende effizienter durch die Ausbildung zu schleusen und die Finanzierung von Studiengängen entsprechend zu gestalten. Ein Beispiel dafür sei etwa die Erziehungswissenschaft in Hessen: Die Studierenden hätten seltener einen begüterten Familienhintergrund und würden neben dem Uni-Alltag öfter Jobs, etwa in der Pflege, nachgehen. Im Durchschnitt benötigten sie daher entsprechend mehr Zeit für den Abschluss. „Und dann werden auch noch Gelder drastisch gekürzt, was sich deutlich auf die Lehre auswirkt.“

Die Daten sollen helfen, Qualitätsmängel der Hochschulen aufzudecken

Doch man kann es auch anders sehen: Die bestehenden Unklarheiten bei Studienverläufen, über Fach- und Studienortwechsel sowie tatsächliche Abbrüche verhindern vor allem ein klares Bild von der Qualität der Betreuung und Lehre an den Hochschulen. Das jedenfalls sagt Brigitte Göbbels-Dreyling, stellvertretende Generalsekretärin der Hochschulrektorenkonferenz. Um nachbessern zu können, brauche es eben genauere Zahlen. „Bislang gibt es etwa bei den Schwundraten eine große Spannbreite, weil manche Stellen einen Hochschul- oder Fachwechsel als Abbruch zählen und manche nicht.“ Über die politischen Folgen der neuen Erhebungen lässt sich aus ihrer Sicht derzeit nur spekulieren. „Ob man nun hohe Erfolgsquoten von Hochschulen belohnt oder niedrigere bestraft, liegt in der Hand der Länder.“

Auch die Forschung erhofft sich mit dem geplanten Hochschulstatistikgesetz neue Möglichkeiten. „Seit der Einführung von Bachelor und Master werden uns zunehmend Fragen gestellt, die wir nicht beantworten können“, klagt Elke Middendorff vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Mit dem vorliegenden Entwurf könnten die größten Lücken der Statistik beseitigt werden.

Doktorarbeiten sollen aus dem "Dunkelbereich" geholt werden

Auch wichtig: Wer fällt im mehrstufigen Studiensystem durch das Raster, welche selektiven Prozesse wirken beim Zugang zum Bachelor und später beim Master? „Unsere empirischen Befunde dazu können wir bislang nicht mit amtlichen Statistiken überprüfen.“ Middendorff hofft zudem, dass die Primärquellen der Statistiker künftig auch der Forschung zur Verfügung stehen. „Brauchen wir eine differenziertere Auswertung der Hochschulstatistik, müssen wir momentan erst einen Antrag stellen. Die Bearbeitung dauert natürlich und kostet uns Geld.“ Damit der Datenschutz trotzdem gewahrt bleibe, müsse über spezielle Zugriffsverfahren diskutiert werden, fordert Middendorff. Der fzs lehnt eine Weitergabe der statistischen Datensätze strikt ab.

Die geplante Erfassung von Promotionsverfahren wird indes auf allen Seiten befürwortet. Noch gebe es hier einen großen „Dunkelbereich“, sagt Ben Seel vom fzs. Mit der geplanten neuen Erhebung ließen sich Missstände klarer umreißen. Das könnte eine Chance für den akademischen Nachwuchs sein, der sich in Deutschland schon längere Zeit stiefmütterlich behandelt fühlt. „Interessant ist das vor allem hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und Anstellungsverhältnisse.“

Auch die Hochschulen haben an den Zahlen Interesse, sagt Brigitte Göbbels-Dreyling. Oft wüssten die Einrichtungen nicht, wie viele Promovierende sie haben, auch weil die Anbindung an die Alma Mater unterschiedlich ausgeprägt ist. „Das ist besonders problematisch, weil in Deutschland vergleichsweise viele Menschen promovieren.“

Die neue Statistik soll dem Entwurf nach schon für das Wintersemester 2016/2017 greifen. Ob dieser Zeitplan einzuhalten ist, bezweifelt Göbbels-Dreyling. Größere Umstellungen bei Datenerhebungen hätten in der Vergangenheit bis zu zwei Jahren in Anspruch genommen. Vor allem die nötigen IT-Anpassungen, die Bund und Länder laut Gesetzentwurf einmalig 5,5 Millionen Euro kosten werden, sind aufwendig. „Das Ziel, mit den ersten neuen Erhebungen im Herbst zu beginnen, ist für die Hochschulen also eine enorme Herausforderung.“

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