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USA: Obamas neue Schule

Der US-Präsident will benachteiligte Schüler und Studenten fördern. Mit Milliardenaufwand sollen Schulen und Colleges verbessert werden. Doch es gibt Widerstand - von Rechten und Linken.

Es kommt selten vor, dass Abgeordnete Gelder aus Washington verschmähen. Doch genau dies geschah jüngst in der Landeshauptstadt Albany. Der Kongress des Bundesstaates New York torpedierte staatliche Zuschüsse von bis zu 700 Millionen Dollar für das Schulsystem. Der Grund: ein Streit über Charter Schools. Charter- Schulen werden öffentlich finanziert, jedoch von privaten Gruppierungen unter Aufsicht des Schuldistrikts geleitet. In 40 Bundesstaaten zugelassen, gibt es inzwischen mehr als 3000 dieser Vertragsschulen in den USA. Als Alternative zu öffentlichen Schulen finden sich viele in problematischen Schulbezirken wie den inner cities armer Metropolen. Von der Rechten geliebt, von der Linken beargwöhnt, wurden sie in New York zur Crux im „Wettlauf an die Spitze“.

So heißt eine von US-Präsident Barack Obama im vergangenen Jahr initiierte Schulinitiative. „Race to the Top“ ist ein Wettbewerb zwischen den Bundesstaaten um Regierungsgelder in Höhe von insgesamt 4,3 Milliarden Dollar. Obama will damit eines seiner Wahlversprechen einlösen. Geld soll an die Bundesstaaten fließen, die sich am entschlossensten für Innovationen einsetzen, indem sie beispielsweise ein leistungsorientiertes Gehalt für Lehrer einführen. Oder, wie im Fall von New York, die Zahl der Charter Schools von 200 auf 400 verdoppeln. Eine umstrittene Maßnahme, die schließlich im Parteiengezänk durchfiel – und damit erst einmal die Zuschüsse aus Washington.

Schärfste Gegner der Maßnahme sind die Lehrergewerkschaften, deren Einfluss durch die Vertragsschulen unterminiert wird. Sie befinden sich mit Obama, den sie im Wahlkampf noch kräftig unterstützten, plötzlich über Kreuz.

Das Bildungssystem zu reformieren, hat sich schon sein republikanischer Vorgänger George W.Bush mit dem 2002 eingeführten Programm „No Child Left Behind“ (NCLB) angeschickt. Dieses „Kein Kind wird zurückgelassen“ ist in amerikanischen Bildungsdebatten ähnlich beherrschend wie Pisa in Deutschland.

Es ist ein ebenso ambitioniertes wie umstrittenes Programm, das den Teufelskreis von Bildungselend und wirtschaftlichem Elend zu durchbrechen sucht, das jedoch oft an fehlenden Mitteln und einer nicht ausreichenden Zahl qualifizierter Pädagogen scheitert. Obama will im Prinzip an NCLB festhalten, kritisierte jedoch während des Wahlkampfs, Bush habe die Schulbezirke nicht mit ausreichend Geld versorgt. Kein Wunder, dass sein „Race to the Top“-Programm gerade in vielen unterfinanzierten Schulbezirken ein Hit ist.

In den USA sind für die Schulbildung in erster Linie Städte und Gemeinden verantwortlich, Schulbetrieb und Lehrergehälter werden aus Grundsteuern finanziert. Obwohl auch finanzschwache Distrikte Staatszuschüsse erhalten, ist das Gefälle zwischen armen und wohlhabenden Schulbezirken enorm.

Viele Eltern schicken ihre Kinder deshalb auf private, nicht selten auch religiöse Schulen, die sich aus Spenden und Gebühren finanzieren. Elf Prozent aller amerikanischen Kinder besuchen eine Privatschule, darunter auch Obamas Kinder Sasha und Malia. Washingtons öffentliche Schulen zählen zu den schlechtesten im Land. Mehr als ein Drittel der erwachsenen Hauptstadtbewohner leiden unter Lese- und Schreibschwächen.

Obama fordert jedoch nicht nur mehr Geld für die Grundschulen, er will das ganze System in der Breite fördern, von der Grund- bis zur Hochschule. „Im 21. Jahrhundert ist das beste Antiarmutsprogramm eine Weltklassebildung“, sagt er. Denn trotz Hightech-Industrie, Elite-Universitäten und zahllosen Nobelpreisträgern gibt es bei der sozialen Verteilung von Bildungschancen in den USA eine enorme Schlagseite im System. Das Niveau der Allgemeinbildung ist katastrophal niedrig. Bei internationalen Schüler-Vergleichen schneiden die USA mittelmäßig, in manchen Fächern wie Mathematik miserabel ab.

Der Präsident will die USA zum Land mit den meisten Hochschulabsolventen weltweit machen. Kein allzu ambitioniertes Ziel, sollte man meinen. Sind die Vereinigten Staaten doch mit Hochschulen für jeden Geschmack und Geldbeutel reich gesegnet. Doch auch hier herrscht ein enormes Gefälle im Angebot.

Auf der einen Seite die Elite-Unis wie Harvard, Yale oder Stanford, wo ein vierjähriges Studium über 150 000 Dollar kostet. Am anderen Ende des Spektrums die „Community Colleges“, lokal ausgerichtete Hochschulen mit kürzeren Studienzeiten, niedrigeren Gebühren, aber auch einem schlechteren Ruf. Oft sind sie die letzte Chance für Studenten, die es mangels Leistung oder Finanzkraft nicht an regulären Hochschulen schaffen.

Obamas Breitenförderung in der Hochschulbildung zielt hauptsächlich auf diese mehr als 1000 Colleges ab, wo derzeit rund sechs Millionen Amerikaner studieren und eine halbe Million jährlich ihren Abschluss macht. Hilfsmittel sollen in eine Verbesserung der Infrastruktur und Lehrpläne fließen. Auch denkt Obama an eine Art Bafög für Studenten. Private Gelder könnten dabei die Mittel aus Washington ergänzen.

Gleichzeitig sollen zwei Drittel der 12 Milliarden Dollar in den nächsten zehn Jahre an Hochschulen fließen, die nachweisen, dass sie ihre Lehrpläne auf den neuesten Stand gebracht haben. Der Wettbewerbsgedanke ist eigentlich nichts Neues in einem Land, das sich seiner Ellenbogengesellschaft rühmt und das mehr auf Eigenverantwortung als Hilfe vom Staat setzt. Dennoch bleibt Wettbewerb im Bildungssystem etwas Anrüchiges – und nicht nur für die Gewerkschaften, die das Feuern inkompetenter und auffällig gewordener Lehrer verhindern. Ein Extremfall: In New York verbringen vom Unterricht suspendierte Lehrer ihre Arbeitszeit in sogenannten Gummizellen (rubber rooms) mit Lesen und Dösen. Gleichzeitig leiden amerikanische Schulen unter der hohen Fluktuation von Lehrern. Rund ein Drittel junger Pädagogen bleiben nicht länger als fünf Jahre im Schuldienst.

Von den Republikanern erhält Obama für sein leistungsorientiertes „Race to the Top“-Programm Beifall, misstrauisch sind sie aber gegenüber seinen Plänen, das „No Child Left Behind“-Programm zu überholen. Sie fürchten, wie schon bei der Gesundheitsreform, eine verstärkte Einmischung des Staates. Ganz ausgeprägt ist dieses Ressentiment in Texas. Auch dort verzichtete der republikanische Gouverneur Rick Perry auf eine Teilnahme am „Race to the Top“-Programm und damit auf mögliche Staatszuschüsse. Sein Argument: Dies rieche „nach einer staatlichen Übernahme öffentlicher Schulen“.

Schon allein die Idee eines einheitlichen Standards, mittels dem ein Viertklässler in Texas nach dem gleichen Material wie im liberalen Maine unterrichtet wird, lässt Politiker in dem konservativen Bundesland erschaudern. Dort wurde jüngst ein Autor von der Leseliste der Schulen gestrichen, weil er einmal über Marxismus geschrieben hatte.

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