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USA: Die Pathologie westlicher Arroganz

Der Historiker Heinrich August Winkler übt harte Kritik an Bushs Irakpolitik. Ein Antiamerikaner ist er aber keineswegs. Denn die USA sind auch die Wiege der Menschenrechte und anderer westlicher Werte.

Die Demokratisierung des Irak ist ein aussichtsloses Projekt. Zumindest nach Meinung des Historikers Heinrich August Winkler. Der Versuch der US-geführten Besatzer, nach dem Sturz Saddam Husseins eine Demokratie nach westlichem Vorbild zu etablieren, ignoriert die Grundvoraussetzungen demokratischer Entwicklungen, wie Winkler jetzt bei einem Besuch in Kanada ausführte. Mit einem Vortrag am renommierten Munk-Zentrum für internationale Studien an der Universität von Toronto begann der kürzlich emeritierte Professor der Humboldt-Universität eine einmonatige Vortragsreise durch Nordamerika. Im Gepäck hat er eine Rede, die vor allem in den USA auf viel Widerspruch stoßen dürfte. Ausgehend von der historischen Entwicklung der westlichen Wertegemeinschaft kommt Winkler zu dem Schluss: „Eine Politik, die westliche Werte und Lebensstile mit Gewalt exportieren will, ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt.“

An der Universität Toronto kamen Winklers US-kritische Ausführungen hingegen gut an. Der Philosoph John Ralston Saul, der mit Winkler auf dem Podium debattierte, sah den deutschen Gast gar als Paten für eine kategorische Ablehnung der USA, die er als Kanadier nur aus pragmatischen Gründen nicht vollständig teile: „Wir empfinden den gleichen Antiamerikanismus wie Sie, aber wir haben 6000 Kilometer gemeinsame Grenze mit den USA – da müssen wir optimistischer sein und hoffen, dass in den Vereinigten Staaten die andere Seite wieder an die Macht kommt.“

Winkler ist kein Antiamerikaner

Winkler – ein Antiamerikaner? Das wäre ein Missverständnis. Der Historiker schätzt die USA im Gegenteil als eine der Geburtsstätten der verfassungsmäßig festgelegten Menschenrechte und anderer westlicher Werte. Die Politik George W. Bushs und seiner neokonservativen Vordenker verletze diese Tradition jedoch. Deren Annahme, die westliche Demokratie sei auf Länder ohne eine entsprechende Wertetradition übertragbar, sei „schlechte Geschichtspolitik“, eine „pathologische Form“ gar, falsche Schlüsse aus der Historie zu ziehen. Winkler begründete das mit einem Exkurs durch die abendländische und nordamerikanische Geschichte, die für ihn in drei Erkenntnissen mündet: „Es gibt keine europäischen Werte, sondern nur westliche Werte“, die neben Europa auch Staaten wie die USA, Kanada, Australien oder Israel miteinander verbinden. Die Entwicklung dieser westlichen Werte war und ist ein ungleichzeitiger, schwieriger Prozess. Und drittens kann sich die westliche Kultur nur weiterentwickeln, wenn sie eine offene Streitkultur pflegt – und eben nicht versucht, ihre Werte mit Gewalt anderen aufzuzwingen, wie es die USA im Irak anstreben.

Das Beispiel Deutschlands nach 1945, das amerikanische Vordenker der Irakinvasion gerne zitieren, hält Winkler für abwegig. „Dem Irak fehlt die westliche Ausrichtung, die die Demokratisierung in Deutschland ermöglichte.“ Der Historiker fühlt sich angesichts der aktuellen US-Außenpolitik eher an Deutschland im Jahre 1932 erinnert. Damals ermöglichte es das demokratische System der Weimarer Republik, dass zwei demokratiefeindliche Parteien – Nationalsozialisten und Kommunisten – großen Zulauf fanden. Die aktuelle Lehre für den Irak: „Das Beispiel Deutschlands zeigt, wie das Mehrheitsprinzip zum Gegenteil einer westlichen Demokratie führen kann, wenn bestimmte Grundvoraussetzungen fehlen.“ Das bezieht Winkler unter anderem auf das Vorhandensein einer pluralistischen Zivilgesellschaft, die die Menschenrechte und das Rechtsstaatsprinzip anerkennt.

Trotz aller Kritik an der Politik Washingtons appellierte Winkler abschließend an seine kanadischen und deutschen Zuhörer, sich nicht kategorisch gegen die USA zu stellen. „Wir müssen die Kritik an der Bush-Regierung verbinden mit einer Wertschätzung unserer gemeinsamen westlichen Werte.“ 

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