zum Hauptinhalt
Gentest Oncotype DX: Erstellung eines hauchdünnen Gewebeschnitts aus dem Paraffinblock des Tumors.

© Genomic Health

Vermeidung von Medikamentenbelastung: Chemotherapie-Entscheidung per Gentest

Eine Erbgutanalyse kann das Rückfallrisiko bei frühen Brustkrebsstadien vorhersagen. Das ist das Ergebnis einer großen Studie. Es soll viele bislang verordnete Chemotherapien überflüssig machen.

Ein Gentest kann vielen Patientinnen mit Brustkrebs im Frühstadium eine belastende Chemotherapie ersparen. Eine große internationale Studie zeigt, dass Frauen mit hormonempfindlichem Brustkrebs, deren Lymphknoten nicht befallen sind, von einer zusätzlichen Chemotherapie nicht grundsätzlich profitieren. Diese Patientinnen lassen sich mit dem Gentest identifizieren. Die Studie wurde im "New England Journal of Medicine" veröffentlicht und parallel dazu auf einem großen Krebskongress in Chicago vorgestellt. In Deutschland könnte eine Chemotherapie damit einer verschiedenen Schätzungen zufolge pro Jahr rund 10 000, möglicherweise sogar bis zu 20 000 Frauen erspart bleiben.

Gentest

Brustkrebs ist die häufigste Tumorerkrankung bei Frauen weltweit. Allein in Deutschland wird jedes Jahr bei etwa 70.000 Frauen ein Mammakarzinom festgestellt. Etwa die Hälfte der Diagnosen betrifft Patientinnen mit Hormonrezeptor-positivem Brustkrebs im Frühstadium, deren Lymphknoten noch nicht befallen sind und deren Tumor keine Rezeptoren für den Wachstumsfaktor HER2 (Human Epidermal Growth Factor Receptor 2) enthält. Nach dem Entfernen des Karzinoms bekommen sie gewöhnlich eine Hormontherapie und oft zusätzlich eine Chemotherapie verordnet. Dies hängt bisher vor allem von der pathologischen Analyse des Tumorgewebes ab.

Bislang in Deutschland kaum eingesetzt wird der in den USA entwickelte Gentest "Oncotype DX". Er berechnet anhand der Aktivität von 21 Tumor-Genen das künftige Rückfall-Risiko auf einer Skala von 0 bis 100. Anhand dieses Wertes können Ärzte entscheiden, ob eine zusätzliche Chemotherapie sinnvoll ist. Bei einem Index unter 10 galt die Behandlung ohnehin bereits als überflüssig, bei einem Wert über 25 dagegen als ratsam.

Nebenwirkungen

Allerdings haben die meisten Frauen einen Wert im Zwischenbereich, für den es bisher keine hochwertigen Erkenntnisse gab. Sicherheitshalber rieten Ärzte auch diesen Patientinnen gewöhnlich eher zu einer Chemotherapie - mit all ihren problematischen Nebenwirkungen: Dazu zählen neben Übelkeit, Mattheit und Haarausfall auch ein erhöhtes Langzeit-Risiko für Neuropathie, Herzschwäche und Leukämie.

Die TAILORx-Studie liefert hierzu nun eindeutige Erkenntnisse. "Auf diese Resultate haben wir gewartet", sagt Achim Wöckel, Direktor der Frauenklinik am Universitätsklinikum Würzburg und Koordinator der deutschen S3-Leitlinie Brustkrebs. "Jetzt haben wir prospektive Langzeitdaten." In der Studie verglich ein internationales Team um Joseph Sparano vom Montefiore Medical Center in New York die beiden Optionen - also nach der Operation entweder nur eine Hormontherapie oder eine Hormon- plus zusätzlich Chemotherapie.

Die Forscher untersuchten rund 10 000 Frauen zwischen 18 und 75 Jahren mit hormonempfindlichem Brustkrebs im Frühstadium. Bei etwa 6700 (69 Prozent) Teilnehmerinnen war anhand des Gentest-Resultats zwischen 11 und 25 unklar, ob sie von einer zusätzlichen Chemotherapie profitieren würden oder nicht. Sie erhielten per Losverfahren entweder nur eine Hormontherapie oder aber zusätzlich noch die Chemotherapie. Alle Frauen wurden neun Jahre lang beobachtet.

Chemo Bei 70 Prozent vermeidbar

Die Resultate: Mit Chemotherapie blieben 84,3 Prozent der Teilnehmerinnen krankheitsfrei, ohne die Zusatzbehandlung 83,3 Prozent. Die Überlebensrate lag in beiden Gruppen bei knapp 94 Prozent. Die Chemotherapie bot also knapp 70 Prozent der Frauen keinen klaren Nutzen. Ihnen könnte man diese Behandlung künftig ersparen, schreibt das Team. Einen leichten Vorteil hatte die Chemotherapie lediglich bei jüngeren Frauen im Alter bis 50 Jahre mit einem Test-Wert von 16 bis 25.

«Etwa die Hälfte aller Brusttumoren sind Hormonrezeptor-positiv, HER2-negativ und ohne Befall der Lymphknoten», wird Erstautor Sparano in einer Mitteilung der American Society of Clincal Oncology (ASCO) zitiert. «Unsere Studie zeigt, dass Chemotherapie bei etwa 70 Prozent dieser Frauen vermieden werden kann. Damit wird eine Chemotherapie auf jene 30 Prozent der Frauen begrenzt, für die wir einen Nutzen vorhersagen können.»

Finanziert wurde die Studie hauptsächlich von US-amerikanischen und kanadischen Gesundheitsbehörden, auch der Hersteller des Gentests, Genomic Health, trug einen Teil der Kosten. Ulrike Nitz von der Westdeutschen Studiengruppe (WSG) spricht von einem wichtigen Fortschritt: «Wir haben damit ein großes Problem gelöst», sagt die Leiterin des Brustzentrums Niederrhein am Evangelischen Krankenhaus Bethesda in Mönchengladbach.

Traditionell sei die Prognose dafür, ob eine Chemotherapie nach der Operation sinnvoll ist, oft nicht sehr präzise. "Gerade für diese Patientinnen haben wir mit klassischer Einschätzung durch die Pathologie einen großen Graubereich, also viel Ermessensspielraum. Im Zweifelsfall haben wir aus Sicherheitsaspekten zu einer Chemotherapie geraten." Das sei gerade bei Frauen mit mittlerem Rückfallrisiko problematisch gewesen.

Erleichterung auch für Ärzte

"Die Ergebnisse des Gentests sind sehr aussagekräftig", sagt die Gynäkologin Nitz, die seit zehn Jahren Tumorgenome erforscht und deren Studien vom Oncogene-Hersteller Genomic Health mitfinanziert wurden. "Das macht die Beratung der Patientinnen in dieser schwierigen Situation sehr viel einfacher." Nitz schätzt, dass mit dem Test bundesweit bis zu 20.000 Frauen eine Chemotherapie erspart bleiben könnte.

Der Würzburger Experte Wöckel ist etwas zurückhaltender. Die Therapiewahl werde auch weiterhin in erster Linie vom pathologischen Befund abhängen. "Es gibt aber ein Kollektiv, bei dem man mit den bisherigen Markern nicht weiterkommt", sagt er. Hier helfe der Gentest. "Die Studie bestätigt, dass der Gentest auch langfristig funktioniert. Damit haben wir mehr Sicherheit, sagt Wöckel. Er schätzt, dass bundesweit jährlich mehr als 10 000 Frauen für den Test infrage kommen könnten.

Der Gentest kostet in Deutschland nach Angaben des Herstellers etwa 3200 Euro. Die meisten Gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten demnach bisher - wenn überhaupt - nur auf Einzelantrag, von privaten Kassen würden die Kosten dagegen in der Regel erstattet. Wie selten der Gentest derzeit in Anspruch genommen wird, zeigen Daten des Herstellers. Demnach wurde er in Deutschland seit seiner Einführung vor zehn Jahren erst über 22 000 Mal durchgeführt worden.

Das könnte sich nach Einschätzung von Nitz mit der jetzigen Veröffentlichung ändern. Künftig werde der Test wohl wesentlich häufiger in Anspruch genommen. Zudem beschäftigt sich der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der über den Leistungskatalog der Krankenkassen entscheidet, mit der Frage, ob solche Tests Kassenleistung sein sollten.

"Die Ergebnisse der TAILORx-Studie, bei der ein 21-Genexpressionstest verwendet wurde, wurden vor Kurzem veröffentlicht", teilt eine Sprecherin auf Anfrage mit. "Der G-BA wird das IQWiG (Anm.: Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) beauftragen, die Auswertung der TAILORx-Studie vorzunehmen." Ein Beschluss dazu werde voraussichtlich im 4. Quartal 2018 fallen.

Walter Willems, dpa

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false