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Oberstufenschüler einer Hamburger Stadtteilschule sitzen mit Mund-Nasen-Bedeckungen im Deutsch-Unterricht.

© Daniel Bockwoldt/dpa

Unterricht mit Mitschülern aus 30 Haushalten: Jugendliche finden Inkonsequenz der Erwachsenen „emotional ermüdend“

Eine große Mehrheit der Jungen hält sich an Corona-Regeln. Aber einer Umfrage zufolge fragen sich viele, warum sie an der Schule nicht eingehalten werden.

Wenn sich fünf Jugendliche zusammen eine Take-away-Pizza holen und sich lachend über den Karton beugen - selbstverständlich ohne Mund-Nasen-Schutz - brechen sie dann die Corona-Regeln? Sind es kleine Superspreader, die sich - maskenfrei - vor dem Schultor um einen Kumpel mit Smartphone drängeln?

Fest steht: Solche Aktionen, die man so ähnlich überall in Deutschland rund um die weiterhin geöffneten Schulen zu beobachten kann, sind nicht weniger riskant als die öffentlichen Glühwein-Gelage Erwachsener. Dass zudem nur eine Minderheit der Jugendlichen die Hygienemaßnahmen und sonstige Regeln nicht akzeptiert, zeigt jetzt eine Studie der Universitäten Hildesheim und Frankfurt am Main (das komplette Papier ist hier zu finden).

Zwölf Prozent von rund 7000 Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich im November an der Online-Umfrage des Forschungsverbunds "Kindheit - Jugend - Familie in der Corona-Zeit" beteiligten, halten die Maßnahmen für gar nicht oder eher nicht sinnvoll. 61 Prozent stimmen (voll) zu und 26 Prozent teils/teils.

80 Prozent schränken soziale Kontakte ein

Ihre sozialen Kontakte maßgeblich eingeschränkt haben 80 Prozent der Jugendlichen, ebenso viele erleben ihre Freizeitgestaltung als (deutlich) verändert. Das Durchschnittsalter der Befragten lag bei 19 Jahren, zwei Drittel der Teilnehmenden waren junge Frauen. Am Donnerstag veröffentlichten die Forschenden erste Ergebnisse des zweiten Teils der bundesweiten "JuCo"-Studie zu „Erfahrungen und Perspektiven von jungen Menschen während der Corona-Maßnahmen“.

Bei einer ersten Umfrage unter 5000 Teilnehmenden im Frühjahr hatte sich gezeigt, dass sich die Jüngeren auf ihre Rolle als Schüler*innen im Homeschooling reduziert und mit ihren Nöten nicht ernst genommen fühlten. Diese Ergebnisse bestätigen sich jetzt - allerdings auf einem erhöhten Reflexionsniveau.

In den Freitexten - Kommentare, die die Jugendlichen frei formulieren konnten - werde im Zusammenhang mit dem Schulbesuch häufig die fehlende Schlüssigkeit der Hygieneregeln kritisiert. "Ich persönlich habe es relativ leicht, mich an die Regeln zu halten", heißt es in einem Kommentar. Quarantäne sei in Ordnung, wenn sie die Pandemie eindämme.

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"Aber jeden Tag in die Schule zu gehen, und ohne dass Abstand eingehalten werden kann in sechs bis zehn verschiedenen Gruppen aus bis zu 30 Kindern, die alle aus verschiedenen Haushalten kommen": Diese Widersprüche gegen die offiziellen Regeln ignorieren zu müssen, "ist einfach emotional ermüdend".

Die Appelle und Beschlüsse der Bildungs- und Bundespolitik, die Schulen unbedingt offenzuhalten, um das Recht auf Bildung zu garantieren, interpretiert die Gruppe der Forschenden als "ambivalente Botschaft an die Jugendlichen".

Jugendliche und ältere Menschen sitzen eng nebeneinander auf einer Besuchertribüne.
Bitte zuhören. Jugendliche auf der Besuchertribüne im Deutschen Bundestag (Foto von 2015).

© Wolfgang Kumm/picture alliance/dpa

Einerseits könnten sie sich dadurch von der Politik wahrgenommen fühlen. Allerdings haben 65 Prozent den Eindruck, die Sorgen junger Menschen würden eher nicht oder gar nicht in der Politik gehört. Andererseits zeigt sich - wieder in den Freitexten - Unverständnis auch für die Gestaltung des Lernumfelds unter Pandemiebedingungen.

"So wie März bis Juli kann es nicht nochmal mit Homeschooling gehen", schreibt eine Teilnehmende. Insofern sei es verständlich, dass die Schulen unbedingt geöffnet bleiben sollen. "Richtig gut werden" könne das aber nur, "wenn es gut strukturiert ist und Möglichkeiten genutzt werden".

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Was zum Beispiel dann nicht klappt, wenn die an alle ausgeteilten Tablets in einer anderen Schule nur zum Notieren der Hausaufgaben genutzt werden. Was die Jugendlichen bei alledem umtreibt, ist nach Auskunft der Forschenden dies: Sie sollten wie im Frühjahr "ausschließlich in ihrer Rolle als Schüler:in funktionieren", während alle anderen Angebote nicht, nur sehr eingeschränkt oder digital zur Verfügung stehen.

"Jeder Tag ist gleich, keine Änderung in Sicht. Nach der Schule immer alleine", heißt es denn auch in einem Schüler-Kommentar. Und aus der Gruppe der befragten Studierenden erklärt jemand: "Die große negative Seite sind die fehlenden Freizeitangebote wie Konzerte, Festivals und Partys." Man lebe "nur für die Uni" - das übrige Leben plätschere langweilig vor sich hin.

Appell, nicht von "Generation Corona" zu sprechen

Was würden Jugendliche anders machen? Dazu gibt der 13-seitige Kurzbericht der Forschungsgruppe keine Auskunft. Die rege Beteiligung an der Umfrage und an der Freitext-Option zeigten aber, dass es junge Menschen in der Coronakrise dränge, ihre Erfahrungen und Meinungen mitzuteilen.

Gefordert sei deshalb eine "breite Jugendbeteiligung" bei der Ausgestaltung der Corona-Maßnahmen - in politischen Gremien, in Betrieben, Schulen und Universitäten. Eine weitere Forderung der Forschenden: Jugendliche sollten nicht mehr als Regelbrecher diffamiert und als "Generation Corona" bezeichnet werden.

Letzteres sei "ein fatalistisches Signal jungen Menschen gegenüber". Zwar nehme das Wegfallen von sozialen Räumen "alltägliche Bewältigungsmöglichkeiten, die für den psycho-sozialen Ausgleich in dieser Lebensphase zentral sind". Aktuell haben gut 45 Prozent der Befragten Angst vor der Zukunft.

Die Zuschreibung als "Generation Corona" spreche ihnen aber auch ihre "Kompetenzen als aktive Gestalter:innen ihrer Umwelt und als gesellschaftliche Akteur:innen in der Bewältigung der Coronakrise" ab.

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